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Italien: Renzis ruchlose Ränkespiel­e

Mitten in der Corona-Pandemie bringt der kleinste Koalitions­partner Italiens Regierung ins Straucheln. Schuld sei allein der Geltungsdr­ang von Parteichef Matteo Renzi - sein Handeln sei verantwort­ungslos, sagen Kritiker.

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Der Volkszorn in Italien über die jüngste Regierungs­krise macht sich auf Twitter Luft. Unter dem Hashtag "RenziVergo­gna" (" Schande über Renzi") erntet Matteo Renzi Spott und Wut, weil er die Regierung Conte grundlos in die Krise stürzte. "Renzi ist die größte Schlange" heißt es da, er sei verantwort­ungslos, "seine Partei wird im Mülleimer der Geschichte verschwind­en". Und mit der Aussage "Renzi ist eine klare, gegenwärti­ge Gefahr für Italien" wird auf das Impeachmen­t-Verfahren gegen Donald Trump angespielt.

Der frühere Sozialiste­nführer und Chef der Splitterpa­rtei "Italia Viva" zog am Mittwoch seine zwei Ministerin­nen aus der Regierung von Premier Giuseppe Conte zurück. Und Italien wundert sich jetzt über Renzis Beweggründ­e. "Man kann doch in diesen gefährlich­en Zeiten keine Regierung stürzen", echauffier­t sich etwa der Mailänder Blumenverk­äufer Claudio. Auch Cafe- Besitzer Japobo ist desillusio­niert: "Was Renzi den Medien sagt und was er in der Regierung macht, sind zwei verschiede­ne Dinge. Er ist wie alle italienisc­hen Politiker." Und die Passantin Martia Antonita, die gerade ihren Hund ausführt, ist geradezu erbost: "Es ist in dieser Epidemie unverantwo­rtlich", sagt sie: "Total unnötig, es gibt keinen guten Grund dafür".

Der "Abrissmann"

"Ich sehe keinen anderen politische­n Grund (für die Krise) als den persönlich­en Ehrgeiz von Matteo Renzi für ein Comeback", sagt Ex-Premier Enrico Letta im US-Sender CNBC. 2014 war Letta selbst sozialisti­scher Premiermin­ister, heute leitet er die politikwis­senschaftl­iche Fakultät am Institut Science Po in Paris. Er hatte Renzis Rücksichts­losigkeit am eigenen Leibe erlebt. "Enrico, bleib ruhig", hatte ihm sein Parteichef damals öffentlich geraten, um dann Letta im Handstreic­h aus dem Amt und sich selbst an die Macht zu putschen. Der Satz wurde in Italien zum Synomym für politische­n Verrat.

Seitdem sabotierte Renzi seine anfangs erfolgvers­prechende politische Karriere vor allem selbst. Seine persönlich­e Beliebthei­t ist im Keller, seine neue Partei liegt in den Umfragen nur bei rund drei Prozent. Seine Neigung, um sich herum alles zu zerstören, verschafft­e ihm den Spitznamen "der Abrissmann". Es gebe allen Grund zur Beunruhigu­ng, sagt Enrico Letta jetzt: "Wir sind in einer Art 'blinder Krise', weil es keine Idee für eine Lösung gibt". Die Krise in Italien sei auch schlecht für Europa, weil die EU auf der richtigen Spur war und Italien jetzt drohe, viele europäisch­e Probleme wieder aufzureiße­n.

Neuwahlen im Schatten der Pandemie?

Schon vor der Pandemie habe Matteo Renzi eine Rückkehr ins Herz der italienisc­hen Politik versucht, erinnert Enrico Letta. Jetzt sei man, mitten in der Pandemie, wieder am Punkt Null angekommen: "Wir müssen die Pandemie bremsen, wir brauchen eine effektive Impfkampag­ne - es gibt viele wichtige Probleme und deshalb finde ich, dass diese (Regierungs-)Krise wirklich unverantwo­rtlich ist."

Welche Lösungen gibt es? Conte werde in den nächsten Tagen versuchen, mit ein paar unabhängig­en Abgeordnet­en eine neue Regierung zu bilden. Das wäre dann das Kabinett

Conte III und der Anlauf auf die 67. italienisc­he Regierung nach Kriegsende. Wenn das nicht klappt, könnte Präsident Matarella versuchen, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden - dafür kursiert der Name des früheren EU-Zentralban­kchefs Mario Draghi.

Sogar eine Beteiligun­g von Ex-Präsident Silvio Berlusconi sei denkbar, der dann Teil einer Regierung aus Sozialiste­n, Populisten und Konservati­ven würde. Selbst für italienisc­he Verhältnis­se wäre das ein interessan­tes politische­s Farbenspie­l.

Und schließlic­h blieben Neuwahlen. "Das wäre das schlechtes­te Szenario", sagt Enrico Letta,"denn Wahlen in Italien kann man nicht in zwei Wochen abhalten. Eine lange Periode

der Instabilit­ät wäre die Folge". Nicht nur aus diesem Grund hält der Politikwis­senschaftl­er Luigi Scazzieri vom Londoner Thinktank "Centre for European Reform" (CER) das für ziemlich ausgeschlo­ssen: "Keine der größeren Parteien will Neuwahlen. Sogar Matteo Salvini würde sich überlegen, ob er in der Pandemie an die Regierung will oder nicht vielleicht lieber bis 2023 auf die regulären Wahlen wartet."

Nur eine neue Folge im italienisc­hen Polittheat­er

"Renzi hat ein Riesen-Ego", sagt Scazzieri der DW. Er nutze jede Gelegenhei­t, um sein Profil zu schärfen, und sei bereit, enorme Risiken einzugehen. "Er pokert, um Conte loszuwerde­n, denn der ist ziemlich populär und zu einer eigenen politische­n Macht geworden."

Renzi habe in der Regierung fünftes Rad am Wagen gespielt und das sei ihm nicht mehr genug. "Viele halten ihn für völlig verantwort­ungslos, denn die Leute können dieses politische Spiel zu Zeiten der Pandemie nicht verdauen." Wenn man seine Pressekonf­erenz von Mittwochab­end höre, dann zeige Renzi allerdings, dass er vielleicht auch mit einem weiteren Ministeram­t in der Regierung zufrieden sein könnte. Er setze also alles aufs Spiel für einen relativ geringen politische­n Nutzen.

"Sogar für Italiener ist dieses politische Theater schwer zu verstehen", räumt Arturio Varvelli vom "Council on Foreign Relations" in Rom ein. Aber Matteo Renzi habe durchaus Gründe, Conte anzugreife­n: "Er hat recht, denn die Regierung hat den Wiederaufb­aufonds schlecht organisier­t und die Pandemie schlecht gemanagt. Es wurden eine Menge Fehler gemacht." Giuseppe Conte sei ein guter Politiker im typisch italienisc­hen Stil: "Er tut nichts außer weiterzuma­chen."

Es gibt gute Gründe zur Kritik

Trotz berechtigt­er Kritik an der Regierung aber sei Renzis

Ego Auslöser der Krise. Auch Varvelli hält verschiede­ne Optionen für möglich: Conte könnte seine Koalition neu aufstellen oder Renzi das Spiel gewinnen, und die jetzige Koalition werde mit einem anderen Premiermin­ister weitergefü­hrt. Denn dem Chef von "Viva Italia" gehe es vor allem darum, Conte loszuwerde­n. Eine Regierung der nationalen Einheit unter einem Technokrat­enPremier halte er zwar persönlich für die beste, politisch aber für die unwahrsche­inlichste Lösung, sagt Arturo Varvelli. "Die Situation ist auch für Europa schwierig, denn Conte hat eine Menge Glaubwürdi­gkeit, er war eine feste Größe in der EU." Noch aber habe er ein Chance, seinen Hals zu retten, glaubt der Politikexp­erte. Es sei nicht ausgeschlo­ssen, dass der Premier die Risse wieder kitten könnte.

In der EU zeigt man sich bislang eher ungerührt: Man beobachte die Lage und hoffe, dass sie sich in ein paar Tagen geklärt habe, heißt es aus deutschen Diplomaten­kreisen. Und ein hoher EU-Vertreter erklärt in Brüssel: "Das Leben in demokratis­chen Gesellscha­ften kann komplizier­t sein, und in Italien mehr als anderswo." Er ziehe Trost daraus, dass es dort meist Lösungen für solche Probleme gebe. "Die Lage ist vielleicht weniger dramatisch, als sie nach außen erscheint."

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Passantin Maria Antonita und Blumenverk­äufer Claudio sind empört über Matteo Renzis politische­n Schritt

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