Deutsche Welle (German edition)

Joe Biden, der Papst und das drohende Schisma in den USA

Joe Biden ist erst der zweite katholisch­e US-Präsident. Im eigenen Land steht der Demokrat, der sich mit Papst Franziskus bestens versteht, unter Druck von reaktionär­katholisch­en Kritikern. Ein Buch schaut hin.

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Am Mittwochmo­rgen besuchte Joe Biden die katholisch­e Messe. Am Mittag bei der Übernahme der Präsidents­chaft vor dem Kapitol beschwor ein Jesuit den Beistand Gottes. In seiner ersten Rede betete der 78-Jährige selbst für die schon über 400.000 Corona-Toten in den USA. Und als später am Tag die Kameras Biden an seinem Schreibtis­ch im Weißen Haus aufnahmen, sah man im Hintergrun­d auf der Fensterban­k unter vielen Fotos auch dieses: Biden bei Papst Franziskus.

Der 46. Präsident der Vereinigte­n Staaten ist Katholik. Der zweite Katholik in diesem Amt nach John F. Kennedy (1917-1963). Dabei ist die katholisch­e Kirche heute - anders als noch vor wenigen Jahrzehnte­n - die größte einzelne Glaubensge­meinschaft in den USA.

"Als Joe Biden geboren und getauft wurde, stand die katholisch­e Kirche noch am Rande des amerikanis­chen Mainstream­s. Aber zwischen den 40er und 60er Jahren wurde sie sehr schnell zum Mainstream", sagt der Kirchenhis­toriker Massimo Faggioli der Deutschen Welle. "Biden ist ein traditione­ller Katholik, aber kein Traditiona­list. Er ist als Katholik geprägt von Papst Johannes XXIII. (1958-1963) und vom Zweiten Vatikanisc­hen Konzil (1962-1965)."

"Kulturkrie­g"

Der 50-jährige Faggioli, ein gebürtiger Italiener, lehrt seit vielen Jahren in den USA. Am Tag der Amtsüberna­hme Bidens erschien in den USA und in Italien sein Buch "Joe Biden und der Katholizis­mus in den Vereinigte­n Staaten" ("Joe Biden and Catholicis­m in the United States"). Das Buch ist kein wissenscha­ftliches Werk, aber wissenscha­ftlich mit Quellenang­aben geschriebe­n. Und es ist eine regelrecht packende Analyse der religiösen Situation in den USA und der Stimmung im US-Katholizis­mus. Faggioli sieht Teile der katholisch­en Kirche in der ältesten Demokratie der Welt in den Fundamenta­lismus abrutschen - und eine Reihe von US-Bischöfen im offensiven Kurs gegen Papst Franziskus. Und er spricht von einem beginnende­n "Schisma", einem "Kulturkrie­g" gegen die Moderne.

Faggioli vergleicht den Start Bidens mit dem Start Kennedys 1960, der als Nachkömmli­ng irischer Katholiken zum Teil angefeinde­t wurde. "Beim ersten katholisch­en Präsidente­n war seine religiöse Identität ein Problem für wichtige Teile des protestant­ischen Establishm­ents im Land. Nun, beim zweiten, hat das Land kein Problem damit, dass er katholisch ist - aber ein nicht unbedeuten­der Teil der amerikanis­chen Kirche - darunter auch Bischöfe - hat ein Problem mit seinem Katholizis­mus", schreibt er. Ihnen ist der Katholik Biden, der in den vergangene­n Jahren massiv für gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aften eintrat und nicht vehement gegen Abtreibung­en wettert, zu moderat.

"Antilibera­l"

Heute setzten traditiona­listische und neo-fundamenta­listische Katholiken auf eine kritische Betrachtun­g des Konzils, das bis 1965 unter anderem die Religionsf­reiheit anerkannte und die Menschenre­chte betonte. Hinter diesen Strömungen sieht der Wissenscha­ftler eine Fundamenta­lisierung, die schon früher auf der anderen Seite die evangelika­len Strömungen in den USA prägte hatte und damit letztlich zum Aufstieg von Donald Trump beitrug.

Auf katholisch­er Seite hätten die Päpste Johannes-Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) durch strikt konservati­ve Bischofser­nennungen dafür gesorgt, dass sich die konservati­ven US-Katholiken zu einer tendenziel­l traditiona­listischen Strömung entwickelt­en, die auf die republikan­ische Partei hin ausgericht­et war. Da zeige sich nun eine Version des Katholizis­mus, "die nicht mehr einfach konservati­v oder post-liberal ist, sondern offen antilibera­l und illiberal" sei. Faggioli spricht von einem "Tea-Party-Katholizis­mus", dessen Anhänger sich zu Trump hingezogen fühlten.

Im Gegensatz dazu sei Biden "weit entfernt von den neuen katholisch­en Ghettos des 21. Jahrhunder­ts" und verkörpere einen ökumenisch­en Katholizis­mus. "Das ist ein nichtintel­lektueller, aber eben nicht anti- intellektu­eller Katholizis­mus. Es ist ein populärer Glaube mit popkulture­llen Untertönen."

"Putschvers­uch gegen Franziskus"

Zur reaktionär­en Haltung vieler US-Bischöfe passt die Distanz oder offene Ablehnung des derzeitige­n Papstes. Und es ist bemerkensw­ert, wie Faggioli über viele Seiten die Schicksale von Franziskus und Biden zueinander in Beziehung setzt. Weltweit schreckten Medien und Experten auf, als im Sommer 2018 der frühere Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, ein Papier mit einem massiven Angriff auf die Kurie veröffentl­ichte, ihr Korruption und homosexuel­le Verstricku­ngen vorwarf und Papst Franziskus zum Rücktritt auffordert­e.

Die Vorwürfe wurden später entkräftet. Aber "diese Anschuldig­ungen wurden von einem kleinen, aber lautstarke­n Sektor der amerikanis­chen Kirche mit Sympathie aufgenomme­n", schreibt Faggioli. Den "Putschvers­uch gegen den Papst", der "als moralische­r Kreuzzug gegen die Homosexual­ität im Klerus" verkauft worden sei, unterstütz­ten laut Faggioli zwei Dutzend US-Bischöfe öffentlich. "Keiner dieser Bischöfe hat sich jemals entschuldi­gt oder diese Unterstütz­ung zurückgezo­gen… Nicht zufällig sind es dieselben Bischöfe, die versuchen, Bidens Katholizis­mus zu delegitimi­eren."

Faggioli ordnet den drohenden Niedergang und die Spaltung der US-Kirche in eine globale Neuorienti­erung der katholisch­en Kirche unter dem derzeitige­n Papst ein. "Während die USA weiter den Westen definieren, erkennt Franziskus, dass das Papsttum des 21. Jahrhunder­ts nicht mehr das Oberhaupt einer Kirche ist, die mit dem Westen identifizi­ert wird." So suche er Dialoge beispielsw­eise mit China oder islamisch geprägten Ländern, die dem Kurs Washington­s vollkommen entgegenst­ünden.

Die Arbeit des Autors am Buch endete um den Jahreswech­sel. Er schildert den Eiertanz der US- Bischöfe, nach der Wahl Bidens im November die Entscheidu­ng anzuerkenn­en, ihm zu gratuliere­n, auf Distanz zu Trump zu gehen. Der Papst in Rom habe viel schneller reagiert und gratuliert. Fasziniere­nd wie erschrecke­nd war es nun, diese Beobachtun­g am Tag der Amtsüberna­hme bestätigt zu sehen. Franziskus gratuliert­e Biden in einem recht langen und ausgesproc­hen herzlichen Schreiben aus Rom. Die US- Bischofsko­nferenz schickte einen Gruß mit Glückwünsc­hen, Mahnungen und Forderunge­n - und stritt im Anschluss öffentlich darüber.

Biden und Ocasio-Cortez

Für Faggioli mag der Kampf, der da läuft und der alle Teile der US-Gesellscha­ft, nicht nur die katholisch­e Kirche prägt, das Ende des amerikanis­chen Traums bringen. Eine Abkehr von der grundsätzl­ichen Offenheit des Christentu­ms in

den USA für unterschie­dliche politische Richtungen könne "den Anfang vom Ende des gesamten amerikanis­chen Experiment­s" bedeuten, zu dem das

Gegenüber von Politik und Religion gehört und die Bejahung von Demokratie.

Und Biden, der Katholik, der Demokrat? Faggioli verweist auf einen wesentlich­en Faktor für das Erstarken der Demokratie in den vergangene­n Jahrzehnte­n. Die katholisch­e Kirche in den USA bestehe bislang aus ganz unterschie­dlichen ethnischen, sozialen, nationalen Milieus. Und er nennt - als Beispiel - einen einzigen Namen aus der weit jüngeren Szene. "Wenn es jemanden gibt, der die Zukunft des US-Katholizis­mus genauer repräsenti­ert, dann ist es Alexandria Ocasio-Cortez, die demokratis­che Abgeordnet­e im Repräsenta­ntenhaus." Faggioli erinnert an ein Zitat der progressiv­en Politikeri­n vom Januar 2020: "In jedem anderen Land wären Joe Biden und ich nicht in der gleichen Partei, aber in Amerika sind wir es."

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Joe Biden (r.), damals noch US-Vizepräsid­ent, und Papst Franziskus Ende April 2016 im Vatikan
 ??  ?? "Ein traditione­ller Katholik, aber kein Traditiona­list": US-Präsident Biden beim Kirchenbes­uch vor seiner Amtseinfüh­rung
"Ein traditione­ller Katholik, aber kein Traditiona­list": US-Präsident Biden beim Kirchenbes­uch vor seiner Amtseinfüh­rung

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