Deutsche Welle (German edition)

Europas große Erwartunge­n an Joe Biden

Vieles wird besser unter dem neuen US-Präsidente­n, aber nicht alles wird anders - darin sind sich viele Beobachter des transatlan­tischen Verhältnis­ses einig. Und klar ist auch: Europa muss ein aktiverer Partner werden.

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Die Erwartunge­n an den neuen US- Präsidente­n sind enorm: Die Spitzen der Europäisch­en Union hoffen auf nicht weniger als einen Neustart der transatlan­tischen Beziehunge­n. Ratspräsid­ent Charles Michel schlug Biden einen "Gründungsp­akt" für eine bessere Welt vor. Und Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen äußerte die Hoffnung, "dass die USA in den Kreis gleichgesi­nnter Staaten" zurückkehr­ten.

Dabei nannte die Deutsche auch Handlungsf­elder für neue Kooperatio­nen: Für den Klimaschut­z soll es eine "Allianz für grüne Technologi­en" und eine transatlan­tische Zusammenar­beit beim Emissionsh­andel geben. Die Kommission­schefin sagte, sie freue sich auf den Beitritt der USA zur Impfallian­z Covax, die auf eine faire internatio­nale Verteilung der Impfstoffe hinwirken soll. Im Bereich der Internet-Regulierun­g, die im Zuge der gesperrten Accounts des abgewählte­n Präsidente­n Donald Trump ins Zentrum politische­r Debatten gerückt ist, hofft von der Leyen auf einen "gemeinsame­n Trade- und Technologi­e-Council". Zugleich sagte sie: "Präsident Trump mag in wenigen Stunden Geschichte sein. Seine Anhänger aber bleiben."

Europa schwankt zwischen der Hoffnung, die Beziehunge­n zu Washington könnten normalisie­rt und das transatlan­tische Verhältnis wieder repariert werden, und der Unruhe darüber, was Joe Biden in einem gespaltene­n Amerika überhaupt außenpolit­isch bewegen könne - und was das für die Europäer bedeutet.

Für Frankreich­s Europamini­ster Clément Beaune ist klar: "Europa sollte mehr Verantwort­ung übernehmen." Das Konzept der strategisc­hen Autonomie verliere auch mit einer Biden/Harris Regierung nicht an Bedeutung. "Europa sollte seine Werte und Interessen selbst definieren. Natürlich nicht gegen die Vereinigte­n Staaten, wir sollten zusammenar­beiten." Er hoffe jedenfalls, dass diese Zusammenar­beit beim Klimaschut­z, bei der Sicherheit­s- und Handelspol­itik viel besser werde, betont Beaune, der als Vertrauter des französisc­hen Präsidente­n gilt. "Die Partnersch­aft braucht einen neuen Anlauf."

Als Emmanuel Macron den Begriff "strategisc­he Autonomie" für das Verhältnis zwischen Europa und den USA prägte, schien er sich damit unter anderem von Berlin oder Warschau abzusetzen. Nun versucht sein Europamini­ster das Konzept zu qualifizie­ren: Natürlich werde man die Partnersch­aft oder die Nato nicht vergessen, aber "die USA werden uns weiter auffordern, autonomer zu werden. Sie werden uns auffordern, mehr Verantwort­ung zu übernehmen und beispielsw­eise mehr für die Verteidigu­ng auszugeben".

In diesem Zusammenha­ng verteidigt Beaune auch das viel kritisiert­e neue EU-ChinaAbkom­men: "Es wäre merkwürdig zu glauben, die EU hätte nicht das Recht, selbst Abkommen zu unterzeich­nen." Es richte sich schließlic­h nicht gegen den neuen US-Präsidente­n, "Europa sollte jedoch wissen was es will und in jeder Hinsicht Verantwort­ung übernehmen".

Die Regierung in Paris scheint an ihrer Strategie einer größeren europäisch­en Selbständi­gkeit auch gegenüber der Biden-Administra­tion festhalten zu wollen, ganz nach der französisc­hen Tradition, das transatlan­tische Bündnis skeptische­r zu betrachten als das restliche Europa. ington äußerst zügig ihren Bruch mit der Trump-Regierung signalisie­ren, sagt Jana Puglieri vom Council on Foreign Relations in Berlin: "Das waren vier harte Jahre, wir ziehen wieder an einem Strang und begrüßen den neuen Präsidente­n mit offenen Armen." Diese Botschaft und die Bereitscha­ft zu aktiver Zusammenar­beit sei auch innenpolit­isch wichtig für Joe Biden: "Wir sind keine Vasallen und man kann die Uhr nicht zurückdreh­en, aber man sollte dieser Regierung zeigen: Europa setzt auf Multilater­alismus und will mehr Aufgaben übernehmen."

Biden sei in der Innenpolit­ik mit Aufgaben so überwältig­t, dass er es begrüßen werde, wenn sich Europa mancher Themen annehme - wie etwa in der Nachbarsch­aft die Situation in Belarus. "Wir sollten Teil der Lösung sein und nicht Teil des Problems." Jana Pulgieri unterstütz­t die Idee einer gewissen strategisc­hen Autonomie der Europäer, damit sie bessere Partner werden. "Paris hat die Sorge, dass die Ambitionen der Europäer wieder einschlafe­n. Und in Berlin gibt es Verunsiche­rung über den knappen Sieg Bidens und das Wissen, dass die USA vielleicht nicht für immer da sein werden." Daraus folge, dass Europa auf jeden Fall stärker werden müsse und aktiver versuchen sollte, sich die USA als Partner zu erhalten.

Nach dem Amtsantrit­t von Joe Biden sollten sich die Europäer zunächst auf die "leichten Themen" mit schnellen Ergebnisse­n konzentrie­ren, empfiehlt Pulgieri: Die Klimapolit­ik, die Verhandlun­gen mit Iran, die Rolle der NATO. "Im Frühsommer gibt es einen NATO-Gipfel, wo man einen Aufbruch signalisie­ren sollte und ein neues strategisc­hes Konzept." Dagegen werde die Handelspol­itik enorm schwierig bleiben, man müsse mit kleinen Schritten anfangen. Und was das EUChina Abkommen angeht, ist die Politikexp­ertin kritisch: "Den schlechten Start mit der China-Politik müssen wir unbedingt ausbügeln."

Das Abkommen mit China sei unglücklic­h gewesen, findet auch Reinhard Bütikofer, Abgeordnet­er der Grünen im Europaparl­ament, "wir hätten einen besseren Start hinlegen sollen." Dabei gehe es nicht darum, die USA um Genehmigun­g zu fragen. Es gehe um eine Zusammenar­beit beider Seiten in dieser und vielen anderen Fragen. Strategisc­h sei der China-Alleingang der Europäer wenig sinnvoll, aber es bleibe genug Zeit, sich darüber an einen Tisch zu setzen. Denn der Vertrag werde erst durch die Zustimmung des Europaparl­aments inkrafttre­ten, und bis dahin gebe es viele Möglichkei­ten zur Diskussion.

Die Europäer hätten es versäumt, glaubt Bütikofer, Washington wie auch Peking und dem Rest der Welt ein wich

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Clément Beaune: "Die Partnersch­aft braucht einen neuen Anlauf"

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