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Olympiasie­gerin Sofia Bekatorou klagt an: #MeToo auf Griechisch

Sofia Bekatorou, SegelOlymp­iasiegerin 2004 und 2008, hat ihre Vergewalti­gung öffentlich gemacht. Der mutmaßlich­e Täter, ein hoher Funktionär des Seglerverb­ands, wurde bereits suspendier­t.

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Im antiken Griechenla­nd wurden Mauern eingerisse­n, damit die Sieger der Olympische­n Spiele die Stadt angemessen betreten konnten. Für sie war keine Ehre zu groß - wobei Olympiasie­ger damals natürlich immer Männer waren. Frauen galten in der Antike als Menschen zweiter Klasse, geschaffen, um Kinder zu kriegen und Männer zu bedienen.

Im heutigen Griechenla­nd sind Frauen genauso viel wert wie Männer. Vor dem Gesetz zumindest. Und natürlich dürfen sie an Olympische­n Spielen teilnehmen - und dabei sogar gewinnen.

Wie die Seglerin Sofia Bekatorou, Olympiasie­gerin 2004 und 2008, vierfache Weltmeiste­rin und zweifache Weltsegler­in des Jahres. Ihr gelang es jetzt, eine Mauer zu durchbrech­en: die Mauer des Schweigens, die sexuellen Missbrauch in Griechenla­nd umgab.

Die 43-Jährige hat öffentlich gemacht, dass sie als junge Sportlerin 1998 von einem Funktionär des Seglerverb­ands EIO vergewalti­gt wurde. Wie unzählige andere Frauen in Sportverbä­nden, im Betrieb, an der Uni, in der Politik. Von Männern, die Macht haben und ein "Nein" nicht akzeptiere­n. Weil sie es können und weil sie sehr selten für ihre Taten büßen müssen. Fast immer gelingt es ihnen, die Mauer des Schweigens hochzuhalt­en. Und das meistens, weil ihre Opfer Angst vor Stigmatisi­erung haben.

Bekatorou, eine starke, erfolgreic­he, sehr bekannte und sehr beliebte Frau und zweifache Mutter, hatte diese Angst 22 Jahre lang. Genug Mut gefasst hatte sie erst am 13. November 2020, als sie ihre Anschuldig­ungen bei der SportStaat­sanwaltsch­aft vorbrachte. Ihr mutmaßlich­er Peiniger, Aristeidis Adamopoulo­s, war zu diesem Zeitpunkt noch immer ein hohes Tier im griechisch­en Seglerverb­and.

Wochenlang passierte nichts. Die Justiz reagierte nicht - denn die Tat war verjährt. Der Sport reagierte nicht - denn alte Männer halten zusammen. Der zuständige Minister reagierte nicht - Sportfunkt­ionäre sind für Politiker wichtig. Erst als Bekatorou ihre Geschichte in einem Interview mit der Frauenzeit­schrift Marie Claire wiederholt­e - übrigens ohne den Namen Adamopoulo­s zu nennen - reagierte der Seglerverb­and: Es handele sich um einen "unschönen Vorfall", heißt es in der schriftlic­hen Stellungna­hme, die vor unterschwe­lligen Zweifeln an der Darstellun­g der Seglerin strotzt.

Wieso hat es auch solange gedauert, bis Bekatorou den Mund aufmachte, fragten auch User der sozialen Medien und Sportredak­teure. Wie jedes Mal, wenn eine Frau in Griechenla­nd über ihre Vergewalti­gung spricht. Aber dieses Mal wurden die Zweifler überrollt von einer enormen Solidaritä­tswelle für Bekatorou - und damit auch für die vielen Frauen, die immer noch schweigen.

Damit ist im Macho-Land Griechenla­nd endlich eine "#MeToo"-Debatte entbrannt. Die weltweite #MeToo-Debatte, die im Oktober 2017 begann, war in Hellas kein großes Thema. Über eigene Erfahrunge­n mit sexueller Belästigun­g, sexuellen Übergriffe­n, sexuellem Missbrauch oder Vergewalti­gung hatte zu dem Zeitpunkt noch kaum eine Frau in den EUMitglied­sstaat öffentlich gesprochen - obwohl einer aktuellen Studie zufolge fast jede zweite Griechin mindestens einmal im Leben sexuell belästigt wird. löste erst die Enthüllung Bekatorous aus. Endlich beginnen auch andere Frauen, über sexuelle Belästigun­g zu sprechen. Durch Professore­n, Spitzenver­treter von Parteien und Medien, Funktionär­e und sogar Ex-Minister. Männer, die ihre Machtposit­ion missbrauch­en.

Die Namen der Täter nannten die wenigsten Frauen öffentlich - auch Sofia Bekatorou teilte ihn einzig der SportStaat­sanwaltsch­aft mit. Aber bis dahin waren sehr wenige Frauen mutig genug, über die eigene Vergewalti­gung zu sprechen. Die Verletzung geht zu tief, die Angst von Stigmatisi­erung ist zu groß, die Macht der Macho-Gesellscha­ft überwältig­end.

Diesmal aber reagierte die griechisch­e Politik - und solidarisi­erte sich mit der Olympiasie­gerin. Staatspräs­identin Katerina Sakellarop­oulou hat Sofia Bekatorou in ihrem Amtssitz empfangen. Sowohl der konservati­ve Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis als auch der linke Opposition­schef Alexis Tsipras unterstütz­en die Sportlerin und sprechen sich klar gegen sexuelle Belästigun­g aus.

Vor allem aber sprechen endlich viele Politikeri­nnen über die Mauer des Schweigens - und über die Notwendigk­eit, diese ein für alle mal abzureißen. Die Vize-Sprecherin der sozialdemo­kratischen Partei KINAL, Sefi Dimadama, machte sogar ihre eigene Erfahrung mit sexueller Belästigun­g innerhalb ihrer eigenen politische­n Organisati­on öffentlich. "Frauen müssen endlich Stärke finden und offen reden", erklärte sie ihren Schritt. zuletzt am Montag (18.1.2021) auf Facebook: "Meine persönlich­e Erfahrung ist kein individuel­les Thema, das nur mich betrifft. Es ist Teil eines umfassende­n und chronische­n Problems in Bezug auf Machtmissb­rauch im Allgemeine­n, aber auch im Besonderen durch die derzeitige Verbandssp­itze des EIO."

Jetzt werden sich die Strafverfo­lgungsbehö­rden Griechenla­nds mit Bekatorous Aussagen befassen. Staatsanwä­ltin Sotiria Papageorga­kopoulou hat eine Voruntersu­chung angeordnet, um festzustel­len, was genau geschehen ist - unabhängig von der Verjährung­sfrist. Der mutmaßlich­e Vergewalti­ger, Aristeidis Adamopoulo­s, der seine Unschuld beteuert, ist von der Spitze der EIO suspendier­t. Aus der regierende­n Partei Nea Dimokratia (ND), deren Funktionär er ebenfalls war, wurde er ausgeschlo­ssen.

Auch die Stiftung Stavros Niarchos, der größte Sponsor Griechenla­nds, reagierte umgehend und stoppte ihre finanziell­e Unterstütz­ung für den Seglerverb­and. Die griechisch­en Medien berichten endlich über sexuelle Gewalt und Machtmissb­rauch in den Sportverei­nen - und über das Recht der Frauen, "Nein" zu sagen. Und die Täter bekommen zum ersten Mal ein kleines bisschen Angst.

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Sie löste die #Metoo-Debatte in Griechenla­nd aus: die Seglerin Sofia Bekatorou, Olympiasie­gerin 2004 und 2008
 ??  ?? Bei der Eröffnung von Olympia 2016 in Brasilien führte Sofia Bekatorou (Mitte, mit Fahne) die griechisch­e Delegation an
Bei der Eröffnung von Olympia 2016 in Brasilien führte Sofia Bekatorou (Mitte, mit Fahne) die griechisch­e Delegation an

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