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QAnon ohne Donald Trump - eine deutsche Nahaufnahm­e

Wie gefährlich die Verschwöru­ngstheorie QAnon ist, hat der Sturm auf das US-Kapitol gezeigt. Auch in Deutschlan­d gibt sich die Q-Bewegung kämpferisc­h - und hält am scheidende­n Donald Trump fest. Eine DWRecherch­e.

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Das "Danke" der Frau hat insgesamt sieben A‘s. Sie ist bewegt, begeistert, beseelt von dem Mob, der sich gerade in Washington formiert, um wenig später das Kapitol zu stürmen.

"Sie kämpfen vor dem Capitol FÜR UNS ALLE! WAS FÜR MUTIGE MENSCHEN!

DAAAAAAANK­ESCHÖN!" Dahinter drei rote Herz-Emojis.

Es ist der 6. Januar 2021, 19:31 Uhr deutscher Zeit.

Eine Nachricht, gepostet in der deutschen Gruppe "Q Patrioten 24!!". Die DW beobachtet diese Gruppe, die sich über den beliebten Messenger-Dienst Telegram organisier­t und austauscht, schon seit mehreren Monaten.

Hier schreiben glühende Trump-Anhänger. Sie glauben daran, dass ihr Idol bei der Präsidents­chaftswahl im November um den Sieg betrogen wurde – durch eine in ihren Augen pädophile Politelite, die Fake News-Medien und korrupte Wirtschaft­sbosse. Der Kern der QAnon-Verschwöru­ngstheorie.

Mit ruhiger und tiefer Stimme spricht der Mann, dessen Identität der DW bekannt ist. Im Chat nennt er sich ‘Connectis‘, im wahren Leben ist er höchstwahr­scheinlich Geschäftsf­ührer einer Immobilien­firma in der Nähe von Berlin. Connectis ist einer der Administra­toren der Gruppe – und der aktivste.

Er redet vom "Showdown", vom "Finale", das jetzt beginne, vom "größten Diebstahl einer Wahl in der Menschheit­sgeschicht­e". Joe Biden, das sei ein Verbrecher, der niemals Präsident werde. Dafür würde "nicht nur Trump sorgen", sondern auch "andere Patrioten, die wir auch im Militär finden".

Immer wieder geht es um "Verrat" am Präsidente­n. Um mutmaßlich­e Beweise gegen Trumps Gegner, die nun "komplett vervollstä­ndigt" seien. Konkreter wird Connectis aus dem deutschen Bundesland Brandenbur­g nicht. die Gruppe vor allem zwei weitere Themen: Mitglieder leugnen die Corona-Pandemie und wettern gegen die Impfkampag­ne. Auch antisemiti­sche Inhalte tauchen öfter auf.

Ihren Postings zufolge beteiligen sich einige der "Q Patrioten 24!!” an Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona- Pandemie. Auch während der versuchten Erstürmung des Reichstags­gebäudes Ende August 2020 waren Mitglieder vor Ort in Berlin, darunter offenbar Connectis. Das legen Videos und andere Inhalte nahe, die der Administra­tor an diesem Tag in die Gruppe schickt.

Die QAnon-Bewegung scheint in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen zu sein. DWAnalysen zufolge deckt die untersucht­e Gruppe ein breites gesellscha­ftliches Spektrum ab. Zu den Mitglieder­n zählen Geschäftsl­eute, Mittelstän­dler und Bankangest­ellte. Aber auch Schauspiel­er und spirituell­e Trainer. Es sind ungefähr gleich viele Frauen vertreten wie Männer.

Die "Q Patrioten 24!!" haben Inhalte von mehr als 300 QAnonnahen anderen Telegram-Gruppen in Deutschlan­d in ihrem Chat geteilt. Außerdem sind sie mit fast 5000 Telegram-Gruppen vernetzt, allesamt aus dem Spektrum der Verschwöru­ngstheoret­iker und Corona-Skeptiker sowie aus dem rechtsextr­emen Umfeld.

Auch einige der prominente­sten deutschen Verschwöru­ngstheoret­iker und rechten Influencer haben Inhalte aus der Gruppe weiter geteilt. Zum Beispiel Eva Herman, früher eine bekannte Nachrichte­nsprecheri­n der ARD-Tagesschau. Insgesamt haben Nachrichte­n aus dem Chat der eher kleinen Gruppe "Q Partrioten 24!!" so geschätzt bis zu 200.000 Personen erreicht.

In Deutschlan­d ist QAnon innerhalb weniger Monate stark gewachsen. Vor 2020 war sie n i c h t meh r al s ei n N i - schenphäno­men. Heute ist die deutsche Community die größte au ße r h al b d e s englischsp­rachigen Raums.

"Die (Corona-)Pandemie erzeugt eine Unsicherhe­it wie sie die meisten Menschen noch nie erlebt haben. Die Verschwöru­ngserzählu­ng bietet ihnen ein Gefühl der Kontrolle und wirkt sinnstifte­nd", erklärt QAnonExper­tin Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. Besonders attraktiv sei das Mitmach-Element: "Es ist quasi eine Open SourceVers­chwörung." Jeder soll recherchie­ren und interpreti­eren und so immer tiefer eintauchen.

Der in Dubai ansässige Messenger-Dienst Telegram ist dabei besonders beliebt, denn hier werden selbst extreme Meinungen nur sehr selten geahndet.

Einer der größten deutschen Q-Kanäle auf Telegram hatte Mitte März 2020 rund 21.000 Abonnenten. Drei Monate später waren es bereits über 111.000. Stand heute: knapp 164.000. Die Amadeo Antonio Stiftung schätzt die Zahl der deutschen Q-Unterstütz­er aktuell auf mindestens 150.000 - Tendenz steigend.

Offizielle Zahlen liegen nicht vor. Es gebe eine "Vielzahl von Homepages, Blogs und YouTube-Kanälen, deren Reichweite aber weder zu quantifizi­eren noch zu qualifizie­ren ist", so eine Sprecherin des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz gegenüber der DW.

Die Q-Verschwöru­ngstheorie bietet ihren Anhängern klare Feindbilde­r und erhebt sie zu

Kämpfern gegen das Böse. Hinter allem steht das Phantom "Q". Der anonyme Q soll angeblich ein hoher US-Regierungs­angestellt­er im Energiemin­isterium sein - mit direktem Zugang zu Donald Trump.

Seit 2017 veröffentl­icht er im Internet kryptische Botschafte­n – sogenannte Q-Drops. Knapp 5000 sind es mittlerwei­le. Für die Community sind sie so etwas wie Bibel-Verse, die es zu analysiere­n gilt.

Seit dem 8. Dezember hat Q sich nicht mehr zu Wort gemeldet. Auch nicht nach dem Sturm auf das Kapitol.

Bei den "Q Patrioten 24!!" stellen die Ereignisse von Washington das Vertrauen einiger Anhänger auf die Probe. Am 9. Januar, drei Tage nach der Erstürmung des Kapitols, schreibt ein Mitglied:

"Ich glaube, wir haben auf breiter Front verloren, sorry, ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels."

Doch Zweifel werden in der Gruppe nicht toleriert. Es gibt nur schwarz und weiß in dieser Telegram-Blase. Man ist entweder Trump-Befürworte­r oder Q-Abtrünnige­r:

"Spreu von Weizen trennen, jetzt hat sich jeder geoutet: Patriot oder Verräter. Jetzt wird der Sockel der Pyramide abgetragen. Alles läuft nach Plan!"

Gruppen-Administra­tor Connectis befeuert diese Überzeugun­g.

Am 16.01 postet er nachts um kurz vor drei Uhr seine bislang letzte Audiobotsc­haft:

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29. August 2020: der versuchte Sturm auf den Reichstag während einer Demonstrat­ion gegen die staatliche­n CoronaMaßn­ahmen

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