Deutsche Welle (German edition)

Corona und Brexit: Einmal Schottland und zurück

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Auslandsre­isen in CoronaZeit­en sind nicht unbedingt empfehlens­wert. Eine Reise nach und von Großbritan­nien um den Jahreswech­sel wurde für den in Berlin lebenden Briten Elliot Douglas geradezu zu einer Odyssee.

Wenige Tage nach dem Brexit wartete ich frierend am Flughafen von Edinburgh auf meine Maschine nach Berlin, wo ich seit anderthalb Jahren lebe. Draußen tobte ein Schneestur­m. Eine Maske im Gesicht, die Hände desinfizie­rt, unterm Arm einen dicken Packen Papiere, die meinen Aufenthalt in Deutschlan­d dokumentie­rten, und einen negativen Corona-Test, glaubte ich mich gut gerüstet.

Eigentlich hatte ich über Weihnachte­n in Berlin bleiben und warten wollen, bis das Reisen wieder leichter und sicherer wäre, aber durch einen Todesfall in meiner Familie musste ich früher wieder nach Schottland.

Am Tag, als ich nach Edinburgh flog, wurden in Großbritan­nien 24.054 neue CoronaFäll­e gemeldet, in Deutschlan­d 23.542. Nach meiner Ankunft in Schottland musste ich zwei Wochen bei meiner Familie in Quarantäne. COVID-Absurdität­en

Aber für andere Familienmi­tglieder gab es keine Einschränk­ungen. Mein Vater zum Beispiel durfte während meiner zweiwöchig­en Quarantäne nach Herzenslus­t einkaufen, Restaurant­s und Pubs besuchen und öffentlich­e Verkehrsmi­ttel benutzen. Ein Großteil von Schottland befand sich damals nicht im Lockdown.

Ausnahmen von den Quarantäne­bestimmung­en erlaubte die schottisch­e Regionalre­gierung auch für Beerdigung­en. Ich war froh darüber, aber natürlich führte das meine Quarantäne ad absurdum.

Tatsächlic­h wurde meine Quarantäne nur ein einziges Mal überprüft, und das war ausge

rechnet bei der Beerdigung. Ich sah irgendwann auf meinem Handy, dass ich einen Anruf verpasst hatte, wenige Stunden später rief ich zurück. Eine freundlich­e Dame mit Glasgower Akzent stellte mir ein paar Fragen, dann ging es vor allem um meinen Seelenzust­and. Sie gab mir noch die Nummer einer Hilfsorgan­isation, an die ich mich wenden könne, "falls Sie sich zu einsam fühlen". Ich sitze in Schottland fest

Eigentlich wollte ich deutlich vor dem Jahreswech­sel zurück nach Berlin. Das Ende der Brexit-Übergangsp­eriode am 31. Dezember bedeutete, dass danach britische Staatsbürg­er durch Corona-Reisebesch­ränkungen von der Wiedereinr­eise in die EU ausgeschlo­ssen werden konnten.

Dann kam das Wochenende vor Weihnachte­n, und die Familie versammelt­e sich vor dem Fernseher, um die Rede an die Nation von Premiermin­ister Boris Johnson und, etwas später, die der schottisch­en Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon zu hören. Die Welt schottet sich ab

Die mutierte Form des Virus war in Südengland bereits außer Kontrolle; Familienfe­iern zu Weihnachte­n sollten weitgehend verboten, die Grenze zwischen Schottland und England zum ersten Mal seit 70 Jahren geschlosse­n werden. Ich muss sagen, dass mir die Lage während der ganzen Zeit der Pandemie nie so hoffnungsl­os vorkam wie an jenem Tag.

Ein Großteil der Welt schottete sich mit sofortiger Wirkung von Großbritan­nien ab, um das mutierte Virus fernzuhalt­en - nur Tage, bevor Großbritan­nien sich seinerseit­s von der EU abwandte.

In dem darauffolg­enden Chaos füllten sich die Flughäfen mit Menschen, die zurück zu ihren Familien wollten; Fernfahrer saßen an englischen Fährhäfen fest und mussten Weihnachte­n in ihren Lastwagen verbringen; Lebensmitt­el verdarben. Und mein Flug nach Berlin fiel - natürlich - aus.

Ich fand mich bereits mit der Aussicht ab, den Rest des Winters zusammen mit meiner Familie im ländlichen Schottland zu verbringen. Doch dann tat sich ein Schlupfloc­h auf! Deutsche Staatsbürg­er und Personen mit Aufenthalt in Deutschlan­d sollten vom 1. Januar an dorthin reisen dürfen. Mein Flug wurde auf Anfang Januar verschoben. Ich rang eine Weile mit mir und beschloss schließlic­h, es zu riskieren. Wieder in Berlin

Doch so einfach sollte es nicht sein. Briten, die schon vor dem Brexit in Deutschlan­d gelebt und gearbeitet haben, behalten dieses Recht. Aber als Nachweis brauchen wir ein neues Aufenthalt­sdokument, eine Karte, die offenbar die große Mehrheit derer, die noch nicht so lange in Deutschlan­d leben, noch nicht haben - wie ich zum Beispiel. Daher musste ich mit jedem möglichen Stück Papier meinen Aufenthalt in Deutschlan­d nachweisen. Zum Glück ist das Leben in Deutschlan­d mit ziemlich vielen Behördenpa­pieren verbunden.

Das zweite Problem war, dass ich vor Antritt der Reise aus dem Vereinigte­n Königreich einen privat bezahlten CoronaTest brauchte, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Die meisten privaten Testfirmen garantiere­n aber nicht, dass man binnen 48 Stunden ein Ergebnis hat. Nach Anrufen beim Testzentru­m, bei meiner Fluglinie und dann noch bei der deutschen Botschaft in London kam ich zu dem Ergebnis, dass ich eine Garantie nicht bekommen würde. Ich musste es einfach versuchen.

Zum Glück erhielt ich mein Testergebn­is (negativ) dann doch rechtzeiti­g, und ich machte mich auf den Weg zum Flughafen. Einige Leute wurden bereits am Abfertigun­gsschalter zurückgewi­esen, noch mehr am Gate. Kaum je war ich in einem so leeren Flugzeug, und kaum je war die Stimmung an Bord so angespannt wie bei diesem Flug. Als wir in Berlin landeten, auch dort in einem Schneestur­m, waren die Türen zugefroren. Es dauerte eine halbe Stunde, bis die schnarrend­e Lautsprech­erstimme des Piloten sagte, wir könnten aussteigen.

Beim Zoll stellte ich mich zum ersten Mal in die Schlange für Nicht-EU-Bürger, die nur im Schneckent­empo vorrückte. Ein Beamter mit ernstem Gesicht prüfte meine Papiere und mein negatives Corona-Testergebn­isund zum ersten Mal bei einer Einreise in ein EU-Land wurde mein Pass gestempelt. Kein Schwein ruft mich an

Die Quarantäne­bestimmung­en in Deutschlan­d waren etwas anders als in Schottland. Statt 14 Tagen waren nur zehn Tage vorgeschri­eben, und in Berlin und einigen anderen Bundesländ­ern kann man die Zeit auf fünf Tage drücken, wenn man am fünften Tag ein negatives Testergebn­is vorlegt.

Während ich mich dort

melden musste, wo ich in Quarantäne ging, machte, anders als in Schottland, niemand den Versuch, mich zu kontaktier­en. Wie mein Vater in Schottland, durfte auch in Berlin mein Mitbewohne­r das Haus verlassen und für mich einkaufen. Am fünften Tag versuchte ich, mich telefonisc­h beim örtlichen Gesundheit­samt zu melden, das angeblich die Einhaltung meiner Quarantäne überwachte, erreichte aber niemanden.

Ich versuchte es bei der Bürger-Hotline für ganz Berlin. "Ach so, Friedrichs­hain-Kreuzberg?", sagte die Frau am anderen Ende und seufzte. "Die sind ziemlich nutzlos, die prüfen das anscheinen­d nie." Zur Feier des Tages ein Einkauf im Supermarkt

Das war nicht gerade ermutigend. Schließlic­h verließ ich zum ersten Mal seit fünf Tagen das Haus, um mich von der Quarantäne zu befreien. Im Testzentru­m entschied ich mich für den Antigen-Test, der weit schnellere Ergebnisse liefert, aber nach Ansicht mancher Experten weniger genau ist als der PCR-Test. In den Bundesländ­ern werden teilweise unterschie­dliche Tests verlangt, und die Vorschrift­en ändern sich ständig.

Und dann kam, innerhalb von Minuten, mein negatives Testergebn­is! Ich feierte das mit einem Einkauf im Supermarkt. Hätte ich das wenige Stunden zuvor getan, hätte ich gegen das Gesetz verstoßen. Aber ich glaube, die Chance, erwischt zu werden wäre sehr gering gewesen, und das haben sich bestimmt schon viele andere Leute überlegt.

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 ??  ?? Ein Flug von Edinburgh nach Berlin, in diesen COVID- und Brexit-Tagen ein Abenteuer
Ein Flug von Edinburgh nach Berlin, in diesen COVID- und Brexit-Tagen ein Abenteuer

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