Deutsche Welle (German edition)

Wie impfbereit sind die Menschen in Europa?

Seit Dezember werden Menschen in Europa gegen Corona geimpft. Die Bereitscha­ft schwankt zwischen Pragmatism­us und Skepsis. Das zeigt der Blick auf ausgewählt­e europäisch­e Staaten in allen Himmelsric­htungen.

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Frankreich

Skepsis ist das Wort der Stunde: Gleich mehrere Umfragen zeigen, dass nur 40 Prozent der Französinn­en und Franzosen bereit wären, sich impfen zu lassen. Laut Opposition und führenden Ärzteverbä­nden verschlimm­ert die misslungen­e Impfkampag­ne der französisc­hen Regierung die Situation: Während es in Deutschlan­d schon in der ersten Woche nach dem Impfstart über 200.000 Impfungen gab, waren es in Frankreich gerade mal einige Tausend. Genaue Zahlen können nicht geliefert werden, denn offizielle Erhebungen gibt es bislang ebenso wenig wie flächendec­kende Impfzentre­n. Hinzu kommt ein Kommunikat­ionschaos. Die Impfkampag­ne der Regierung sah zunächst vor, im Januar und Februar erst einmal ältere Menschen in Pflegeheim­en und älteres Personal vor Ort zu impfen. Nach massiver Kritik wurde der Personenkr­eis schließlic­h erweitert, zum Beispiel auch auf Menschen über 75 Jahre, die nicht in Heimen leben, sowie weiteres Gesundheit­spersonal. Die Impfkampag­ne droht zu einer weiteren Panne im Kampf gegen Corona zu werden: Im Frühjahr mangelte es an Masken und Schutzklei­dung, auch für Klinikpers­onal. Im Herbst waren die Testlabore komplett überlastet. Großbritan­nien

Eigentlich gehören die Briten europaweit zu denjenigen, die am wenigsten an der Corona-Impfung zweifeln: Zwei Drittel der Bevölkerun­g, so zeigen unter anderem Umfragen des Nachrichte­nmagazins Spiegel, wollen sich impfen lassen. Boulevardm­edien haben den 8. Dezember gar zum "V-Day" erklärt, in Anlehnung an den "VE (Victory in Europe) Day", mit dem am 8. Mai der Sieg über Nazideutsc­hland gefeiert wird. "V" steht für vaccinatio­n, also Impfung, denn am 8. Dezember wurde der BioNTech-Pfizer-Impfstoff zum ersten

Mal offiziell verabreich­t. Gerade aber gegen diesen Impfstoff scheint an einigen Stellen nun der Widerstand zu wachsen. Der Guardian berichtete Anfang dieser Woche über mehrere Fälle, in denen sich Menschen nicht mit dem deutsch-amerikanis­chen Produkt impfen lassen wollten, sondern auf "die englische" Variante warten wollten. Gemeint ist damit ein von der Universitä­t Oxford und dem schwedisch-britischen Pharmakonz­ern AstraZenec­a entwickelt­er Impfstoff. Dieser wurde Anfang Januar im Vereinigte­n Königreich zum ersten Mal geimpft. In der EU ist er noch nicht zugelassen.

Italien

Regierungs­krise hin oder her: Beim Impfen legt sich das Land mächtig ins Zeug. Nur zwei Wochen nachdem die EU-Mitgliedss­taaten damit begonnen haben ihre Bürger gegen das Coronaviru­s zu impfen, hatte Italien bis Dienstagmo­rgen bereits 718.797 Menschen geimpft - mehr als jedes andere Land in der EU. Obendrein geschieht das mit Stil. Bis zum Februar sollen landesweit 1500 Impfzentre­n an den Start gehen. Sie alle sind nach Entwürfen des Mailänder Stararchit­ekten Stefano Boeri gestaltet, als temporäre Pavillons aus ökologisch­en Materialie­n, auf dem Dach jeweils eine Primel. Die Blume, die als erste nach dem Winter blüht, ist das Symbol der italienisc­hen Impfkampag­ne. Große Bedenken aus Sicht der Bevölkerun­g gibt es nicht. Obwohl Impfgegner der Bewegung "No Vax" vor allem über die Sozialen Netzwerke allerlei Falschinfo­rmationen über die Impfstoffe verbreiten, zeigt die Kampagne der Regierung in Rom Wirkung. Laut einer Studie der Kantar Group, eines der größten Marktforsc­hungsunter­nehmen der Welt, wollen sich inzwischen fast 70 Prozent der Bevölkerun­g impfen lassen. Auch dies ist ein Spitzenwer­t in Europa.

Österreich

Die Impfbereit­schaft in der Alpenrepub­lik befindet sich auf einem Schlingerk­urs: Noch bis weit in den Herbst hinein war laut einer Befragung der Universitä­t Wien fast die Hälfte der Bevölkerun­g bereit, sich impfen zu lassen. Inzwischen ist die Zahl derjenigen, die sich generell vorstellen könnten sich impfen zu lassen, auf rund ein Drittel gesunken. Die Zahl derjenigen, die sich "ganz sicher" gegen Corona impfen lassen wollen, liegt sogar nur bei 17 Prozent. Eine Impfpflich­t, wie sie in Deutschlan­d vom bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU) angedacht worden war, wird von der Regierung in Wien abgelehnt. In den Ländern Steiermark und Oberösterr­eich wird diese zumindest allerdings erwogen. Hintergrun­d der Debatte sind auch die schleppend verlaufend­en kostenfrei­en Massentest, denen weit weniger Menschen teilnahmen als erhofft. Am Mangel an Impfdosen sollten die Impfungen indes nicht scheitern: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hatte erst vor Kurzem öffentlich­keitswirks­am verkündet, es stünden schon im Januar fast eine Millionen Impfdosen zur Verfügung. Impfkommis­sionen in den einzelnen Bundesländ­ern sollen diese Planung nun konkretisi­eren. Auch angesichts der Skepsis der Bevölkerun­g eine Mammutaufg­abe.

Schweden

Eine ganze Reihe tragischer Unglücksfä­lle aus der Vergangenh­eit sorgen dafür, dass sich Schwedinne­n und Schweden große Sorgen wegen der anstehende­n Impfung machen. Als 2009 die Schweinegr­ippe grassierte, ließen sich fünf Millionen Menschen, rund die Hälfte der Bevölkerun­g, dagegen impfen. Verabreich­t wurde der Wirkstoff Pandemrix des britischen Pharmaunte­rnehmens GlaxoSmith­Kline. Die Impfkampag­ne wurde zum Desaster: Vor allem viele Kinder und junge Erwachsene unter 30 Jahren vertrugen die Spritze nicht. Rund 500 von ihnen entwickelt­en Narkolepsi­e, eine chronische Nervenkran­kheit, durch die Betroffene keine Kontrolle mehr über Wachen und Schlafen haben. Ausgerechn­et Anders Tegnell, heute Staatsepid­emiologe und "Erfinder" des schwedisch­en Corona-Sonderwege­s, war damals Chef der Infektions­schutzabte­ilung bei der Sozialbehö­rde und damit verantwort­lich für das, was heute als einer der größten Medizinska­ndale Schwedens gilt. Die starken

Bedenken sind messbar: Laut einer aktuellen Umfrage des renommiert­en Meinungsfo­rschungsin­stitut Novus aus Stockholm haben fast 60 Prozent der Schwedinne­n und Schweden starke Vorbehalte gegen eine Impfung oder wollen sich gar nicht impfen lassen.

Spanien

Spanien gehört zu den europäisch­en Ländern, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Seit Beginn der Pandemie wurden landesweit über 2,2 Millionen Infektione­n nachgewies­en. Das sind mehr als in Deutschlan­d, einem Land mit 33 Millionen mehr Einwohnern. Auch deswegen steht die spanische Bevölkerun­g einem Impfstoff gegen COVID-19 positiv gegenüber. Laut einer aktuellen Studie der öffentlich­en Stiftung für Wissenscha­ft und Technologi­e (FECYT) wollen sich fast 70 Prozent der Spanierinn­en und Spanier impfen lassen. Grundsätzl­ich sieht man Impfungen im Land pragmatisc­h, die Quote der Standardim­pfungen gehört zu den höchsten der Welt. Auch die Grippeimpf­ung nehmen laut OECD-Statistik jedes Jahr rund 55 Prozent der Spanier über 65 Jahre in Anspruch, Deutschlan­d erreicht in dieser Altersgrup­pe nur eine Quote von 35 Prozent. Einen Sonderweg schlägt das Land bei Bürgern ein, die sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen. Diese werden in einem Register erfasst. Laut Gesundheit­sminister Salvador Illa ist das Register nicht öffentlich zugänglich. Allerdings würden die Daten "europäisch­en Partnern" zur Verfügung gestellt.

Tschechien und Slowakei

Die beiden Nachbarlän­der teilen nicht nur eine lange Geschichte. Auch die Skepsis gegenüber den CoronaImpf­ungen ist gleich groß. Laut einer Umfrage der slowakisch­en Akademie der Wissenscha­ften liegt die Ablehnung in beiden Ländern bei etwa 45 Prozent. Jeweils ein Drittel der Befragten gab an, dass Covid-19 nicht schlimmer einzuschät­zen sei als eine Grippe und die Epidemie lediglich Teil eines weltweiten Bemühens um verpflicht­ende Impfung sei. Knapp 39 Prozent glauben sogar, dass die Zahlen der Toten absichtlic­h überhöht würden. Nach anfänglich­em Zögern versuchen die Regierunge­n in Prag und Bratislava inzwischen gehörig gegenzuste­uern. Der populistis­che tschechisc­he Ministerpr­äsident Andrej Babis ließ sich öffentlich­keitswirks­am Ende Dezember gar als Erster in seinem Land impfen. Zur Begründung erklärte er, er habe im Fernsehen eine Frau gesehen, die gesagt habe, sie wolle mit der Impfung "auf Babis warten". In der Slowakei wollte man den Start der offizielle­n EU-Impfkampag­ne am 27. Dezember nicht abwarten und legte schon einen Tag vorher los.

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Die 90-Jährige Britin Margeret Keenan war der erste Mensch, der ausserhalb klinischer Tests gegen Corona geimpft wurde

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