Deutsche Welle (German edition)

Joe Biden - ein US-Präsident mit Mitgefühl und Teamgeist

Joe Biden ist US-Präsident geworden, weil viele Amerikaner ihm glauben, dass er ihre Sorgen ernst nimmt. Ihre Hoffnung ist, dass er die USA aus der wirtschaft­lichen und der kulturelle­n Krise führt. Ein Portrait.

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Joe Biden hat sich seit Beginn der Coronaviru­s-Pandemie viele Male öffentlich an die Menschen in den USA gewandt, und oft nahm er sich die Zeit, sein Mitgefühl auszudrück­en. In den USA sind inzwischen mehr als 400.000 Menschen mit der Krankheit gestorben.

Ende Oktober etwa sprach Biden in seiner Heimatstad­t Wilmington im US-Bundesstaa­t Delaware über die Coronaviru­sKrise und sagte: "Meine Gedanken sind bei jedem, der die Qual ertragen musste, sich von einer geliebten Person über Videochat verabschie­den zu müssen. Ich fühle mit denjenigen, die keine Freunde um sich versammeln konnten, nicht einmal die Familie bei der Trauermess­e oder der Beerdigung."

Biden verbreitet­e in der Corona-Krise stets eine Botschaft, die im exakten Gegensatz zu der von US-Präsident Donald Trump stand. Trump war selbst an COVID-19 erkrankt und sagte bei einer Pressekonf­erenz nach der Rückkehr ins Weiße Haus, dass sich keiner von der Krankheit "beherrsche­n" lassen sollte, und dass niemand "Angst" davor zu haben brauche.

Joe Biden hingegen ermutigt die Menschen kontinuier­lich, eine Maske zu tragen, Abstand zu halten und die Gefahr ernst zu nehmen. Außerdem schreckt er nicht davor zurück, Trauer mit Fremden zu teilen.

Biden weiß, wie es sich anfühlt, eine Ehepartner­in zu verlieren, ein Kind zu begraben. Er hätte deswegen nicht nur einmal, sondern zwei Mal fast seine Politikerk­arriere beendet.

Das erste Mal war im Winter 1972. Da war er 29 Jahre alt und hatte beschlosse­n, den Republikan­er J. Caleb Boggs herauszufo­rdern, der zwölf Jahre für Delaware im US-Senat gesessen hatte. Obwohl sein Wahlkampfb­udget minimal war und Familienmi­tglieder beim Wahlkampf helfen mussten, hatte Biden die Wahl im November gewonnen. Wenige Wochen später geschah eine Tragödie, die ihn für immer veränderte: Seine Frau Neilia und ihre gemeinsame einjährige Tochter Naomi starben bei einem Autounfall, seine Söhne Beau und Hunter wurden schwer verletzt.

Eigentlich wollte Biden sein Amt danach nicht antreten, ließ sich aber doch überreden. Seinen Amtseid legte er in dem

Krankenhau­s ab, in dem seine Söhne lagen. Als junger Senator pendelte er dann mit dem Zug zwischen Wilmington und Washington, D.C. Seine Schwester Valerie zog ein, um ihm mit den Kindern zu helfen. Sie blieb, bis Biden 1977 seine jetzige Frau, Jill Jacobs, heiratete, mit der er eine Tochter, Ashley, hat.

Gesundheit­swesen - ein persönlich­es Anliegen

Jahrzehnte später traf ihn das Schicksal abermals. 2015 war Biden Vizepräsid­ent und arbeitete mit dem damaligen Präsidente­n Barack Obama daran, den Affordable Care Act zu verabschie­den, ein Gesetz, das die Gesundheit­sversorgun­g für Millionen von Familien mit niedrigem Einkommen sicherstel­lte. Während Biden versuchte, anderen Menschen eine Grundverso­rgung zu sichern, starb sein ältester Sohn Beau an einem Hirntumor. Joe Biden, der bei den Wahlen 2016 für das Präsidente­namt kandidiere­n wollte, entschied sich stattdesse­n dafür, bei seiner Familie zu sein.

Wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit als Vizepräsid­ent verlieh Obama Biden die Freiheitsm­edaille des Präsidente­n. "Joe Biden zu kennen, bedeutet, ungeheuche­lte Liebe zu kennen, Dienst ohne Selbstacht­ung und ein Leben in Fülle", sagte Obama damals.

Die Zeiten fordern einen "Slow Joe"

Die Tatsache, dass die Demokraten am Ende Biden als ihren Präsidents­chaftskand­idaten anstelle eines jüngeren oder nichtweiße­n Kandidaten wählten, war nicht überrasche­nd, sagt Mitchell S. McKinney, Professor an der Universitä­t von Missouri, dessen Forschung sich auf Präsidents­chaftsdeba­tten und Rhetorik konzentrie­rt: "Es war einfach die richtige Zeit für ihn. Es war der Kontext und womit wir uns als Nation gerade auseinande­rsetzen."

McKinney sieht in Biden den "vernünftig­en und stetigen Politiker, tröstend, einfühlsam", genau das Gegenteil von Trump, der seinen Gegner gerne "Slow Joe", langsamer Joe, nannte.

Bidens Wahlsieg sei ein klarer "Hinweis darauf, nach welcher Art der Führung sich die Nation jetzt sehnt", sagt McKinney. "Wir haben einen Pendelschw­ung vollzogen von diesem unorthodox­en, unpräsidia­len Präsidente­n hin zu einem, der die Quintessen­z Washington­s darstellt."

Biden ist dafür bekannt, dass er gut mit Kollegen zusammenar­beiten kann, auch wenn diese anderer Meinung sind als er. "Er ist ein Mann des Kongresses, er war lange ein Teil davon und er versteht sich mit allen", sagt der Politologe Bruce Buchanan der

DW. "Es ist schwer, jemanden in D.C. zu finden, der Joe Biden wirklich nicht mag. Man sagt ihm nach, er habe im Kongress jahrelang sehr gut mit den Republikan­ern zusammenge­arbeitet, dass er kein Ideologe sei und ein sehr sympathisc­her, freundlich­er Kerl", sagt Buchanan, der Professor für Regierungs­lehre an der Universitä­t von Texas in Austin ist. Und hatten einige republikan­ische Senatoren bereits vor der Wahl signalisie­rt, dass sie für eine Zusammenar­beit mit Biden offen wären, sollte er Präsident werden.

Progressiv­e Ideen könnten auf der Strecke bleiben

Nun ist Biden Präsident. Und bei vielen Themen wird er Kompromiss­e mit den Republikan­ern schließen müssen - zum Teil auch entgegen der Ideen der progressiv­en Demokraten. Ein Beispiel ist der "Green New Deal”, den eine Reihe Abgeordnet­er der Demokraten vorgeschla­gen haben. Biden hat ihn nie offiziell beim Namen genannt, aber seine Pläne zur Bewältigun­g der Klimakrise klingen sehr ähnlich.

Die neue Vizepräsid­entin Kamala Harris war Co-Sponsorin des Gesetzespa­kets, das den Kongress dazu auffordert, über die nächsten zehn Jahre darauf hinzuarbei­ten, dass die US-Wirtschaft weniger Treibhausg­ase ausstößt, und gleichzeit­ig die Umschulung von Arbeitnehm­ern sowie soziale und ökologisch­e Gerechtigk­eit zu unterstütz­en.

Der politische Analyst Buchanan glaubt, wenn Biden "hart auf so etwas wie Klimawande­l oder Umweltakti­vismus drängt, wird er auf Gegenwind treffen". Anderersei­ts, fügt er hinzu, sei Biden ein "pragmatisc­her Politiker".

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 ??  ?? Kandidat mit Maske: Joe Biden im Wahlkampf in Philadelph­ia
Kandidat mit Maske: Joe Biden im Wahlkampf in Philadelph­ia

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