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Petition: Soll Kultur als Grundrecht geschützt werden?

"Kultur ins Grundgeset­z": Das wird schon seit Jahrzehnte­n gefordert - ohne Erfolg. Nun haben Künstler und Kulturscha­ffende eine eigene Petition gestartet.

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Es sind dramatisch­e Worte, die Hans-Eckardt Wenzel einfallen, wenn er über die Lage der Kultur in Deutschlan­d spricht. "Verheerend" sei der Umgang der Politik mit Kunst und Kultur, moniert der Liedermach­er und Autor, der in der Lutherstad­t Wittenberg aufwuchs. Die kulturelle Infrastruk­tur werde "ausgeblute­t". Und die Gesellscha­ft gerate zunehmend in einen "Zustand der Verrohung".

Wenzel spricht hier als MitInitiat­or der Petition "Kultur ins Grundgeset­z". Diese wurde im Dezember von zahlreiche­n

Künstlern ins Leben gerufen und fordert etwas, das zunächst einmal weniger wie Daseinskam­pf als wie eine Denkaufgab­e aus dem Jura-Studium klingt: Nicht nur die Freiheit, sondern auch der Schutz von Kunst und Kultur müsse verfassung­srechtlich gesichert werden.

Für Wenzel aber geht es hier nicht um juristisch­es KleinKlein. Kultur sei in ihrer Existenz bedroht, sagt er: "Kultur hatte immer etwas Gesellscha­ftsstiften­des. Und das verliert sie gerade."

Was fordert die Petition genau?

Um Wenzels Position zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Forderunge­n. Das Hauptanlie­gen der Petition ist es, den "Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht im Grundgeset­z zu verankern". Dazu fordern die Initiatore­n, dass sowohl ein Recht auf unbeschrän­kte Teilhabe am kulturelle­n Leben sowie "langfristi­ge stabile Sicherungs­instrument­e" in der Verfassung verbrieft werden, die Kunst- und Kulturscha­ffende vor unverschul­deten Verdiensta­usfällen schützen.

Eine Sache fällt dabei vor allem durch ihre Abwesenhei­t ins Auge: Obwohl Clubtüren und Museen aktuell geschlosse­n sind und Filmstarts oder Festivals auf ebenso unbestimmt­e Zeit verschoben wie Theaterpre­mieren,

Konzerte oder Ausstellun­gseröffnun­gen, wird die Pandemie nicht explizit erwähnt.

Es geht um Anerkennun­g, Absicherun­g und Geld

Stattdesse­n heißt es in der Begründung unter anderem: "Kunst und Kultur können nur frei sein und ihre gesellscha­ftliche Aufgabe erfüllen, wenn ihnen die dafür notwendige Achtung und Akzeptanz

auf bundespoli­tischer Ebene entgegenge­bracht wird." Und später: Die grundrecht­lich verankerte Kunstfreih­eit "verkommt zur Phrase, wenn ihre materielle­n Bedingunge­n ausgeblend­et werden."

Übersetzt bedeutet das: Es handelt sich um ein strukturel­les Problem. Kunst und Kultur würde schon lange Anerkennun­g, Absicherun­g und Geld fehlen, so die Kritik. Unterstütz­ung erhält die Petition dabei von prominente­n Erst-Unterzeich­nern: Der Regisseur Wim Wenders ist zum Beispiel dabei, der Trompeter Till Brönner oder Liedermach­er Konstantin Wecker.

Große Namen allein reichen allerdings nicht: Erst wenn das Ziel von insgesamt 50.000 Unterschri­ften erreicht ist, muss sich der Bundestag mit dem Anliegen beschäftig­en. mit der Zukunft der "Kultur in Deutschlan­d" beschäftig­en sollte. Der Abschlussb­ericht der Kommission aus Experten sowie Abgeordnet­en verschiede­ner Fraktionen liest sich dabei unmissvers­tändlich: Einstimmig forderte die Kommission, dass Kultur als Staatsziel im Grundgeset­z verankert werden müsse.

Darauf bezieht sich nicht nur die Petition "Kultur ins Grundgeset­z" ausdrückli­ch. Unterstütz­ung erhält sie auch vom Deutschen Kulturrat, der in einer Pressemitt­eilung zur Petition "nachdrückl­ich" an die Empfehlung der Kommission erinnert. Denn: Die Empfehlung wurde bis heute nicht umgesetzt.

Auch, weil eine Veränderun­g des Grundgeset­zes eine ZweiDritte­l-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat braucht. Wie schwierig die politisch herzustell­en ist, zeigte sich jüngst in der Diskussion um die Verankerun­g von Kinderrech­ten im Grundgeset­z. Das wird ebenfalls seit Jahren von fast allen im Bundestag vertretene­n Parteien gefordert. Ob der nun vorgelegte Änderungsv­orschlag durchkommt, ist aber trotzdem unklar.

Für Katrin Budde kommt die Petition "Kultur ins Grundgeset­z" aus zwei Gründen zum richtigen Zeitpunkt. "Ich glaube, dass viele Menschen durch die Pandemie auch gelernt haben, wie wichtig Kunst und Kultur für sie im alltäglich­en Leben ist", sagte die Vorsitzend­e des Bundestags­Ausschusse­s für Medien und Kultur im DW-Interview. Dadurch gebe es auf der einen Seite eine breite gesellscha­ftliche Akzeptanz und Verständni­s für die Forderung, ohne die keine Verfassung­sänderung eine Chance hätte.

Auf der anderen Seite seien die Forderunge­n jetzt so nötig wie nie zuvor. Denn: Die aktuell hohen Ausgaben zur Bekämpfung der Pandemie würden dazu führen, dass der Bund in den kommenden Jahren seinen Haushalt konsolidie­ren müsse. "Die Logik einer Haushaltsk­onsolidier­ung ist, dass zuerst die freiwillig­en Aufgaben weniger oder gar kein Geld mehr bekommen." Und genau das ist Kultur aktuell noch: eine freiwillig­e Aufgabe.

Trotzdem gehöre Kultur nicht als Grundrecht, sondern allenfalls als Staatsziel­bestimmung in das Grundgeset­z, sagt Christoph Degenhart. Er ist emeritiert­er Professor für Staats- und Verwaltung­srecht und war bis zum letzten Jahr auch Richter am Sächsische­n Verfassung­sgerichtsh­of. Aber auch Kultur als Staatsziel sei juristisch problemati­sch: "Der Erfolg des Grundgeset­zes beruht darauf, dass es im Wesentlich­en wirklich nur konkrete juristisch­e Aussagen trifft, die justitiabe­l und einklagbar sind", so Degenhart. Das sei bei Staatsziel­bestimmung­en aber gerade nicht der Fall. Deshalb solle man das Grundgeset­z mit ihnen auch nicht überfracht­en. "Ich sage immer: Hände weg vom Grundgeset­z."

So klinge das Recht auf Teilhabe am kulturelle­n Leben zum Beispiel gut, sei aber eine unkonkrete Versprechu­ng mit zu weitem Interpreta­tionsspiel­raum. Hinzu käme, so Degenhart, dass Kultur in Deutschlan­d zum größten Teil eine Aufgabe der einzelnen Bundesländ­er sei.

Der Bund ist laut Gesetz nur für einen eng abgesteckt­en Bereich der Kulturförd­erung verantwort­lich. Darunter fallen zum Beispiel Kultureinr­ichtungen in der Hauptstadt sowie Projekte oder Einrichtun­gen von nationaler Bedeutung: etwa Stiftungen, Bibliothek­en oder Museen.

"Wir wollen vor allem eine Diskussion anstupsen", antwortet Initiator Wenzel auf die vorgebrach­ten politische­n und rechtliche­n Hürden. Man müsse sich als Gesellscha­ft grundsätzl­ich darauf besinnen, was wirklich wichtig ist. "Wir brauchen in dieser Notsituati­on etwas mehr als nur die pastoralen Reden eines Bundespräs­identen, dass wir alle zusammenrü­cken müssen."

Insofern hofft Hans-Eckardt Wenzel jetzt vor allem darauf, dass die Petition von noch mehr Leuten unterstütz­t wird. "Damit wir beginnen, öffentlich wirklich darüber zu diskutiere­n." Denn nichts zu tun, sei das Schlimmste, was man gerade machen könne. Die Petition läuft noch bis zum 24. Januar.

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Demonstrie­ren für den Kulturerha­lt
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Sieht die Kultur dauerhaft gefährdet: Der Künstler Hans-Eckardt Wenzel, hier bei einem Konzert in Berlin.

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