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Weckruf für europäisch­e Firmen in China

Der Handelsstr­eit zwischen den USA und China ist für Europa ein Problem. Das wird sich auch nach Trump nicht ändern. Firmen sollten sich auf das Schlimmste vorbereite­n, so eine neue Studie.

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Während die beiden größten Volkswirts­chaften der Welt, die USA und China, politisch und wirtschaft­lich im Clinch liegen, sorgen sich europäisch­e Firmen in China zunehmend um die Auswirkung­en auf ihr Geschäft.

Das geht aus einem Bericht hervor, den die Berliner Denkfabrik Mercator Institute for China Studies (MERICS) gemeinsam mit der Europäisch­en Handelskam­mer in Peking erstellt hat, die 1700 EU-Unternehme­n in China vertritt.

"Unsere Studie soll ein Weckruf sein", sagt Handelskam­merPräside­nt Jörg Wuttke der

DW. Die Lieferkett­en europäisch­er Firmen seien in Gefahr, besonders bei Software und elektronis­chen Bauteilen. "Wenn die USA darauf bestehen, dass bei einem Produkt US-Software zum Einsatz kommt, und die Chinesen auf ihre Software bestehen, dann sitzen die Europäer zwischen den Stühlen und können nicht produziere­n."

Die Studie untersucht die Auswirkung­en eines Phänomens, das Ökonomen Entkopplun­g nennen (engl. decoupling). Gemeint ist, dass sich die USA und China zunehmend voneinande­r abschotten, bei Konjunktur und Handel ebenso wie im Finanzwese­n, bei Normen oder im Digitalen.

"Die USA wollen chinesisch­e Technologi­en aus ihren Lieferkett­en verbannen, während China mit staatliche­r Hilfe nationale Champions aufbaut, die eigenständ­ige Ökosysteme einheimisc­her Technologi­en dominieren", heißt es im Bericht.

Beispiele sind das noch unvollstän­dige "Saubere Netze"Programm, mit dem die USA chinesisch­e Tech-Firmen wie Huawei vom Ausbau ihrer digitalen Infrastruk­tur ausschließ­en, oder das chinesisch­e Gegenstück CII, das ausländisc­hen Hersteller­n die Teilnahme an öffentlich­en Ausschreib­ungen verwehrt, wenn deren Technik für nicht ausreichen­d "autonom und kontrollie­rbar" befunden wird.

Diese Entwicklun­g habe nicht erst mit US-Präsident Donald Trump begonnen und werde auch nicht mit ihm enden, heißt es in der Studie. In den USA gebe es einen "parteiüber­greifenden

Konsens, China als strategisc­hen Wettbewerb­er" zu sehen. Es sei daher "unwahrsche­inlich", dass die Globalisie­rung aus der Zeit vor Donald Trump unter seinem Nachfolger Joe Biden einfach neu aufgelegt werde.

Zumal es nicht nur die USA sind, die durch Strafzölle und Sanktionen gegen einzelne Firmen wie Huawei und

Tiktok zur Entkopplun­g beitragen. "Tatsächlic­h ist die Entkopplun­g ein längerfris­tiger Trend, der in die frühen Tage von Chinas Öffnung und Reformen zurückreic­ht", die Ende 1978 ihren Anfang nahmen, heißt es im Report.

Seit dieser Zeit habe die chinesisch­e Führung genaue Vorstellun­gen entwickelt, wo sie auf internatio­nalen Wettbewerb setzt und wo auf Abschottun­g. Schon 2015, also vor Trumps Make America Great Again, präsentier­te sie die Initiative "Made in China 2025", die das Land in vielen Industrieb­ereichen technologi­sch führend machen soll - unter anderem durch strategisc­he Unternehme­nskäufe im Ausland.

Seit 2018, als der Handelsstr­eit mit den USA eskalierte, hat China seine Anstrengun­gen, vom Rest der Welt so unabhängig wie möglich zu werden, noch verstärkt. "Europäisch­e Firmen in China berichten, dass diese Kampagne anders und radikaler ist als früher", so die Studie.

Zu den Methoden gehören Einfuhrver­bote, wie zuletzt gegen australisc­he Kohle, verstärkte und langwierig­e Sicherheit­sprüfungen gegen einzelne Firmen, die Pflicht zur Partnersch­aft mit chinesisch­en Firmen oder Abweichung­en von internatio­nalen Standards und Normen.

Im Dezember 2020 legte die chinesisch­e Führung auf ihrer Zentralen Wirtschaft­skonferenz für das laufende Jahr schließlic­h zwei Ziele fest: den Aufbau wissenscha­ftlicher und technologi­scher Stärke und die Entwicklun­g größerer Autonomie bei Lieferkett­en. Wirtschaft­spolitisch­e Entscheidu­ngen werden künftig daran gemessen, ob sie diesen Zielen dienen.

Und die Europäer? Die schauen dem Treiben etwas hilflos zu - wissend, dass Neutralitä­t zunehmend unmöglich wird. Außerdem nehmen auch in Europa die Vorbehalte gegenüber China zu, nicht zuletzt wegen Menschenre­chtsverlet­zungen in Xinjiang und dem harten Vorgehen gegen die Demokratie­bewegung in Hongkong.

Europäisch­e Firmen könnten letztlich gezwungen sein, bei Lieferkett­en doppelte Strukturen aufzubauen, heißt es im Bericht. "Eine Lieferkett­e samt Forschung und Entwicklun­g exklusiv für China, und eine weitere für die restliche Welt." Bei digitalen Systemen würde das, auch wegen der europäisch­en Datenschut­zbestimmun­gen, noch einmal komplizier­ter.

Die Alternativ­e wäre allenfalls ein flexibles System, das weltweit gleiche Komponente­n mit Sonderanfe­rtigungen für China kombiniert. In jedem Fall wären die Kosten beträchtli­ch, so der Report: "Jeder Schritt in Richtung Entkopplun­g ist ein weiterer Schaden für Innovation­en, Effizienz, Einsparung­en und Größenvort­eile."

Einige europäisch­e Firmen gaben an, ihre Präsenz in China wegen dieser Entwicklun­gen vielleicht ganz aufgeben zu müssen. Das im Dezember zwischen der EU und China auf den Weg gebrachte Investitio­nsschutzab­kommen sei zwar gut, so Wuttke, aber nicht geeignet, um das Gesamtbild grundlegen­d zu verbessern.

Die Autoren der Studie von MERICS und der Europäisch­en Handelskam­mer raten den Firmen daher, "sich anzuschnal­len und auf das Schlimmste vorzuberei­ten". Dazu gehören Notfallplä­ne und das ständige Prüfen von Alternativ­en. "Unsere Studie zeigt, dass wir uns nicht zurücklehn­en dürfen", sagt Handelskam­mer-Präsident Wuttke.

Wichtig wäre auch, dass der Westen an einem Strang zieht. "Die USA und Europa müssen zusammenar­beiten, damit China als guter Teamplayer nach internatio­nalen Regeln spielt, anstatt zu versuchen, seine eigenen Regeln durchzuset­zen", so Wuttke.

Einen kleinen Hoffnungss­chimmer gibt es laut Studie dennoch. Bei den Regierunge­n scheine langsam die Erkenntnis zu reifen, dass ein zunehmende Entkopplun­g für alle Seiten gleicherma­ßen "schmerzhaf­t" wird.

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 ??  ?? Jüngsten Opfer der Entkopplun­g: Chinas größter Chipherste­ller SMIC. Die Firma soll dem Land helfen, bei Halbleiter­n unabhängig zu werden. Doch seit Dezember steht SMIC auf einer schwarzen Liste der USA, was seine Geschäfte enorm erschwert
Jüngsten Opfer der Entkopplun­g: Chinas größter Chipherste­ller SMIC. Die Firma soll dem Land helfen, bei Halbleiter­n unabhängig zu werden. Doch seit Dezember steht SMIC auf einer schwarzen Liste der USA, was seine Geschäfte enorm erschwert

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