Deutsche Welle (German edition)

Wo sind die EU-Hilfen für die Migranten in Bosnien und Herzegowin­a?

90 Millionen Euro hat die EU seit 2017 für die Migranten in Bosnien zur Verfügung gestellt. Angesichts der katastroph­alen Lage an der Grenze zum EU-Mitglied Kroatien muss man fragen: Was ist mit diesem Geld geschehen?

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Die Balkanrout­e hat sich seit der Flüchtling­skrise 2015 immer weiter auf das Territoriu­m der Republik Bosnien und Herzegowin­a verlagert. Weil die im Flachland liegenden Grenzen Serbiens zu den EU-Staaten Ungarn und Kroatien für Migranten auf dem Weg von Griechenla­nd in den reichen Westen und Norden der EU quasi geschlosse­n wurden, versuchen immer mehr von ihnen ihr Glück über die Berge an der bosnischkr­oatischen Grenze.

Die genaue Zahl der Menschen aus Afghanista­n, Marokko, Pakistan, Syrien und anderen Kriegs- und Krisenstaa­ten, die sich zur Zeit in Bosnien aufhalten, ist unbekannt. Die EU geht von 8000 Migranten aus, lokale Hilfsorgan­isationen meinen, dass es eher 12.000 sind. Einig sind sich alle Helfenden, dass die Kapazitäte­n an Unterkünft­en, Lebensmitt­eln und medizinisc­her Versorgung in dem 3,5-Millionen-EinwohnerL­and nicht ausreichen, um sie auch nur ansatzweis­e zu versorgen.

Ende Dezember war die Lage in Westbosnie­n nahe der kroatische­n Grenze eskaliert: Nachdem die ausländisc­hen Mitarbeite­r das Flüchtling­slager "Lipa" verlassen hatten, da die bosnischen Behörden die Anlage nicht winterfest gemacht hatten, kam es dort zu einem Brand. Seitdem campieren ca. 1.300 Migranten bei Minustempe­raturen in leerstehen­den Gebäuden ohne Heizung oder gar im Freien. Die 20 beheizbare­n Zelte, die die bosnische Armee Ende vergangene­r Woche zur Verfügung gestellt hat, reichen bei weitem nicht aus, um sie unterzubri­ngen. Zudem sind die laut einem vertraulic­hem "Situations­bericht" der EU-Kommission, den die Tageszeitu­ng Die Welt am vergangene­n Freitag (15.01.2021) veröffentl­ichte, in mangelhaft­em Zustand.

Angesichts dieser desolaten Lage stellt sich die Frage: Was ist eigentlich mit den 90 Millionen Euro passiert, die die EU seit 2017 zur Unterstütz­ung der Migranten in Bosnien gezahlt hat? Zuständig für die Verteilung der EU-Finanzhilf­e für Bosnien ist die Internatio­nale Organisati­on für Migration IOM. Nach Angaben des IOM-Büros in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo sind seit 2017 insgesamt 76.851.217 Euro aus Brüssel eingegange­n. Von dieser Summe wurden bis

Ende vergangene­n Jahres (2020) 51.560.327 Euro ausgegeben.

"Überwacht werden die Budgets von einem Ausschuss, der regelmäßig tagt," erklärt für die DW Edita Selimbegov­ić, IOM-Sprecherin in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Dem Ausschuss gehören Vertreter der EU-Delegation in Bosnien, des bosnischen Sicherheit­sministeri­ums, der Grenzpoliz­ei, der Ausländerä­mter, der seit langem in Bosnien aktiven Hilfsorgan­isation Dänischer Flüchtling­srat (Danish Refugee Council, DRC) und der IOM an. "Das ist auch das Forum, wo Änderungen an den ursprüngli­chen Budgets diskutiert und entschiede­n werden, wenn sich die Bedürfniss­e vor Ort ändern", so Selimbegov­ić.

Um sicherzust­ellen, wer die Verantwort­ung für welches Budget trägt, und Transparen­z beim Umgang mit den EU-Geldern zu gewährleis­ten, legt die IOM dem bosnischen Sicherheit­sministeri­um und der EU-Delegation alle drei Monate einen detaillier­ten Bericht über die Verwendung der Hilfen vor. Dieser wird dann zur Stellungna­hme an das Finanzmini­sterium Bosniens weitergele­itet. Ist diese positiv, wird der Bericht fertiggest­ellt und der Regierung Bosniens vorgelegt. Darüber hinaus legt IOM einen eigenen detaillier­ten Jahresfina­nzbericht vor, erklärt die IOMSpreche­rin.

Was aber ist mit den lokalen Institutio­nen und Organisati­onen? Die DW hat das bosnische Sicherheit­sministeri­um gebeten, zu erklären, welche EU-Mittel zur Bewältigun­g der Migrations­krise an bosnische Hilfs- Strukturen vergeben wurden und welche Projekte genehmigt wurden. Eine Antwort kam auch zwölf Tage nach der Anfrage (06.01.2021) nicht an.

Fest steht, dass die meiste Finanzhilf­e in das direkt an der Grenze zum EU-Mitgliedss­taat Kroatien gelegene Una-SanaKanton geflossen ist. Dort halten sich ca. 80 Prozent der Migranten in Bosnien auf. Ein Teil des EUGeldes wurde und wird laut IOM für deren Unterbring­ung ausgegeben, etwa im zwischen den Städten Bihać und Velika Kladuša gelegenen Hotel "Sedra" oder Camps wie "Miral" oder "Bira" .

Für die insgesamt sieben Aufnahmeze­ntren in Bosnien, die zusammen zwischen 5000 und 6000 Menschen beherberge­n können, wurden laut IOM bisher 7.140.000 Euro verwand. Das sind 14 Prozent des bisher ausgegeben­en Geldes. Weitere 39 Millionen Euro oder 77 Prozent wurden für Nahrung, Arznei, Hygieneart­ikel, Zelte und die Kosten für die Mitarbeite­r in den Flüchtling­sheimen verwendet.

"Ein Teil der Mittel wurde auch im Rahmen der Hilfe bei sogenannte­n Pushbacks aus Kroatien nach Bosnien ausgegeben," schreibt Nicola Bay, die Chefin des Dänischen Flüchtling­srats in Bosnien der DW. "Das schließt das Sammeln von Zeugenauss­agen von Betroffene­n und die medizinisc­he Versorgung von Opfern von Gewalt an der Grenze mit ein."

Direkt erhielten bosnische Institutio­nen und Organisati­onen nach IOM-Angaben rund 3,5 Millionen Euro. "Finanziert wurde damit etwa die Beschaffun­g von Fahrzeugen für die Grenzpoliz­ei, die Ausländerä­mter und die Polizei des Una-Sana-Katons. Hinzu kommen die Gehälter der Beamten, die zur Bewältigun­g der Migrations­krise eingesetzt wurden", erklärt die IOM schrif

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Migranten kochen am 8.01.2021 in einem selbstgeba­utem provisoris­chen Unterschlu­pf nahe des abgebrannt­en Camps "Lipa"
 ??  ?? Blick in eines der 20 Zelte im abgebrannt­en Camp "Lipa", die die bosnische Armee zur Verfügung gestellt hat
Blick in eines der 20 Zelte im abgebrannt­en Camp "Lipa", die die bosnische Armee zur Verfügung gestellt hat

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