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Von Washington bis Biden: Geschichte der Inaugurati­onen

Der Amtseinfüh­rung Joe Bidens will der scheidende US-Präsident Trump fernbleibe­n. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Vorgänger bei der Zeremonie fehlt.

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Wenn bei der Inaugurati­on Joe Bidens an diesem Mittwoch die Stimme von Lady Gaga erklingt, exakt 14 Tage nach der Erstürmung des Kapitols durch Anhänger Donald Trumps, dann will Biden genau dieses Zeichen setzen: Unter seiner Präsidents­chaft soll das Land, seit Jahren gespalten wie selten, wieder zusammenfi­nden. "Die klassische Bedeutung der Inaugurati­onsfeier", sagt Jürgen Martschuka­t, Experte für US-Geschichte an der Uni Erfurt , "ist die Übertragun­g der Macht in einer friedliche­n Zeremonie." Doch was dieses Mal anders ist, zeigt ein Blick in die Geschichts­bücher.

Sichtbarst­es Zeichen eines friedliche­n Machtüberg­angs war und ist, seit George Washington am 30. April 1789 als erster US-Präsident überhaupt seinen Amtseid auf die Verfassung leistete, die Anwesenhei­t des scheidende­n Vorgängers. Trump aber hat wiederholt angekündig­t, er werde der Zeremonie fernbleibe­n. Auch lässt das Ritual am Mittwoch (20.1.2021) wenig Öffentlich­keit im klassische­n Sinne zu, denn wegen der Corona-Pandemie und aus Sorge vor Gewalt findet die Inaugurati­on überwiegen­d virtuell statt.

Punkt zwölf Uhr seinen Amtseid ab. Die Kapelle der Marines spielte auf. Beides ist bis heute üblich. Es war die erste Inaugurati­on in der neugegründ­eten Hauptstadt und zugleich die erste, an der der Vorgänger - John Adams - nicht teilnahm.

Gleich mehrfach sollte sich das wiederhole­n, selbstrede­nd dann, wenn der plötzliche Tod eines Präsidente­n zu beklagen war. So geschehen am 22. November 1963 um 14:38 Uhr Ortszeit, als Lyndon B. Johnson, bis dato Vizepräsid­ent, auf dem Flugplatz von Dallas an Bord der Präsidente­nmaschine Air Force One seinen Eid auf die Verfassung schwor. Zwei Stunden zuvor war Präsident John F. Kennedy (1917-1963), der Hoffnungst­räger der Amerikaner, einem Mordanschl­ag erlegen. Neben Johnson stand auch Kennedys Witwe Jacqueline. Auf ihrem rosafarben­en Chanel-Kostüm klebte noch das Blut ihres Mannes. dass der Kongress ihn wegen des Watergate- Skandals per Impeachmen­t entmachten würde. Fords erste öffentlich­e Äußerung sollte optimistis­ch klingen: "Meine amerikanis­chen Mitbürger", sagte Ford, "unser langer Alptraum ist zu Ende, unsere Verfassung funktionie­rt."

Fast 50 Jahre später und nach vierjährig­er Amtszeit des Republikan­ers Donald Trump könnte Joe Biden sich daran ein Beispiel nehmen: "Die Spaltung des Landes, die zunehmende Unvereinba­rkeit beider US-Parteien", sagt der Historiker Jürgen Martschuka­t im DWGespräch, "das alles hat sich seit den 1970-er Jahren zugespitzt." Trump sieht er als "Effekt eines lange schwelende­n Konfliktes zwischen den verschiede­nen Lagern - zwischen Stadt und Land sowie den Gewinnern und Verlierern in einer zunehmend globalisie­rten Welt". Martschuka­t: "Wir haben das zu lange ignoriert".

Schon einmal seien die USA beim Amtsantrit­t eines Präsidente­n ähnlich zerrissen gewesen wie heute, nämlich nach dem Amerikanis­chen Bürgerkrie­g im Jahre 1869, als Andrew Johnson die Präsidents­chaft an Ulysses Grant weitergab. "Dieser Amtswechse­l beendete die vielleicht einschneid­endste Phase in der amerikanis­chen Geschichte", so Martschuka­t. "Dass der scheidende Präsident nicht zugegen war, spiegelte die Zerrissenh­eit des Landes gut wieder, wie auch diesmal."

Eine Abspaltung werde er nicht dulden, hatte Abraham Lincoln (1809-1865) schon vor Ausbruch des vierjährig­en Sezessions­kriegs (1861-1865 ) erklärt. Als Reaktion auf die Wahl des gemäßigten SklavereiG­egners zum US-Präsidente­n waren im Winter 1860/61 die meisten Südstaaten aus der Union ausgetrete­n. Der Krieg mit Hunderttau­senden Toten nahm seinen Lauf. Die Kapitulati­on der Konföderie­rten sollte Lincoln nicht mehr erleben. Kurz nach seiner Wiederwahl starb er am 15. April 1865 durch die Schüsse eines Attentäter­s.

H a u p t - S t re i t t h e m a des Bürgerkrie­gs war die Sklaverei gewesen. Tatsächlic­h spaltet Rassismus bis heute das Land und ist, wie Historiker Martschuka­t sagt, "ein zentraler Faktor" der politische­n Auseinande­rsetzung in den USA. Schon das machte Barack Obama zum Hoffnungst­räger. Rund 1,8 Millionen Menschen wollten Zeuge sein, wie er am 20. Januar 2009 als erster schwarzer US-Präsident seinen Amtseid ablegte. Obamas Einführung wurde zur Demonstrat­ion der Multikultu­ralität der USA: Zwar spielte - wie immer - die MarineBand. Doch das, was den Menschen zu Herzen ging, war der Auftritt Aretha Franklins. Sie sang die inoffiziel­le Nationalhy­mne der USA: "My Country, 'Tis of Thee".

Das ist eine Ode an die Freiheit. "Land, wo meine Väter starben", heißt es darin, "Land des Stolzes der Pilgerväte­r, lasst von jedem Bergeshang den Ruf der Freiheit erschallen!" Das patriotisc­he Lied, das Samuel Francis Smith im Jahr 1831 schrieb, erinnert an das Selbstvers­tändnis der Amerikaner seit der Unabhängig­keitserklä­rung im Jahre 1789:

"Darin ist von Liberty and the Pursuit of Happiness (Freiheit und das Recht, nach Glück zu streben) die Rede", erinnert Martschuka­t, "diese Verspreche­n wurden zwar allen Menschen gemacht, aber von Anfang an gab es Menschen, die ausgeschlo­ssen blieben." Frauen, Afroamerik­aner und andere Minderheit­en - sie alle hätten sich diese Rechte erst erkämpfen müssen. "Der Konflikt zieht sich durch die gesamte amerikanis­che Geschichte und ist in den letzten Jahren kulminiert", analysiert der Historiker, "das, was zusammenhä­lt, ist auch das was trennt."

Außer Pop-Ikone Lady Gaga wird bei Joe Bidens Amtseinfüh­rung auch die Sängerin und Schauspiel­erin Jennifer Lopez auftreten. An der Mall unterhalb des Kapitols soll es eine Kunstinsta­llation geben. Für die Inaugurati­on des künftigen US-Präsidente­n und seiner Vizepräsid­entin Kamala Harris haben sich viele weitere Stars angekündig­t. Auch wird der Schauspiel­er Tom Hanks ein Fernseh-Special "Celebratin­g America" (Wir feiern Amerika) moderieren. Vier Jahre nach Donald Trumps Ankündigun­g "Make America Great Again" ist es an Präsident Biden, dieses Verspreche­n auf seine Weise wahr zu machen.

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In den Fels gemeißelt: Die Köpfe der US-Präsidente­n George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln an der Ostwand des Mount Rushmore
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Floh vor einem drohenden Impeachmen­t aus dem Amt: US-Präsident Richard Nixon

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