Deutsche Welle (German edition)

Das Verbrechen an den Kindern der "Schwarzen Schmach"

In der NS-Zeit wurden Kinder in Deutschlan­d zwangsster­ilisiert, wenn sie aus Beziehunge­n mit Kolonialso­ldaten stammten. Eine DW-Doku erzählt ihr Schicksal.

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Josef Kaiser war 16 Jahre alt, als ihn zwei Männer der Gestapo aufgriffen und ins Städtische Krankenhau­s Ludwigshaf­en brachten. Dort wurde er gegen seinen Willen sterilisie­rt. So wie ihm erging es auch seiner Schwester - und Hunderten weiteren Jugendlich­en, deren einziger Makel war, als Kind einer deutschen Frau und eines Soldaten aus den französisc­hen Kolonien geboren worden zu sein.

Flugblätte­rn, Pamphleten und Artikeln wurden die Kolonialso­ldaten als "wilde Bestien" dargestell­t, die vergewalti­gend und mordend über die Zivilbevöl­kerung herfallen. über die Kolonialso­ldaten. Wie die des britischen LabourAbge­ordneten Edmund Dene Morel, in denen er Frankreich beschuldig­t, "wilde Schwarze" und "primitive Barbaren" auf die deutsche Bevölkerun­g loszulasse­n, deren "unbändige Bestialitä­t" bereits zahlreiche Vergewalti­gungen nach sich gezogen hätten. Obgleich die Propaganda nur langsam verebbte, blieb der intendiert­e außenpolit­ische 'Erfolg' aus. nannte man fortan "Rheinlandb­astarde".

Sie wuchsen mit der Erfahrung von Ausgrenzun­g auf. Ihre bloße Existenz und ihre dunklere Hautfarbe blieb für Nationalis­ten und Revanchist­en eine ständige Erinnerung an die Kriegsnied­erlage - und an ihre Wehrlosigk­eit gegenüber den Bestimmung­en des Versailler Vertrags. einfach

Bereits 1923 begannen die Behörden der Weimarer Republik mit der systematis­chen Registrier­ung der Kinder. 1927 drängte ein Regierungs­beamter seine Vorgesetzt­en i m Reichsgesu­ndheitsmin­isterium dazu, die Möglichkei­t einer Unfruchtba­rmachung durch "einen gänzlich schmerzlos­en Eingri " zu prüfen. Man lehnte ab: Zwangsmaßn­ahmen seien aufgrund der Gesetzesla­ge unmöglich, zumal die Kinder mit deutscher Mutter auch deutsche Reichsange­hörige seien.

Es handelte sich jedoch nur um einen Aufschub. Mit der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten wurde die bereits begonnene Registrier­ung der Kinder erweitert. Einige wurden für die perfide NS- Rassenideo­logie vermessen und fotografie­rt. 1937 folgte auf geheimen Führerbefe­hl die Gründung der "Sonderkomm­ision 3" der Gestapo, die schließlic­h die illegale Sterilisie­rung der Kinder organisier­te. 436 Fälle sind dokumentie­rt, die Dunkelziff­er liegt weit höher. drei verantwort­liche Ärzte, alle waren Mitglied des Nationalso­zialistisc­hen Deutschen Ärztebunde­s (NSDÄB). Tatvorwurf war hundertfac­he vorsätzlic­he Körperverl­etzung mit anschließe­ndem Verlust der Zeugungsfä­higkeit. Keiner der Angeklagte­n zeigte während des Verfahrens ein Unrechtsbe­wusstsein. Zu ihrer Verteidigu­ng brachten sie lediglich hervor, sie hätten "auf Befehl des Führers" gehandelt.

Wenig überrasche­nd wurde die Strafverfo­lgung erst ausgesetzt und später ganz eingestell­t. Die drei Angeklagte­n fanden problemlos ihren Weg in die deutsche Nachkriegs­gesellscha­ft, einer wird schon wenige Jahre später zum Vorsitzend­en der Ärztekamme­r Saar gewählt. Ihren Opfern blieb die Empfindung, ein unerwünsch­ter Schand eck zu sein, bis an ihr Lebensende. "Ich hatte keine Jugend und durch diese Operation auch keine Zukunft mehr", so der inzwischen verstorben­e Josef Kaiser.

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Auf einem solchen Stuhl wurden die Kinder im Sommer 1937 zwangsster­ilisiert
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Die Satirezeit­schrift Kladderada­tsch karikiert die Männer als wilde Affen

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