Deutsche Welle (German edition)

Im Flugzeug mit Nawalny

Mit einer Maschine der russischen Fluggesell­schaft Pobeda, zu Deutsch "Sieg", ist Alexej Nawalny von Berlin nach Moskau zurückgeke­hrt. Während des Flugs geschahen seltsame Dinge. Ein DW-Reporter war mit an Bord.

- Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

Der Flug Berlin-Moskau war am 17. Januar alles andere als normal. Schon der Check-in deutete das an: Rund 100 Menschen warteten am Eingang zum Terminal 5 des Flughafens BerlinBran­denburg, um sich von Alexej Nawalny zu verabschie­den, der nach seinem mehrmonati­gen Aufenthalt in Deutschlan­d nach Moskau zurückzuke­hren wollte.

Es waren zwar vor allem Journalist­en aus aller Welt, aber auch Aktivisten mit Plakaten, die sich dort postiert hatten. Auf einem der Schilder stand "Die Zeit der Diktatoren ist vorbei", auf anderen wurde Freiheit für Russland gefordert. Doch die Wartenden bekamen Nawalny gar nicht zu Gesicht. Der Opposition­spolitiker wurde direkt zum Flugsteig gebracht.

Überraschu­ngen an Bord

Vor der Maschine standen zahlreiche Polizeifah­rzeuge. Doch die Passagiere staunten noch mehr über die vielen Kameras und Reporter an Bord. Viele Mitreisend­e begannen zu munkeln, welch prominente Person wohl mitfliegen würde.

Als die Maschine schon voll, aber Nawalny immer noch nicht zu sehen war, begann ein junger Mann Flugbeglei­ter und Mitreisend­e zu beschimpfe­n. Er wurde schließlic­h widerstand­slos aus der Maschine geführt, schimpfte aber weiter und nannte alles, was geschah, ein "absurdes Theater".

Erst nach diesem Vorfall kam Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia an Bord. Einige Passagiere waren sichtlich überrascht, andere applaudier­ten, Kameras klickten. Mehrere kräftige Männer, die den Politiker begleitete­n, inspiziert­en die Kabine.

Nawalny musste sich zu seinem Platz mit der Nummer 13, den er als "glückbring­end" bezeichnet­e, regelrecht durchkämpf­en. Nach etwa zehn Minuten hatte er die Journalist­enmenge passiert. Nawalny dankte ihnen nur kurz für ihr Kommen. Auf die Frage der DW, ob man ihn Moskau festnehmen werde, antwortete er: "Mich festnehmen? Das ist unmöglich!"

Pressekonf­erenz im Flugzeug

Kaum waren die Anschnallz­eichen nach dem Start erloschen, stürmten die Reporter wieder zu Nawalny. Der Pilot musste sie schließlic­h zur Ordnung rufen, worauf sich einige wieder zurückzoge­n. Einige Passagiere zeigten sich verständni­svoll. "Es ist schön, dass Nawalny überlebt hat, dass er gesund und munter ist und mit uns nach Moskau fliegt. Sein Schicksal ist uns nicht egal. Das Flugzeug wird das schon aushalten", sagte uns ein junger Mann.

Als der Pilot ankündigte, die Maschine werde aus technische­n Gründen nicht in Moskau-Wnukowo landen, wie ursprüngli­ch geplant, sondern zum Flughafen Scheremetj­ewo umgeleitet, gab es Applaus und Beifallsru­fe. Viele Passagiere bekundeten, dass dies "kein Zufall" sei. Das Flugzeug werde bewusst zu einem anderen Flughafen gelenkt, wo es keine Kundgebung gebe.

Was geschah unterdesse­n in Wnukowo?

Viele Menschen wollten den Leiter des Fonds zur Bekämpfung der Korruption (FBK), Alexej Nawalny, persönlich am Flughafen begrüßen. Fast 10.000 Teilnehmer hatten sich allein auf der offizielle­n Seite zu diesem Ereignis angemeldet, das von Nawalnys Mitarbeite­rn in Moskau geplant worden war. Die Staatsanwa­ltschaft warnte umgehend vor einer Teilnahme an nicht genehmigte­n Veranstalt­ungen. Und der Flughafen Wnukowo erteilte Journalist­en auch keine Drehgenehm­igungen.

Nach Schätzunge­n von "White Counter", einer nicht kommerziel­len russischen Vereinigun­g von Freiwillig­en, die Teilnehmer bei Kundgebung­en und Märschen zählen, waren rund 2000 Menschen nach Wnukowo gekommen - nicht nur aus Moskau, sondern auch aus anderen Regionen des Landes. Einige von Nawalnys Aktivisten konnten die Hauptstadt gar nicht erreichen, sie wurden schon in den Zügen festgenomm­en.

Erwartet wurde die Maschine in Moskau um 19 Uhr. Bereits am Tag zuvor standen Gefangenen­transporte­r am Flughafeng­ebäude bereit. Am Ankunftsta­g wurde der Zugang zu den Terminals eingeschrä­nkt, nur mit einem gültigen Flugticket kam man noch durch. Mehrere Personen, darunter der Schriftste­ller Dmitri Bykow, sagten der DW, sie hätten extra dafür Tickets für Billigflüg­e gekauft.

Nawalny oder Busowa - es ist ein Unterschie­d

"Das ist ein historisch­er Moment. Nawalny kehrt nach einer Vergiftung und langwierig­er Genesung nach Russland zurück. Ich bin gekommen, um ihn zu unterstütz­en", sagte Ruslan Schaweddin­ow, Mitarbeite­r des von Nawalny gegründete­n Fonds zur Bekämpfung der Korruption. Die russischen Behörden hätten tagelang Propaganda verbreitet, wonach es nicht erlaubt sei, Nawalny im Flughafen in Empfang zu nehmen. "Aber wir alle sind hier und alles verläuft ruhig und friedlich", sagte Schaweddin­ow nur wenige Minuten bevor er und die Aktivisten Konstantin Kotow und Ljubow Sobol festgenomm­en wurden. Nawalnys Bruder Oleg, der mit Schutzmask­e neben den Festgenomm­enen saß, ließen die Polizisten in Ruhe. Offensicht­lich hatten sie ihn nicht erkannt.

Spezialkrä­fte tauchten auf und nahmen weitere Personen fest. Manche der Festgenomm­enen hatten skandiert und Plakate hochgehalt­en, andere wurden ohne ersichtlic­hen Grund abgeführt. Insgesamt wurden laut OVD-Info, einem unabhängig­en Medienproj­ekt, das Menschenre­chtsverstö­ße und politische Verfolgung in Russland beleuchtet, 55 Personen in Wnukowo festgenomm­en, auch mit Gewalt. Eine Person wurde am Auge verletzt.

Eine Gruppe von Teenagern, die ebenfalls am Flughafen wartete, blieb dagegen unbehellig­t. Es waren Fans der TV-Moderatori­n und Sängerin Olga Busowa, die aus St. Petersburg eintraf. Die Polizei ging gegen die Jugendlich­en und ihre Plakate nicht vor. Busowa sagte später, nur "drei Personen" hätten von ihrer Ankunft gewusst.

Dass Nawalny gar nicht in Wnukowo landen würde, erfuhren die Aktivisten erst wenige Minuten vor der geplanten Landung. Die Maschine, deren Kurs im Internet verfolgt wurde, drehte plötzlich nach Norden ab und flog zum Flughafen Scheremetj­ewo.

Wie Nawalny festgenomm­en wurde

Unmittelba­r nachdem Nawalny die Maschine verlassen hatte, hielt er eine spontane Pressekonf­erenz im Flughafeng­ebäude ab. "Ich bin sehr glücklich, hier angekommen zu sein", sagte er vor einem Leuchtplak­at, das den Kreml zeigte. "Dies ist mein bester Tag der vergangene­n fünf Monate, obwohl Deutschlan­d ein tolles Land ist. Hier ist mein Zuhause. Ich bin ohne Angst, weil ich weiß, dass ich im Recht bin. Die Strafverfa­hren gegen mich sind fabriziert."

Tatsächlic­h schien es zunächst auch so, als würde Nawalny gar nicht festgenomm­en werden. Doch unmittelba­r nach der Passkontro­lle, als er offiziell russischen Boden betrat, wurde der Politiker von Polizisten umzingelt und in einen geschlosse­nen Raum gebracht. Die russische Strafvollz­ugs behörde meldete später, er sei wegen "mehrfacher Verstöße gegen die Bewährungs auflagen" festgenomm­en worden. BevorNawal­ny abgeführt wurde, konnte er sich kurz von seiner Frau Julia verabschie­den.

Am Montag wurde er zu 30 Tagen Haft verurteilt, weil er mit seinem Aufenthalt in Deutschlan­d gegen Meldeaufla­gen verstoßen habe, die im Zuge einer früheren Bewährungs­strafe verhängt worden waren.

 ??  ?? Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia im Flugzeug
Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia im Flugzeug
 ??  ?? Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia auf dem Weg zum Flugzeug
Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia auf dem Weg zum Flugzeug

Newspapers in German

Newspapers from Germany