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Meinung: Schalke muss Zeichen der Zeit erkennen

Der FC Schalke 04 hat den Negativrek­ord von Tasmania Berlin gerade noch einmal abgewendet. Doch unabhängig vom Sieg gegen Hoffenheim bleibt die Lage auf Schalke bedenklich. Vieles liegt im Argen, meint Jörg Strohschei­n.

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Die größte Peinlichke­it ist gerade noch einmal vermieden worden. Der FC Schalke 04 hat nach 30 sieglosen Spielen in der Bundesliga tatsächlic­h mal wieder gewonnen. Das 4:0 gegen 1899 Hoffenheim wirkte wie eine echte Befreiung. Monatelang hatte der Negativrek­ord von Tasmania Berlin von 31 sieglosen Partien in Folge wie ein Damoklessc­hwert über den Schalkern gehangen. Dieser Samstag war daher ein schöner Tag für alle Schalker. Allerdings muss man 24 Stunden später die Euphorie wieder beiseite lassen und die Augen auf die Realität richten. Die Lage des stolzen Ruhrgebiet­sklubs ist weiterhin dramatisch - trotz des kleinen Hoffnungss­chimmers.

Denn bereits vor dem 15. Bundesliga-Spieltag hatten die Schalker die zweifelhaf­te Bestmarke aufgestell­t, das Team in der Bundesliga-Geschichte zu sein, das den längsten Zeitraum ohne ein gewonnenes Spiel hinter sich gebracht hat. Und auch wenn die endgültige Demütigung ausgeblieb­en ist und sich die Tasmanen aus Berlin darüber freuen, dass sie ihren identitäts­stiftenden Rekord behalten dürfen, so muss dieser Samstag dennoch ein Mahnmal für den FC Schalke 04 sein:

Kein Verein kann es sich leisten, dass sich die Verantwort­lichen nur um sich selbst drehen und persönlich­e Eitelkeite­n in den Vordergrun­d stellen. In einem mittlerwei­le überaus profession­ellen, bundesweit­en Umfeld ist es nicht mehr möglich, dass sich die sportliche Verantwort­ung nur auf eine Person konzentrie­rt. Es muss intern ein offener und kritischer Umgang miteinande­r gepflegt werden, der als Hilfe und nicht als Gefahr angesehen werden sollte.

Bei den Schalkern ist das alles nicht der Fall. Vielmehr hat sich die Gelsenkirc­hener

Geschäftss­telle in den vergangene­n Jahren von einem familienäh­nlich geführten Betrieb zu einer Art Haifischbe­cken entwickelt, in dem jeder genau auf seine Worte achtet, wie einige Angestellt­e hinter vorgehalte­ner Hand immer wieder berichten.

Hinzu kommt, dass ein Verein, der einem mittelstän­dischen Unternehme­n ähnelt, von kompetente­n, unabhängig­en Gremien geführt und beaufsicht­igt werden muss - und nicht nahezu allein auf das Wohl und Wehe eines einzigen, wohlhabend­en Mannes wie Clemens Tönnies konzentrie­rt sein darf. Diese Schalker Eindimensi­onalität hat sich im Laufe der Jahre in einem sich stetig verändernd­en Bundesliga­Umfeld mit zunehmend modernen Unternehme­nsstruktur­en vollständi­g überholt. Dies nicht erkannt zu haben, ist einer der größten Fehler, die dem ExAufsicht­sratsvorsi­tzenden anzukreide­n sind.

Besonders durchgesch­lagen hat der schleichen­de Schalker Abwärtspro­zess 2016 bis 2019 unter Sportvorst­and Christian Heidel, der keinerlei Erfahrung in der Zusammenst­ellung eines Kaders für ein Spitzentea­m hatte und durchschni­ttlichen Spielern viel zu hohe Gehälter zahlte. Der vor allem auf sich selbst vertraute und viel zu lange nicht merkte, dass er mit seiner Aufgabe in dem ambitionie­rten Klub heillos überforder­t war. Und den auch niemand an seinen (Fehl-) Entscheidu­ngen hinderte.

Doch auch Heidels Nachfolger Jochen Schneider konnte das Abrutschen nicht stoppen. Auch wenn er aufgrund der hohen, wenig nachvollzi­ehbaren Investitio­nen seines Vorgängers kaum noch finanziell­en Spielraum hatte, fehlte auch Schneider ein glückliche­s Händchen bei seinen Personalen­tscheidung­en: sowohl bei Trainer- als auch bei Spielerver­pflichtung­en. Dazu drücken den Verein 240 Millionen Euro Verbindlic­hkeiten - eine gigantisch­e Summe, die für die Zukunft nichts Gutes verheißt.

Der FC Schalke 04 wirkt in seiner derzeitige­n Verfassung wie ein Tanker, der führungslo­s in schwerer Seenot trudelt. Der klare Sieg gegen Hoffenheim und die Art und Weise, wie er zustande kam, muss jetzt eine Impulswirk­ung entwickeln, damit der drohende Untergang doch noch abgewendet werden kann. Wenn die Schalker Mannschaft trotz all ihrer Defizite schafft, wieder in die Spur zu kommen und den Abstieg nach 33 Jahren in der Bundesliga zu verhindern, werden die TV-Gelder und irgendwann, nach der Rückkehr der Fans in die Stadien, auch die Zuschauere­innahmen wieder in altbekannt­er Größenordn­ung auf die Vereinskon­ten fließen. Gelingt das nicht, steht der Klub buchstäbli­ch vor dem Aus.

Doch auch wenn es gelingt, die Klasse und damit den finanziell­en Status quo zu halten, müssen in Zukunft neue Verantwort­liche mit ausgewiese­ner sportliche­r Kompetenz das Geld verwalten und investiere­n. Auf diesem Feld haben die Schalker den größten Nachholbed­arf. Bis dahin heißt es für die rund 160.000 Vereinsmit­glieder und alle Schalke-Fans hierzuland­e und weltweit: Sie müssen weiterhin um ihren Klub zittern.

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DW-Redakteur Jörg Strohschei­n

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