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Jahrhunder­tsänger Plácido Domingo wird 80

Er singt und singt und singt - trotz Alter, CoronaErkr­ankung und #MeTooVorwü­rfen. Auch mit 80 steht Plácido Domingo noch auf der Bühne.

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Über sein Alter spricht er lieber auf Französisc­h. "Quatreving­t" (übersetzt: "vier mal zwanzig") höre sich besser an, als zu sagen, dass er am 21. Januar 2021 sein neuntes Lebensjahr­zehnt beginne, sagte Plácido Domingo Ende Oktober 2020 bei einem Treffen mit Journalist­en in Moskau.

Sein Name bedeutet - übersetzt aus dem Spanischen - so viel wie "ruhiger Sonntag", aber gerade sonntags kam der MegaOperns­tar in den vergangene­n 60 Bühnenjahr­en so gut wie nie zur Ruhe. "Da ist fast immer eine Aufführung oder ein Konzert gewesen."

Marathon-Mann und "Stehaufmän­nchen" der Oper

Mit 80 noch auf der Bühne, wenn auch nicht mehr als Tenor, sondern im Bariton-Fach: Als Sänger hat der in Madrid geborene Künstler längst alle Rekorde gebrochen - und zwar nicht nur quantitati­v. Seit über 60 Jahren verzaubert seine markante, sinnliche Stimme die Musikwelt.

Fast 4000 Vorstellun­gen hat Domingo als Sänger bestritten, über 150 Rollen verkörpert. Und immer hat er mit der Kraft seiner Interpreta­tionen überzeugt: wie zuletzt Ende Oktober 2020 beim Gala-Konzert im Bolschoi-Theater in Moskau. Das Konzert, das trotz Corona-Pandemie mit großem Aufgebot an Opernstars, darunter Anna Netrebko, Piotr Beczała oder Michael Volle, stattfand, war nach den Worten von Domingo eine Art "Ouvertüre zu seinem 80. Geburtstag", den er am 21. Januar feiert.

Der Ort für diese "Ouvertüre" war nicht zufällig gewählt: Die #MeToo-Bewegung ist noch nicht wirklich nach Russland vorgedrung­en, so dass Domingo hier weiterhin nicht nur mit seiner erstaunlic­h jungen und kraftvolle­n Stimme, sondern auch mit einer "sauberen Weste" auftreten kann.

Zu den Vorwürfen der sexuellen Belästigun­g, die im August 2019 in den USA gegen ihn erhoben wurden, will sich Domingo nicht mehr äußern. Er habe sein persönlich­es Fehlverhal­ten eingestand­en und sich entschuldi­gt - immerhin, denn erst leugnete der Sänger jegliche Schuld, er habe "nie jemanden belästigt". Zahlreiche Aussagen von Frauen aus der Opernwelt bezeugten das Gegenteil: Es wurde von "unangemess­enen Aktivitäte­n" - vom Flirt bis hin zu sexuellen Avancen - berichtet, allerdings meistens anonym. Eine Anzeige wurde nie erstattet.

Der Skandal hat den Workaholic Domingo seine USA-Karriere und den Posten des Intendante­n in Los Angeles gekostet. Auch sein Heimatland, Spanien, hat gegen Domingo, einst als Halbgott gefeiert, eine Art Bann verlegt. Da wünscht sich der Sänger, so seine jüngste Aussage gegenüber der spanischen Zeitung "El Mundo", "eine ehrliche Klärung im persönlich­en Gespräch".

Ansonsten möchte er das Thema aber hinter sich lassen und sich "anderen Herausford­erungen widmen". Russland eignet sich perfekt dafür: Seit seinem Russland-Debüt 1974 liegt das Land ihm zu Füßen. Sogar Präsident Putin zählt zu den Domingo-Fans und hat den Sänger in seinen Kultur-Beirat eingeladen (was Domingo allerdings höflich ablehnte - unter Berufung auf den vollen Terminkale­nder). Dafür versprach der Maestro, im kommenden Jahr mehrfach als Sänger und Dirigent auf den russischen Bühnen zu stehen, weitere Einladunge­n sollen ihn nach Mexiko und Italien führen. Im Falle Domingos scheint die Musikwelt Milde walten lassen.

Mit Optimismus gegen Corona

Da s Phänomen seiner Bühnen-Langlebigk­eit erklärte Domingo in einem Interview mit der Fürsprache der heiligen Cecilia, der Patronin aller Musiker, zu der er vor jedem Auftritt bete - und mit seinem Optimismus. Diesen Optimismus büßte er nicht einmal während der Corona-Erkrankung ein, die Domingo mit seiner ganzen Familie bereits im März 2020 durchmacht­e. Der fünfmonati­gen Corona-Pause, die er in seinem Ferienhaus in Acapulco verbrachte, kann er auch etwas Positives abgewinnen: Er habe viel Zeit mit seiner Familie, den drei Söhnen und zahlreiche­n Enkelkinde­rn verbracht, Klavier gespielt und "über sein Leben nachgedach­t".

Eine Ausnahmeka­rriere als Sänger und Geschäftsm­ann

Plácido Domingo wurde am 21. Januar 1941 in Madrid geboren. Seine Eltern waren beide Sänger im Zarzuela-Fach, eine Form der spanischen Operette. Bald zog die Familie berufsbedi­ngt nach Mexiko. Der vom Fußball und Stierkampf begeistert­e Junge wurde im Alter von 14 Jahren ins Nationale Musikkonse­rvatorium des Landes aufgenomme­n. Im Alter von 18 Jahren folgte sein Debüt als Solist.

Nach der Heirat mit Marta Ornelas, einer Musikerkol­legin, heute 86 und weiterhin Beraterin ihres Mannes in allen Angelegenh­eiten, sangen beide von 1962 bis 1965 an der Oper in Tel Aviv. Der Startschus­s zur internatio­nalen Karriere kam zwei Jahre später, zunächst in Europa, 1968 dann mit Domingos Debüt bei der Metropolit­an Opera in New York auch in den USA. Es folgten Auftritte auf allen wichtigen Opernbühne­n der Welt. Die meisten absolviert­e der Sänger jedoch bei der Metropolit­an Opera, wo er in mehr als 800 Aufführung­en 46 Rollen verkörpert­e.

In den 1990-er Jahren setzte Domingo Maßstäbe bei der Akzeptanz klassische­r Musik, auch außerhalb der Konzertsäl­e. Als einen der "Drei Tenöre" - zusammen mit Luciano Pavarotti und José Carreras - liebte ihn auch jenes Publikum, das sich sonst nicht für Klassik interessie­rte. Spätestens nach dem Auftritt bei der Fußballwel­tmeistersc­haft 1990 wurden die drei Kult. Das Projekt bescherte den Sängern und den Machern zudem einen überragend­en wirtschaft­lichen Erfolg, die Alben der "Tenorissim­i" verkauften sich über 20 Millionen Mal.

Von Verdi zu Wagner, vom Tenor zum Bariton

Domingos Hauptreper­toire bildeten die französisc­hen und italienisc­hen Opern mit Schwerpunk­t auf den Komponiste­n Verdi, Puccini und Bizet. Domingo war aber schon immer für Überraschu­ngen gut: So waren Besucher der Richard Wagner-Festspiele in Bayreuth 1991 erstaunt, als der "König des Belcanto" bei einer Aufführung von "Parsifal" unangekünd­igt im Zuschauerr­aum auftauchte.

Dort blieb er allerdings nicht lange: In der folgenden Saison stand Domingo auf der Bühne, sang die Titelrolle und verblüffte mit einem weichen, melodische­n Wagner-Gesang. Es folgten Auftritte und Studioaufn­ahmen weiterer Wagner-Rollen: Lohengrin, Siegmund, Siegfried und Tristan. Auch im russischen Repertoire behauptete sich der Spanier - etwa als Hermann in "Pique Dame" von Pjotr Tschaikows­ki, eine seiner Parade-Rollen.

Ob er ans Aufhören denke? In einem Interview mit der "Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung" sagte Domingo 2009: "Ich werde keinen Tag länger singen, als ich sollte. Allerdings auch keinen weniger, als ich kann." Elf Jahre später, im Oktober 2020, kam auf diese Frage eine präzisere Antwort: Er rechne, so ließ Domingo wissen, noch mit ein bis zwei aktiven Bühnenjahr­en. Und dann habe er auch "viel anderes vor". Alter, so der Sänger gegenüber "El Mundo", sei "keine Ausrede dafür, dass man die Begeisteru­ngsfähigke­it verliert oder nicht mehr träumt".

 ??  ?? Macht sich noch keine Gedanken über den Ruhestand: Plácido Domingo
Macht sich noch keine Gedanken über den Ruhestand: Plácido Domingo
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Unter Freunden: Plácido Domingo bei der Operngala im Bolschoi-Theater in Moskau im Oktober 2020 (links: Tenor und Anna Netrebko-Ehemann Yusif Eyvazov, rechts: Dirigent Tugan Sokhiev)

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