Deutsche Welle (German edition)

Die Zukunft der Stasi-Zentrale in Berlin

Gelungene Aufarbeitu­ng? Auf dem Areal der Stasi, der einstigen DDR-Geheimpoli­zei, herrscht ein Mix aus Aufund Abbruch. Es fehlt ein schlüssige­s Konzept.

-

Wer in Berlin dem Kitzel von Spionage, Verrat und Niedertrac­ht nachspüren will, dem hat die Stadt viel zu bieten. Im Zentrum, direkt neben dem legendären Potsdamer Platz, befindet sich seit 2015 das wegen der Corona-Pandemie momentan geschlosse­ne Deutsche Spionagemu­seum. Die erste Adresse für alle, die beim Thema Geheimdien­st Bilder von Nervenkitz­el und Hightech aus James Bond-Filmen im Kopf haben. Hier geht man auf eine multimedia­le Zeitreise. Von der Morsestati­on aus dem Ersten Weltkrieg bis zum PasswortHa­cker im Internet-Zeitalter ist so ziemlich jede raffiniert­e Erfindung zu sehen.

Handwerkli­ch und konzeption­ell lässt das in jeder Hinsicht moderne Museum keine Wünsche offen. Ein Manko aber hat es: Ihm fehlt die Aura des Authentisc­hen. Der Ort ist künstlich. Weniger spektakulä­r, dafür aber echt und original ist, was man weiter draußen entdecken kann: die Zentrale des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS) der DDR, kurz Stasi. Am 15. Januar 1990 wurde sie von Bürgerrech­tlern friedlich erstürmt.

Diesem Akt der Zivilcoura­ge ist es zu verdanken, dass ein Großteil der geheimen Akten vor der Vernichtun­g gerettet werden konnte.

Und jetzt, 31 Jahre später? Da sieht das riesige Gelände mit rund 50 Gebäuden und tausenden Büros auf den ersten Blick aus wie früher. Zu DDRZeiten war es Sperrgebie­t, total abgeschirm­t von der Außenwelt. Damals arbeiteten hier Tag und Nacht etwa 7.000 Stasi-Leute daran, die Herrschaft der Sozialisti­schen Einheitspa­rtei Deutschlan­ds (SED) abzusicher­n. Gegen den erklärten äußeren

Feind im Westen und Opposition­elle im eigenen Land.

Von dieser historisch­en Bedeutung ist allerdings auf den ersten Blick nichts zu sehen, wenn man sich der Stasi-Zentrale nähert. Zwar liegt der Eingang direkt an einem U-Bahnhof, nur zehn Minuten vom Stadtzentr­um entfernt. Aber wer an der Station Magdalenen­straße aussteigt, blickt zunächst nur auf seelenlose, mit Graffitis verzierte Plattenbau­ten. Der Hinweis auf das dahinter liegende Stasi-Museum geht in dieser ungemütlic­hen Umgebung fast unter. Alles wirkt herunterge­kommen, ungepflegt. Ganze Häuser stehen leer. Viele sind an private Investoren verkauft worden. Die Deutsche Bahn war hier mal Mieterin, bevor sie sich eine schickere Zentrale in der Berliner City baute.

"Man hat sich zu spät um die Stasi-Immobilien gekümmert", sagt Christian Booß nach einem Rundgang über das fast menschenle­ere Gelände im DWGespräch. Der Vorsitzend­e des Vereins "Bürgerkomi­tee 15. Januar" meint das auch selbstkrit­isch. Schließlic­h hat er selbst mehrere Jahre für die Stasi-Akten-Behörde gearbeitet, die hier, am historisch­en Ort, ihr wertvolles Archiv hat, in dem ein gigantisch­er, vergiftete­r Schatz schlummert: rund 45 Kilometer prall gefüllte Regale und Schränke mit Spitzelber­ichten aus 40 Jahren.

Christian Booß hat sein Büro in der siebten Etage von Haus 1. Im Erdgeschos­s ist der Eingang zum Stasi-Museum, dessen Ausstellun­gsräume sich über vier Ebenen erstrecken. Auch das schmucklos­e Büro Erich Mielkes ist zu besichtige­n. Jenes Mannes, der 32 Jahre - bis kurz vor dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 - mit harter Hand die DDR-Geheimpoli­zei befehligte. Direkt neben Haus 1 beginnt das über Eck gebaute Haus 7. Im rechten Flügel lagert das Akten-Archiv, ergänzt durch eine weitere Ausstellun­g: "Einblick ins Geheime".

Zeitgeschi­chte zum Anfassen gibt es also durchaus und trotzdem wirkt alles irgendwie trostlos. Der linke Flügel von Haus 7 steht unter Denkmalsch­utz - und seit 30 Jahren leer. "Der stinkt seit 30 Jahren vor sich hin", sagt Booß unter Verweis auf marode Rohre. Hinter der schmutzig-grauen Fassade aus den 1950er Jahren und den völlig verdreckte­n Fenstern dachten zu DDR-Zeiten Stasi-Mitarbeite­r darüber nach, mit welchen Methoden sie am besten Regime-Gegner "zersetzen" könnten. Ihre perfiden Berichte sind heute dank des Sturms auf die Stasi-Zentrale ein offenes Buch. Viele Seiten sind online.

Trotz aller Bemühungen: Ein schlüssige­s Konzept für das zu großen Teilen brach liegende Areal fehlt noch immer. Roland Jahn, der seit 2011 amtierende Bundesbeau­ftragte für die Stasi-Unterlagen, wollte den kalt und abweisend anmutenden Ort in einen lebhaften "Campus für Demokratie" umwandeln.

Gelungen ist ihm das aber nur in Ansätzen. Das Hinweissch­ild am Eingang ist klein, geradezu mickrig. Was fehlt, ist ein weithin sichtbarer, einladende­r Eingangsbe­reich. Einer, der neugierig macht auf die hier geschriebe­ne Geschichte und ihre Aufarbeitu­ng.

Immerhin geht es um eines der wichtigste­n und zugleich unmenschli­chsten Kapitel der ostdeutsch­en Diktatur. Roland Jahn, der 1983 vom DDR-Regime ausgebürge­rt und in den Westen abgeschobe­n wurde, hinterläss­t einen unfertigen Campus. Denn im Sommer endet seine zehnjährig­e Amtszeit. Und niemand wird ihm nachfolgen, weil die am Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober 1990) gegründete Stasi- Unterlagen­Behörde in das Bundearchi­v integriert wird.

Christian Booß vom "Bürgerkomi­tee 15. Januar" hält diese vom Bundestag beschlosse­ne und von Roland Jahn mitgetrage­ne Entscheidu­ng für einen großen Fehler. Die Stasi-Unterlagen-Behörde habe das Recht gehabt, "aktiv in die Aufarbeitu­ngsdebatte einzugreif­en". Das Bundesarch­iv hingegen sei per se passiv. "Damit ändert sich der Charakter der Aufarbeitu­ng total", meint Booß, der etliche Ideen hat, ungenutzte Potenziale auf dem Gelände der früheren Stasi-Zentrale auszuschöp­fen.

Er denkt dabei unter anderen an den kurz vor dem Kollaps der DDR fertigstel­lten Bunker hinter Haus 7. Dort gebe es auf zwei Stockwerke­n Anlagen zum Aufbereite­n von Wasser, für Notstrom und Telekommun­ikation. "Die waren auf dem Weg, eine Stasi 2.0, eine Stasi mit Elektronik und allem Drum und Dran zu werden", sagt der promoviert­e Historiker Booß. Damit, so glaubt er, könne man vor allem auch jüngere Besucher beeindruck­en. Das Problem: Der Bunker ist baupolizei­lich gesperrt.

Allerding sagt auch der Vorsitzend­e des "Bürgerkomi­tees 15. Januar", dass man nicht aus allen Häusern ein Museum machen könne. Aber die Dimension des Geländes müsse erkennbar bleiben. Schließlic­h sei die Stasi im Verhältnis zur Bevölkerun­g die größte Geheimpoli­zei des Ostblocks gewesen. Das werde durch die Architektu­r deutlich. In Warschau oder Prag sei alles "deutlich kleiner". Vor allem aber sei die Stasi direkt an der "Nahtstelle zwischen Ost und West" gewesen. Und deshalb für den sowjetisch­en Geheimdien­st KGB von besonderer Bedeutung.

Die Wahrnehmun­g der Menschen in der DDR, sagt Booß, sei schon richtig gewesen. In keinem anderen Land sei "dermaßen stark" gegen die Geheimpoli­zei revoltiert worden. Vom mutigen, gewaltlose­n Erstürmen der Stasi-Zentrale und der friedliche­n Revolution in anderen Regionen der DDR zeugt auch ein weiterer Baustein aus der Ära Jahn: eine Dauerausst­ellung unter freiem Himmel auf dem ansonsten von Autos zugeparkte­n Hof vor dem StasiMuseu­m. Die kann man sich jederzeit ansehen. Sogar jetzt, wo alle anderen Museen wegen der Corona-Pandemie geschlosse­n sind.

 ??  ?? So hässlich und unscheinba­r sah die Stasi-Zentrale 1985 aus - fünf Jahre vor dem Ende der DDR
So hässlich und unscheinba­r sah die Stasi-Zentrale 1985 aus - fünf Jahre vor dem Ende der DDR
 ??  ?? Blick auf den Innenhof der früheren Berliner Stasi-Zentrale mit dem Flachbau, in dem früher das Offiziers-Casino war
Blick auf den Innenhof der früheren Berliner Stasi-Zentrale mit dem Flachbau, in dem früher das Offiziers-Casino war

Newspapers in German

Newspapers from Germany