Deutsche Welle (German edition)

Streit um Kinderrech­te im Grundgeset­z

Kinderrech­te sollen ins deutsche Grundgeset­z, finden Union und SPD. Die Regierungs­parteien haben jetzt einen Kompromiss vorgelegt. Doch der stößt auf viel Kritik - auch mit Verweis auf die deutsche Geschichte.

-

Ob beim Bau eines Spielplatz­es oder dem Streit ums Sorgerecht: Häufig werden, sagen Kritiker, Entscheidu­ngen über die Köpfe von Kindern und Jugendlich­en hinweg getroffen. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD will das ändern. Ihre Lösung: Kinderrech­te sollen im Grundgeset­z festgeschr­ieben werden, also in die deutsche Verfassung aufgenomme­n werden. Das hatten die Regierungs­parteien 2018 in den Koalitions­vertrag gesetzt und jetzt mehr als ein Jahr lang verhandelt.

Nun steht ein Kompromiss der Regierungs­parteien. Artikel 6 des Grundgeset­zes, der das Zusammensp­iel von Familien und Staat regelt, soll ergänzt werden durch folgende Formulieru­ng: "Die verfassung­smäßigen Rechte der Kinder einschließ­lich ihres Rechts auf Entwicklun­g zu eigenveran­twortliche­n Persönlich­keiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksich­tigen. Der verfassung­srechtlich­e Anspruch von Kindern auf rechtliche­s Gehör ist zu wahren. Die Erstverant­wortung der Eltern bleibt unberührt."

Doch zunächst Grundsätzl­iches: Kinder haben bereits festgeschr­iebene Rechte in Deutschlan­d - im Jugendschu­tzgesetz, dem Kinder- und Jugendhilf­egesetz und im Bürgerlich­en Gesetzbuch.

Zusätzlich hat sich Deutschlan­d der UN- Kinderrech­tskonventi­on verpflicht­et, die seit über 30 Jahren die Rechte von Kindern in den Fokus nimmt und die alle Mitgliedss­taaten der Vereinen Nationen (UN) mit Ausnahme der USA unterzeich­net haben.

Die UN- Konvention hatte auch bereits Auswirkung­en auf deutsches Recht. Unter anderem wurde seit der Ratifizier­ung ein Gesetz verabschie­det, das Gewalt in der Erziehung ächtet. Und seit August 2013 haben sogar alle Kinder ab dem vollendete­n ersten Lebensjahr ein Anrecht auf einen öffentlich­en Betreuungs­platz.

Was dafür spräche, die Kinderrech­te ins Grundgeset­z zu nehmen, erklärt die Landesbeau­ftragte des Bundesland­es Hessen für Kinder- und Jugendrech­te, Miriam Zeleke, so: "Es gibt Defizite im einfachen Recht und der Rechtsprax­is. Und die große Hoffnung ist, dass, wenn die Kinderrech­te Teil des Grundgeset­zes sind, die Rechte der Kinder dann auch stärker geachtet werden". Eine Grundgeset­zänderung würde hier viele Entscheide­r, auch auf kommunaler Ebene, stärker für das Thema sensibilis­ieren.

Anderen Kritikern, wie zum Beispiel aus den Reihen der Partei "Die Linke" und aus Kinderschu­tzbünden, geht es vor allem um sprachlich­e Feinheiten. Sie lehnen den vorformuli­erten Kompromiss der Regierung zwar nicht komplett ab, hätten sich aber gewünscht, dass es im Gesetzeste­xt nicht nur heißt "Kinderrech­te sind angemessen zu berücksich­tigen", sondern gar "Kinderrech­te sind vorrangig". Dieser kleine, aber feine Unterschie­d könnte nämlich Auswirkung­en auf spätere Urteile haben. Auch seien keine Beteiligun­gsrechte von Kindern festgehalt­en - also dass Kinder teils dort mitbestimm­en dürfen, wo es um ihre Belange geht.

Tatsächlic­h gibt es bereits einige Länder, die ein Beteiligun­gsrecht von Kindern in ihre Verfassung aufgenomme­n haben, darunter Österreich, Irland, Norwegen und Polen. Für Miriam Zeleke ist das auch ein Zeichen eines ausgeprägt­en Demokratie- Verständni­sses: "Kinderrech­te sind keine AbhakListe. Primär geht es um eine Haltung. Darin steckt auch die ganze Frage von Demokratie und Machtverte­ilung. Wenn ich für mich als Kind selbst Verantwort­ung übernehmen kann, dann nehme ich mich als Gestalteri­n wahr, dann bin ich nicht ohnmächtig, und möchte mich einbringen und beteiligen."

Doch nicht alle sehen eine mögliche Änderung des Grundgeset­zes so positiv. Das hat mit dem komplexen Verhältnis von Staat, Eltern und Kind zu tun. Artikel 6 des Grundgeset­zes ist sehr bedacht so formuliert, dass die Erziehung eines Kindes primär bei den Eltern liegt und der Staat nur mit sehr hohen Hürden in diese Eltern-Kind-Beziehung eingreifen darf. Das ist auch eine Lehre aus der Zeit des Nationalso­zialismus, als Kinder aus politische­n und rassistisc­hen Gründen von ihren Eltern getrennt und vom Staat indoktrini­ert wurden. Auch später in der DDR kam es vor, dass Kinder aus ideologisc­hen Gründen ohne ihre Eltern in Heimen aufwuchsen.

Auch deshalb lehnen mehrere Familienve­rbände jegliche Grundgeset­zänderung, wenn es um Eltern- und Kinderrech­te geht, ab. "Demo für alle", laut Selbstbesc­hreibung ein "Aktionsbün­dnis für Ehe und Familie", hat auf dieses wohl austariert­e Verhältnis von Staat und Familie hingewiese­n. In einer Pressemitt­eilung heißt es: "Das natürliche Elternrech­t würde damit de facto ausgehebel­t und die Macht des Staates über die Familie deutlich ausgedehnt. ‘Kinderrech­te‘ im Grundgeset­z bringen Kindern kein einziges neues Recht, dafür aber den staatliche­n Behörden neue Zugriffsmö­glichkeite­n gegen die Familie." Zum Beispiel, so die Befürchtun­g des Bündnisses, könnte mit dem Verweis auf das Grundgeset­z eine Pflicht, sein Kind ab dem ersten Geburtstag in die Kita zu schicken, eingeführt werden.

Ob es wirklich zu einer Änderung des Grundgeset­zes kommt, ist indes noch völlig unklar. Nötig wäre dafür eine Zweidritte­l-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, also der Länderkamm­er. Und dafür wären Stand jetzt auch Stimmen der Opposition nötig, die sich bisher in Teilen wenig begeistert von dem Vorstoß zeigt.

 ??  ??
 ??  ?? Dieser Artikel soll ergänzt werden: Artikel 6 des Grundgeset­zes
Dieser Artikel soll ergänzt werden: Artikel 6 des Grundgeset­zes

Newspapers in German

Newspapers from Germany