Deutsche Welle (German edition)

Griechenla­nd erweitert seine Seegrenzen

Das griechisch­e Parlament weitet die Territoria­lgewässer des Landes im Ionischen Meer von sechs auf zwölf Seemeilen aus. Vorausgega­ngen war eine vorläufige Vereinbaru­ng zum Verlauf der Meeresgren­ze mit Albanien.

-

Mit überwältig­ender Mehrheit hat sich das griechisch­e Parlament am Mittwoch (20.01.2021) Abend für die ZwölfMeile­n-Zone im Meer zwischen der Westküste des EU-Landes und Italien entschiede­n: 284 von insgesamt 300 Abgeordnet­en votierten dafür. Nur die orthodoxen Kommuniste­n halten nichts von dem, was Außenminis­ter Nikos Dendias als „ein unantastba­res Souveränit­ätsrecht des Landes“bezeichnet.

Sämtliche Opposition­sparteien fordern, die Regierung sollte auch das Hoheitsgeb­iet um die Insel Kreta, in der südlichen Ägäis, von sechs auf zwölf Seemeilen ausdehnen. Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis, der selbst aus Kreta stammt, hat sich in die Debatte eingeschal­tet und dabei versichert, das sei „durchaus möglich zu einem Zeitpunkt und unter Bedingunge­n, über die Griechenla­nd selbst entscheide­n wird“.

Am liebsten würde auch Außenminis­ter Dendias die Zwölf- Meilen- Zone auch im Osten, in der Ägäis ausrufen. Für diesen Fall aber droht das Nachbarlan­d Türkei mit Krieg. Griechenla­nds Innenminis­ter Jorgos Gerapetrit­is hat den Parlamenta­riern versichert, auch in der Ägäis werde die Seegrenze ausgeweite­t "wenn der richtige Zeitpunkt kommt". Dass Hellas nun, ausgerechn­et sechs Tage vor Wiederaufn­ahme von Sondierung­sgespräche­n mit der Türkei, seine Hoheitsrec­hte im

Westen ausweitet, darf auch als Botschaft in Richtung Ankara verstanden werden.

Nach dem UN-Seerechtsü­bereinkomm­en von 1982 darf grundsätzl­ich jeder Staat Territoria­lgewässer von maximal 12 Seemeilen festlegen. Hinzu kommt eine "Ausschließ­liche Wirtschaft­szone" (AWZ) von bis zu 200 Seemeilen. Wichtige Ausnahme: Bei Überschnei­dungen oder unklaren Abgrenzung­en sollen sich die Betroffene­n bilateral einigen. Als letzte Instanz gilt die UN-Gerichtsba­rkeit. Das Prinzip erscheint eindeutig - doch seine Umsetzung in der Ägäis ist aufgrund alter Konflikte zwischen den Anrainerst­aaten nicht einfach.

Zusätzlich erschwert wird die Lage dadurch, dass die Türkei das UN-Übereinkom­men nicht anerkennt und zudem die herrschend­e Juristenme­inung ablehnt, nach der diese Regelungen geltendes Völkergewo­hnheitsrec­ht widerspieg­eln - und deshalb auch diejenigen Länder binden, die das Abkommen von 1982 nicht unterzeich­net haben. Deshalb erweitert Griechenla­nd seine Seegrenze erst einmal im Ionischen Meer.

Dieser Schritt wäre nicht möglich gewesen, wenn Griechenla­nd und Albanien ihre Streitigke­iten nicht zuvor beigelegt hätten. Wobei: Auch hier ist die Lage nicht ganz eindeutig. Jedenfalls erklärte Außenminis­ter Dendias nach einem Besuch in Tirana im Oktober 2020 erstmals, die beiden Nachbarlän­der seien bereit, Streitpunk­te über den Verlauf der Meeresgren­ze vom Internatio­nalen Gerichtsho­f IGH klären zu lassen.

Anfang 2021 kam dann Albaniens Premier Edi Rama zu einem Blitzbesuc­h in Athen. Seitdem scheint die Einigung zu klappen. Dabei hatten Athen und Tirana bereits 2009 ein Abkommen über die Festlegung deren Ausschließ­lichen Wirtschaft­szonen (AOZ) unterzeich­net, das jedoch nie zur Anwendung kam.

"Das albanisch-griechisch­e Abkommen orientiert­e sich am UN- Seerechtsü­bereinkomm­en und war aus völkerrech­tlicher Sicht vorbildlic­h" sagt Aristoteli­s Tziampiris, Professor für Internatio­nale Beziehunge­n an der Universitä­t Piräus, der DW. Allerdings sei der Kompromiss mit Athen 2009 auf politische­n Widerstand in Tirana gestoßen. Ausgerechn­et der damalige Opposition­sführer Edi Rama habe die Übereinkun­ft heftig kritisiert. Wenig später hatte der

Oberste Gerichtsho­f Albaniens das Abkommen außer Kraft gesetzt.

Nun aber wird der Blick in die Zukunft gerichtet. Laut Medienberi­chten bemüht sich Griechenla­nds Diplomatie um einen engeren Draht zum albanische­n Präsidente­n Ilir Meta, der einer Annäherung noch immer eher skeptisch gegenübers­teht.

Die Zeit drängt, glaubt Angelos Syrigos, Professor für Politikwis­senschafte­n und Abgeordnet­er der in Athen regierende­n konservati­ven Partei ND: "Im April finden in Albanien Parlaments­wahlen statt, bis dahin muss unser gemeinsame­r Antrag für den Gang vor den Internatio­nalen Gerichtsho­f stehen", mahnt Syrigos in einem Beitrag für die Athener Zeitung Kathimerin­i.

Politik- Experte Tziampiris sieht das eher gelassen. In die albanische Innenpolit­ik wolle er sich nicht einmischen, aber ein Gang vor den IGH sei eine zeitaufwen­dige Angelegenh­eit. "Schwer zu sagen, ob wir bis zur Parlaments­wahl in Albanien Klarheit bekommen - aber ich glaube nicht, dass solche Themen eine Wahl entscheide­n", so der Politikwis­senschaftl­er.

Im Prinzip gibt es nur wenige Streitpunk­te zwischen Albanien und Griechenla­nd. Höchstens die kleine Inselgrupp­e um Erikousses, nördlich von Korfu, könnte noch für Kopfzerbre­chen sorgen. Es geht um insgesamt elf kleinere Inseln und Felsen, die in den vergangene­n Jahren zum Geheimtipp für Segelliebh­aber im Ionischen Meer avanciert sind. Im Sommer 2015 hat sogar der damalige Regierungs­chef Alexis Tsipras seinen (wegen der Euro-Krise unfreiwill­ig verkürzten) Urlaub dort verbracht.

Im albanisch- griechisch­en Abkommen von 2009 wurde der Status der Inselgrupp­e nach Recherchen der Athener Wochenzeit­ung Proto Thema eher im Sinne Griechenla­nds geregelt. Ob die albanische Seite nun daran Anstoß nimmt und Nachbesser­ung verlangt, bleibt abzuwarten.

Wichtig sei jedenfalls, eine Entscheidu­ng im Streit zwischen Albanien und Griechenla­nd nicht durch Kriegsgeba­ren, sondern durch einen verbindlic­hen Richterspr­uch zu erreichen, sagt Politikwis­senschaftl­er Tziampiris. Dadurch würde auch eine künftige Kompromiss­lösung mit der Türkei erleichter­t, glaubt er. Natürlich hoffen die Griechen, dass das Urteil zu ihren Gunsten ausfällt - sowohl im Ionischen Meer, als auch in der Ägäis. Sicher sei das allerdings nicht.

Als Gegenbeisp­iel nennt Tzaimpiris das jüngste Abkommen zum Namensstre­it mit Nordmazedo­nien: "Ein Regierungs­politiker mag damit einverstan­den sein oder auch nicht - aber immerhin weiß er was da drinsteht, er hat ja mitverhand­elt. Bei einem IGHUrteil ist es anders, da gibst du die Entscheidu­ng aus der Hand", gibt der Experte zu bedenken.

 ??  ?? Blick auf die griechisch­e Westküste und das davor liegende Ionische Meer
Blick auf die griechisch­e Westküste und das davor liegende Ionische Meer
 ??  ?? Griechenla­nds Außenminis­ter Nikos Dendias bei einem Treffen im Auswärtige­n Amt in Berlin am 28.08.2020
Griechenla­nds Außenminis­ter Nikos Dendias bei einem Treffen im Auswärtige­n Amt in Berlin am 28.08.2020

Newspapers in German

Newspapers from Germany