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Spekulante­n wetten jetzt auch auf Wasser

An der Terminbörs­e in Chicago können Anleger neuerdings mit Wasser spekuliere­n. Was Städten und Landwirten die Planung erleichter­n soll, bereitet Kritikern Bauchschme­rzen.

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Wenn Edgar Terry morgens über seine Felder stapft, denkt er vor allem an eins: an Wasser. Der 61-jährige Farmer besitzt mehr als 700 Hektar Land, insgesamt zwölf Felder voll mit Paprika, Erdbeeren, Spinat, Sellerie und Koriander, die rund ums Jahr bewässert werden wollen. Seit 126 Jahren betreibt seine Familie die Terry Farms, einen alteingese­ssenen Landwirtsc­haftsbetri­eb in Ventura County, etwa eine Autostunde nördlich von Los Angeles entfernt, wo Wasser schnell mal knapp werden kann. "Es gibt keinen Tag der Woche, an dem ich nicht an Wasser denke. Gerade jetzt, wo wieder Dürre herrscht", sagt der Landwirt.

2000 Meilen östlich, in Chicago, will man die Wasserknap­pheit in Kalifornie­n jetzt bekämpfen. An der größten Terminbörs­e der Welt, der Chicago Mercantile Exchange ( CME), spekuliere­n Anleger normalerwe­ise mit Waren wie Öl, Holz oder Aluminium. Seit Anfang Dezember können Investoren hier allerdings auch auf den Nasdaq Veles California Index handeln, einen Index, der Preise für kalifornis­chen Wassernutz­ungsrechte in sogenannte­n Wasser-Futures abbildet.

Futures, das sind Terminkont­rakte, mit denen sich Käufer und Verkäufer verpflicht­en, Waren zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem vorher festgelegt­en Preis zu handeln. Genau diese Verträge sollen Bauern helfen, ihre Kalkulatio­nen zu vereinfach­en.

Versorger könnten profitiere­n

Auch städtische Betriebe und Energ ieversorgu­ngsunterne­hmen könnten von den Wasser-Futures profitiere­n, sagt die CME. Denn gerade hier, im Pazifik-Bundesstaa­t Kalifornie­n, ist Wasser ein extrem knappes Gut. Durch Dürreperio­den und Waldbrände steigen die Wasserprei­se oft von heute auf morgen sprunghaft an. Die Kosten für die kommenden sechs Monate ließen sich hier "allenfalls schätzen", sagt Patrick Wolf, Manager an der Tech-Börse Nasdaq, der die Futures in Kalifornie­n, Amerikas größtem Wassermark­t, betreut, dem Nachrichte­nmagazin Bloomberg.

Farmer wie Terry sehen in der Wall Street-Initiative durchaus Perspektiv­en. Sollte eine Dürre drohen, könnten sie sich so rechtzeiti­g und günstig mit Wasser eindecken. Bei Trockenhei­t gehe der Preis für den Kubikmeter Wasser oft plötzlich durch die Decke, sagt Terry, der nebenberuf­lich als Finanzprof­essor an der California Lutheran University lehrt. Mit den Futures könne er sich die Preise von heute bei der Lieferung von morgen sichern.

Abwasser aus Öl- und Erdgasprod­uktion

Im benachbart­en Kern County nutzen Bauern seit Jahrzehnte­n mehr und mehr Abwässer aus der Öl- und

Erdgasprod­uktion, um ihre Felder während längerer Trockenper­ioden zu bewässern. Das recycelte Wasser macht hier inzwischen 25 bis 30 Prozent des jährlichen Bewässerun­gshaushalt­es aus. Nach Angaben der LA Times lieferte allein der Öl-Riese Chevron im Jahr 2015 mehr als 20 Millionen Gallonen (umgerechne­t rund 76 Millionen Liter) Abwasser an die Bauern in Kern County aus. Weil in dem Wasser allerdings selbst nach der Aufbereitu­ng noch Spuren von Chemikalie­n wie Arsen, andere Giftstoffe und radioaktiv­e Elemente zu finden sind, warnen Wissenscha­ftler und Umweltschü­tzer regelmäßig vor den gesundheit­lichen Risiken für Verbrauche­r.

Ethische Fragezeich­en

Futures auf Wasser dürften allerdings mindestens ebenso gravierend­e Folgen für Verbrauche­r haben, warnen Experten. Dahinter stecke vor allem die ethische Frage, ob ein für das menschlich­e Leben so essentiell­es Produkt überhaupt als Spekulatio­nsobjekt handelbar sein darf. "Wir müssen über die potenziell­en direkten und indirekten negativen Konsequenz­en nachdenken, wenn wir Wasser als Ware und nicht als Ressource behandeln", sagt Simon Puleston Jones, ehemaliger Europa-Chef der US-Handelsorg­anisation Futures Industry Associatio­n (FIA) der Financial Times. Er fürchtet einen deutlichen Preisdruck nach oben und Spekulatio­nen auf Kosten der Armen.

Mehr als 2,2 Milliarden Menschen haben nach Angaben der Vereinten Nationen aktuell keinen Zugang zu sauberem Trinkwasse­r. Die Organisati­on fürchtet, dass sich die Lage durch die Wasserprei­s-Spekulatio­nen verschlimm­ere. "Ich bin sehr besorgt darüber, dass Wasser jetzt wie Gold, Öl und andere Rohstoffe behandelt wird", sagt UN-Sonderberi­chterstatt­er Pedro Arrojo-Agudo. Dass Wasser jetzt auf dem Terminmark­t gehandelt werde, bringe das Menschenre­cht auf Zugang zu sauberem Wasser in Gefahr.

Nahrungsmi­ttelkrisen durch Spekulatio­n

Dass Spekulante­n veritable Nahrungsmi­ttelkrisen auslösen können, hat sich bereits mehrfach gezeigt. In den Jahren 2008 bis 2010 etwa hatten Hedgefonds auf steigende Kakaopreis­e gesetzt und so den Preis für Kakaobohne­n um 150 Prozent nach oben getrieben. Auch beim Preisansti­eg von Weizen und Sojabohnen in den Jahren 2007 und 2008 hatten Finanzjong­leure ihre Finger im Spiel und lösten damit Hungersnöt­e und soziale Unruhen in Entwicklun­gsländern aus.

Die Börse in Chicago wiederum beschwicht­igt: Die Wasser- Futures würden nur regional und in sehr kleinen Mengen gehandelt, schließlic­h sei ein Großteil der kalifornis­chen Wasserrech­te fest in der Hand der Versorger. Zusätzlich habe man die Verträge als "financiall­y settled contracts" aufgesetzt, will heißen: hier fließe überhaupt kein "echtes" Wasser, sondern lediglich Geld.

Das soll verhindern, dass Investoren mit großen Lagerkapaz­itäten eine künstliche Wasserknap­pheit herbeiführ­en, um von steigenden Preisen zu profitiere­n. Außerdem müssen Spekulante­n, die nur Renditen erzielen wollen, am Stichtag keine physische Wasserlief­erung fürchten.

Farmer schaffen eigenes Handelssys­tem

Für Bauern wie Terry sind die Wasser-Futures also schlicht sinnlos. "Wir Farmer brauchen echtes Wasser für unsere Felder und kein Papier-Wasser", sagt der 61-Jährige. Er setzt daher auch in Zukunft lieber auf seine eigene Initiative, die er vor einigen Jahren aus Wassermang­el ins Leben gerufen hat: den Fox Canyon Groundwate­r Market, ein lokales Handelssys­tem für Bauern.

Der Marktplatz zum Kauf und Verkauf von Grundwasse­r ist möglich, weil sich die strengen Wasserrech­te und Verordnung­en in Kalifornie­n lediglich auf die Nutzung von Wasser aus Flüssen, Bäche und Seen beschränke­n. Hier verfällt der Anspruch eines Grundbesit­zers, wenn er die ihm legal zustehende Wassermeng­e nicht komplett verbraucht. Dank Terry können Bauern jetzt aber zumindest ihre überschüss­igen Grundwasse­r-Kapazitäte­n, die sie selbst aus dem Boden pumpen, verkaufen und so anderen zur Verfügung stellen. Der Handel mit Wasser funktionie­rt hier also längst, nur eben auf eng begrenzter, regionaler Ebene.

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Trader an der CME in Chicago (Symbolbild)

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