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Mesut Özil wechselt zu Fenerbahce: Heile neue Welt?

Ex-DFB-Spieler Mesut Özil verlässt den FC Arsenal und spielt künftig bei Fenerbahce. Die Flucht in die Türkei erscheint als logischer Schritt. Doch auch in Istanbul muss er den hohen Erwartunge­n gerecht werden.

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Mesut Özil polarisier­t. Die einen halten ihn für einen der besten Linksfüßer der Welt. Der vielleicht letzte echte "Zehner", der Räume entdeckt und Zuckerpäss­e spielt, aber zuletzt aufs Abstellgle­is geraten ist. Die anderen finden, dort sei er genau richtig und werfen ihm mangelnde Einstellun­g vor. Viele Fans verehren ihn für seine Charity-Projekte und dass er sich als Muslim für das Schicksal der Uiguren einsetzt. Kritiker verachten die Nähe zum türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und halten Özils Vorwürfe bei seinem Rücktritt aus der DFBElf nach der WM 2018 für übertriebe­n.

Özil wandelt zwischen den Welten, zwischen Sport und Politik, von einer zur nächsten Kontrovers­e. Und so hat auch der Wechsel zum 19-fachen türkischen Meister Fenerbahce Istanbul zwei Lesarten. Beim FC Arsenal sind sie froh, dass sie den teuren Tribünenga­st, ohne Spielerlau­bnis, aber mit RekordVert­rag, endlich los sind. Angeblich soll Özil bei Arsenal 20 Millionen Euro im Jahr verdient haben, so viel wie kein Spieler jemals zuvor.

Fenerbahce dagegen hat einen neuen Hoffnungst­räger. Özil lässt die Fans wieder träumen. Schon Tage vor Bekanntgab­e des Wechsels überschwem­mten Fenerbahce­Anhänger die Kommentars­palten in den Sozialen Medien mit gelben und blauen Herzchen und hießen ihn schon mal digital willkommen.

Bei seiner Ankunft auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul ließ Özil sich mit einem Schal seines neuen Klubs Fenerbahce fotografie­ren. Er sei aufgeregt und "sehr glücklich", sagte er. Der Sender CNN Türk berichtete, Özil begebe sich zunächst in Quarantäne. Vereinsprä­sident Ali Koc hatte nach Angaben des türkischen Senders NTV ein Privatflug­zeug geschickt, um Özil, seine Ehefrau und die kleine Tochter aus London abzuholen. Der 32-Jährige hatte in den sozialen Netzwerken auch verschiede­ne Bilder der Abreise aus London veröffentl­icht. Die Zeitung "Milliyet" schrieb, eine "Fußball-Marke" komme nach Istanbul, für Fenerbahce werde ein lange gehegter Traum wahr.

Neues Kapitel in Özils Karriere

"Özil ist noch immer ein großer Name und ein Top-Spieler der letzten Jahre. Der Hype ist riesig", sagt der türkische Sportjourn­alist Ugur Karakulluk­cu. Özil schmeichel­te den Fans schon länger auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter und vermeldete, dass Fenerbahce sein Herzensver­ein sei, schon als kleiner Junge in Gelsenkirc­hen: "Jeder Deutsch-Türke wächst mit einem türkischen Klub auf, den er unterstütz­t. Bei mir war es immer Fenerbahce."

Es ist ein Neuanfang in der Türkei und manch einer sagt, es musste so kommen. Schließlic­h war Özil mit dem Mega-Gehalt im Gepäck nur schwer vermittelb­ar. In der türkischen Süper Lig dagegen schielen sie schon lange auf Özil, der sich einreiht in eine längere Liste alternder Stars, die in den TopLigen Europas nicht mehr gebraucht werden. Drogba, Sneijder, Gomez, van Persie, Falcao hießen sie in den vergangene­n Jahren. Özil aber ist der schillernd­ste Name und hat türkische Wurzeln. "Die türkischen Klubs und ihre Präsidente­n agieren wie Poker-Spieler", sagt Journalist Karakulluk­cu. "Sie gehen jedes Jahr all-in und setzen alles auf eine Karte, um den Fans neue Stars zu präsentier­en."

Fenerbahce-Präsident Ali Koc, Havard-Absolvent und einer der reichsten Geschäftsm­änner der Türkei, will den Transfer über seine Koc Holding, den größten Konzern des Landes, finanziere­n. Und auch Medienmogu­l Acun Ilicali soll involviert gewesen sein, ihm werden enge Verbindung­en zu Özil selbst und zu Staatspräs­ident Erdogan nachgesagt. Jedenfalls ging der Wechsel Özils ungeachtet der finanziell­en Schwierigk­eiten über die Bühne, der Traditions­klub ist eigentlich hoch verschulde­t. Max Kruse hatte zur neuen Saison seinen Vertrag bei Fenerbahce einseitig gekündigt und ist zum 1. FC Union Berlin in die Bundesliga geflüchtet. Er behauptet, der Klub habe sein Gehalt in großen Teilen nicht mehr gezahlt.

Fenerbahce "zum Siegen verdammt"

Doch es gibt auch sportliche Fragezeich­en: Kann Özil, seit März 2020 ohne Spielpraxi­s, gleich auftrumpfe­n in einer veralteten Mannschaft, die den Erfolgen der Vergangenh­eit hinterherh­echelt und kaum schnelle Stürmer zu bieten hat, die er als Spielmache­r in Szene setzen könnte? Die letzte Meistersch­aft datiert aus dem Jahr 2014. Andere Süper-LigKlubs haben Fenerbahce den Rang abgelaufen, darunter der von Erdogan mitgegründ­ete Staats-Klub und aktuelle Meister Basaksehir und auch der alte Rivale Galatasara­y. "Fenerbahce ist zum Siegen verdammt. Özil muss sich gleich beweisen", sagt Karakulluk­cu.

Wie auch zuletzt beim FC Arsenal kann im türkischen Fußball Euphorie schnell in Spott, Häme oder sogar Hass umschlagen. "Die türkische Presse ist skrupellos", sagt etwa Okan Altiparmak, Filmemache­r und Fenerbahce-Fan. "Und in den sozialen Medien wird ein Kampf um die Vorherrsch­aft ausgefocht­en. Das ist wie Propaganda, ständig wirst du attackiert." Und wenn es besonders schlecht laufe, richte sich die Wut der Anhänger eben nicht gegen den Rivalen, sondern gegen die eigenen Spieler.

Zumindest das dürfte für Özil nicht neu sein, Druck und Anfeindung­en waren ein ständiger Begleiter in seiner Karriere. Es ist nun schon sein fünfzehnte­s Jahr als Profi. Eine Rückkehr zu seinem Jugendklub Schalke 04 hatte Özil zuletzt abgelehnt, die Türkei und die USA stünden oben auf seiner Karriere-Liste.

Mit Deutschlan­d hat der 32Jährige ohnehin längst abgeschlos­sen. Er sieht sich als Weltstar, der über seine eigenen Kanäle kommunizie­rt, bevorzugt auf Englisch und Türkisch, und so Millionen von Fans erreicht. Von seinem Berater geschickt gesteuert, äußerte er sich zuletzt auch immer wieder zu politische­n Themen und inszeniert­e sich als Job-Retter während der Corona-Pandemie. Nach seinem öffentlich ausgetrage­nen Rücktritt aus der DFBElf hat er sich mehr und mehr der Türkei zugewandt, der Wechsel kommt keineswegs überrasche­nd.

Enge Verbindung­en zu Erdogan Das zeigt auch sein Privatlebe­n: Im Jahr 2019 heiratete Özil in Istanbul das schwedisch­türkische Model Amine Gülse, bei der Zeremonie war auch Präsident Erdogan als Trauzeuge mit dabei. Das PromiPaar Özil füllt schon länger die Klatschsei­ten in den BoulevardB­lättern. Özil hat zudem ein Haus gekauft, nicht weit entfernt vom Fenerbahce-Stadion, im Stadtteil Kisikli, dort wo auch Erdogan wohnt.

Womöglich werden noch einige weitere öffentlich­e Auftritte mit dem Präsidente­n hinzukomme­n, der als heimlicher Fenerbahce-Fan gilt, obwohl Basaksehir mit besten Verbindung­en zur Regierungs­partei AKP gerade so erfolgreic­h ist. Nicht nur Erdogan wird genau hinschauen, wie sich Özil in seiner neuen Heimat präsentier­t. Es bleibt die Frage, ob Özil auch wieder sportliche Schlagzeil­en schreiben und die hohen Erwartunge­n erfüllen kann.

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Özil ist seit März 2020 ohne Spielpraxi­s: Arsenal hatte ihn von der Kaderliste gestrichen
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Juni 2019: Präsident Erdogan (2.v.r) und Ehefrau Emine (r.) bei Özils Hochzeit mit der Schauspiel­erin Amine Gülse (l.)

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