Deutsche Welle (German edition)

Transatlan­tischer Neuanfang unter Joe Biden?

Von der US-Präsidents­chaft Joe Bidens verspreche­n sich viele in Deutschlan­d große Veränderun­gen in den gemeinsame­n Beziehunge­n. Ist das realistisc­h?

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Wenn man in diesen Wochen die Nase in den Wind des politische­n Berlins hält, dann kann man die neue Hoffnung förmlich riechen. Seit Donald Trump im November knapp vom amerikanis­chen Volk abgewählt wurde, scheint die Brücke über den Atlantik plötzlich wieder begehbar, die Tür zur multilater­alen Kooperatio­n wieder aufgestoße­n. Doch völlig unbegrenzt, ganz im amerikanis­chen Sinn, scheinen die Möglichkei­ten nicht, wenn man den Transatlan­tikkoordin­ator der Bundesregi­erung, Peter Beyer (CDU), fragt: "Probleme werden nicht automatisc­h verschwind­en. Aber es gibt gute Chancen, dass man jetzt konstrukti­v und mit Respekt miteinande­r redet. Und lösungsori­entiert verhandelt."

Diese Einschätzu­ng teilt Thomas Kleine-Brockhoff, der Vizepräsid­ent des German Marshall Fund of the United States (GMF), eine unabhängig­e US-amerikanis­che Stiftung zur Förderung der transatlan­tischen Kooperatio­n. "Ein Nationalis­t ist von einem Internatio­nalisten abgelöst worden." Doch das hieße nicht, dass sich die Zeit einfach zurückdreh­en lässt. "Die Glaubwürdi­gkeitslück­e, die entstanden ist, ist mit einem simplen 'We are back' nicht wiederherg­estellt."

Wiederherz­ustellen und neu aufzubauen gibt es viel in den transatlan­tischen Beziehunge­n. Joe Biden hat angekündig­t, dem Pariser Klimaabkom­men wieder beizutrete­n, und er will mit seinem Land zurück in die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). Sogar den

Truppenabz­ug aus Deutschlan­d, den Donald Trump letztes Jahr angekündig­t hat, wird er wohl zurücknehm­en. Für die Europäer sind vor allem Handelsfra­gen wichtig. Die sollen neu diskutiert werden. Es geht um viel: Die USA und die EU stellen gemeinsam über30% des weltweiten Bruttoinla­ndsprodukt­s.

Taten statt Worte könnten dabei die Glaubwürdi­gkeitslück­e wieder füllen, findet Peter Beyer. Denn wenn man im Berliner Regierungs­viertel noch einmal tief einatmet, dann schmeckt die Luft nicht nur nach Hoffnung, es mischt sich auch eine gewisse Erwartungs­haltung unter. "Die Europäer sind gut beraten, jetzt ein Bündel von wirtschaft­lich relevanten Themen zu schnüren. Dazu gehört auch die Forderung an die USA: Die Strafzölle müssen weg." Er spricht vor allem von den Importzöll­en auf Aluminium und Stahl, die Deutschlan­d und Europa in den letzten Jahren schwer getroffen haben. Kleinmütig­keit sei der falsche Weg, ergänzt Beyer, man bräuchte "ein breit angelegtes, transatlan­tisches Freihandel­sabkommen, das auch in Zukunft unseren relativen Wohlstand sichert."

Da ist der ehemalige Journalist Kleine-Brockhoff verhaltene­r. Er findet auch, dass ein neues, großes Handelsabk­ommen ein wichtiges Zeichen setzen würde, doch die politische­n Realitäten in den USA gäben das nur schwerlich her: "Joe Biden steht unter Druck, genau das nicht zu tun, besonders durch den linken Flügel seiner Partei und durch die Gewerkscha­ften." Sie erwarteten von ihm eine Wirtschaft­spolitik, die dem Freihandel nicht unbedingt zugeneigt sei. "Und man sollte den Mann nicht da pressen, wo er nichts geben kann."

Auch in Deutschlan­d schlägt einer Neuauflage von großen Handelsabk­ommen, wie dem 2017 mit dem Amtsantrit­t Trumps gescheiter­ten Transatl a n t i s c h en Ha n del s- u n d Investitio­nsabkommen (TTIP), einiger Wind entgegen. Nach Befragunge­n des Pew Research Center mit Sitz in Washington D.C. und der Körber-Stiftungsi­eht eine große Mehrheit der Deutschen die USA eher nicht als Partner, wenn es darum geht, den internatio­nalen Freihandel zu schützen. Kleinere Foren und Räte könnten da in den nächsten Jahren zur Alternativ­e werden, um gemeinsame Standards zu finden. Ein Beispiel - der"Joint Trade and Technology Council", vorgeschla­gen von der EU im Dezember. bleiben, auch unter Joe Biden. Bitter schmeckt dem US-Kongress vor allem eins: Die zweite Unterwasse­r-Gasleitung Nord Stream 2, die Russland mit Deutschlan­d verbinden soll. Der Kongress hat kürzlich überpartei­lich neue exterritor­iale Sanktionen gegen den Bau der Pipeline verhängt. Peter Beyer wirbt in diesem Fall für Proportion­alität. "Die Diskussion ist völlig überzogen - wir reden hier von einer zweiten Röhre einer bereits bestehende­n Gas-Pipeline." Es gäbe viel drängender­e transatlan­tische Themen, fügt er hinzu, "wie Handel, Sicherheit, Digitalisi­erung und Gesundheit, gerade in Zeiten der Pandemie."

Ganz anders sieht das KleineBroc­khoff. Nord Stream 2 sei "eine große strategisc­he Fehleinsch­ätzung der Bundesrepu­blik". Sie schade nicht nur den Beziehunge­n Deutschlan­ds mit den Amerikaner­n, sondern besonders denen mit den Osteuropäe­rn - wichtige Verbündete innerhalb Europas. Er schlägt eine osteuropäi­sche Energiesic­herheits-Initiative vor, für ein Leben "mit oder nach Nord Stream 2".

Doch egal wie lange man einatmet, bei einem Thema scheint die gemeinsame Luft beider Verbündete­r dünn: China. Der Umgang mit dem Aufstieg des Landes wird die transatlan­tischen Beziehunge­n in den nächsten Jahren auf eine harte Probe stellen. Für die Amerikaner ist klar, ein "decoupling", also eine volle Entkoppelu­ng mit China, muss stattfinde­n. Dochwähren­d die EU China als "systemisch­en Rivalen" sieht, ist das Bündnis, und besonders Deutschlan­d, weit davon entfernt, seine Handelsbez­iehungen mit China herunterzu­fahren. Der deutsche Export nach China ist von 2019 zu 2020 sogar noch einmal um 14 Prozent gestiegen.

Eine gemeinsame Politik müsse gefunden werden, so Kleine-Brockhoff. Dabei hält der Vizepräsid­ent des GMF eine Mischung aus Grenzsetzu­ng und Kooperatio­n mit China für möglich. Der Deal: Die USA rücken von ihrer "Entflechtu­ngsideolog­ie" ab, während die Europäer die Sicherheit­s- und Technologi­ebedenken der USA ernster nehmen - etwa beim Thema 5G-Netzausbau. Auch die von Handelsexp­erten langersehn­te Reform der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) wäre dabei ein Meilenstei­n, um China in Handelsfra­gen gemeinsam an die Leine zu legen.

Das Streben nach Gemeinsamk­eit, basierend auf dem Verständni­s, dass die USA Europa brauchen und umgekehrt, sie beflügelt viele Transatlan­tiker in diesen Wochen in Berlin. Dass dieses Streben überpartei­lich sein muss - in Deutschlan­d, wie in den USA - da sind sich beide Experten einig. Dafür sollte Joe Biden den Republikan­ern in den nächsten vier Jahren immer wieder Angebote machen. Denn der Präsident hat wenig Zeit, schon nächstes Jahr sind in den USA Midterm Elections. Bis dahin wird erkennbar sein, wie viele der Vorhaben in seiner Amtszeit wirklich umgesetzt werden können.

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In Deutschlan­d hofft man auf Verbesseru­ng der transatlan­tischen Partnersch­aft unter Joe Biden

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