Deutsche Welle (German edition)
Patricia Highsmith zum 100. Geburtstag
Depressiv, alkoholsüchtig und schneckenverliebt: Patricia Highsmith, US-amerikanische Meisterin des psychologischen Romans, hatte viele Facetten.
"Sie hatte einen unstillbaren Appetit auf das Groteske, Grausame und Makabre", schreibt ihr Biograf Andrew Wilson in dem Buch "Schöner Schatten" (2017) über die US-amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith. Ihr Name ist vor allem durch eine ihrer durchtriebensten und zugleich sympathischsten Romanfiguren bekannt: Tom Ripley. Mehrfach wurden die fünf Romane, die von dem Hochstapler, Kunstfreund, Dahlienliebhaber und Serienmörder erzählen, von und mit Größen des Kinos verfilmt. 1999 erschien in der letzten Verfilmung von "Der talentierte Mr. Ripley" die erste Garde von US-Schauspielern auf der Kinoleinwand: Matt Damon, Jude Law, Gwyneth Paltrow und Cate Blanchett. schichte des skrupellosen Trickbetrügers und Emporkömmlings im Jahr 1954 in nur sechs Monaten niederschrieb, kann man ab Herbst 2021 auch in ihren Tagebüchern nachlesen, die der Diogenes-Verlag dann erstmals als Gesamtausgabe veröffentlicht.
Patricia Highsmith, am 19. Januar 1921 als Mary Patricia Plangman in Forth Worth in Texas geboren, kommt unter einem "unglücklichen Stern" zur Welt. So beschreibt sie es 1942 auch in einem von ihr verfassten Gedicht. Ihre Mutter versucht die Tochter abzutreiben, indem sie Terpentin trinkt. Kurz vor der Geburt lässt sie sich von Patricias leiblichen Vater scheiden. Von Fort Worth zieht Patricia mir ihrer Mutter und dem neuen Stiefvater, dem sie den Nachnamen Highsmith verdankt, nach New York. In der Schule gilt sie als hochbegabt. Eine Leseratte, die früh
Erwachsenenliteratur liest. Mit 14 schwärmt sie für Mädchen ihrer Schule und macht erste körperliche Erfahrungen. Ihre Homosexualität stößt auf Ablehnung bei der Mutter. Highsmith sieht sich "als männliches Wesen in einem Frauenkörper", wie sie 1950 rückblickend in ihrem Notizbuch schreibt.
Ein großes Thema ihrer Romane ist die "Kippfigur". Warum werden aus normalen Menschen Mörder? Wann geben sie ihre Moral preis? Diese Frage steht bald im Mittelpunkt fast aller Werke von Highsmith. Dafür interessiert sie sich schon, seit sie acht Jahre alt ist und im Bücherregal ihrer Großmutter das Werk "Die Seele des Menschen" von Carl Menninger findet. Der deutsch-amerikanische Psychologe führte in den USA eine Klinik, die sich um Kriegsveteranen kümmerte.
Patricia ab ihrem 15. Lebensjahr. Die einzelnen Bände fungieren auch als Notizbücher. Erste Kurzgeschichten, die von ihren homosexuellen Sehnsüchten handeln, wie "Salz und sein Preis" (heute bekannt als "Carol" in der Verfilmung mit Cate Blanchett), erscheinen unter Pseudonym. Sie sind ihr peinlich. Highsmiths Durchbruch kommt mit dem Roman "Zwei Fremde im Zug" (1950).
Ein Buch über das perfekte Verbrechen. Zwei Männer, die sich zufällig während einer Zugfahrt kennenlernen, planen einen Mord. Alfred Hitchcock kauft der 30-jährigen Autorin für 8000 US-Dollar die Rechte an ihrer Geschichte ab und verfilmt den Thriller 1951. Da ist Patrica Highsmith gerade mit ihrem Studium der englischen Literaturwissenschaften, Latein, Griechisch und Zoologie am Barnard-College in New York, das nur Studentinnen aufnimmt, fertig. Sie jobbt in einem ComicShop, um über die Runden zu kommen.
"Sie war die erste, die aus einem Thriller Literatur machte", schreibt François Rivière, Autor der 2003 in Frankreich erschienen Biographie "Ein langer und wunderbarer Selbstmord. Ein Blick auf Patricia Highsmith" (Verlag CalmannLévy). Sie untergrabe das Genre des Thrillers, weil "der Leser Partei ergreift für die Seite des Mörders". Sogar ein Serienkiller wie Tom Ripley, der alle Widersacher kaltblütig aus dem Weg räumt, findet die Sympathie des Lesers. Die Erfindung des Parvenu, der vorgibt ein anderer, nämlich der reiche Erbe Dickie Greenleaf zu sein, und bis zur Perfektion in dessen Rolle schlüpft, bezeichnet Rivière als eine Art Doppelgänger von Patricia Highsmith. Als sie für "Der talentierte Mr. Ripley" für den Edgar-Allen-PoeAward nominiert wird, schreibt sie "...und Ripley" hinter ihren Namen. Auch Briefe soll sie ab und zu mit "Tom Ripley" signiert haben.
Alle Ripley-Romane spielen übrigens in Europa. Dorthin reist Highsmith 1949 erstmalig - mit dem Schiff. In ihr Notiz- und Tagebuch notiert sie die aus heutiger Sicht geradezu visionären Zeilen: "Meine hartnäckige Obsession ist, dass Amerika sich fatalerweise...von der eigentlichen Wirklichkeit wegbewegt, dass nur die Europäer über diese Wirklichkeit verfügen." 1963 zieht sie endgültig nach Europa um: zuerst nach Italien, dann nach