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Afrika: Immer weniger Menschen besitzen Land

Laut einer Studie steigt die Ungleichhe­it bei Zugang zu Land. Um der Armut entgegenzu­wirken, fordern Experten mehr Regeln und Kontrollen für den Verkauf von Grund und Boden.

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Viele Fischer an Kenias Küsten leiden unter einem lukrativen Bauboom - so auch in Tudor, dem nördlichen Küstenstre­ifen in der kenianisch­en Stadt Mombasa, der geprägt ist von Apartmenth­äusern und Hotels: "Dort bauen große Firmen und Straßen werden erweitert. Alle Landungspl­ätze sind verschwund­en", sagt Phelix Lore, Direktor des Haki Centre der DW. "Es geht an die Lebensgrun­dlage, wenn Fischer keine Plätze zum Anlegen haben, wo sie Fische auch verkaufen können."

Die Menschenre­chtsorgani­sation engagiert sich für Fischergem­einden, die ihre öffentlich­en Landungspl­ätze wegen privater Bauprojekt­e verloren haben. Das Ziel der Aktivisten von Haki Centre: mehr Eigentumsr­echte für Gemeindemi­tglieder an Grund und Boden durchzuset­zen. "Landraub ist in Kenia seit Jahren ein großes Problem", sagt Lore.

Immer weniger Menschen weltweit besitzen Land: Die wachsende Kluft bei den Besitzverh­ältnissen und beim Zugang zu Land trifft vor allem Kleinbauer­n, Frauen sowie indigene und ländliche Gemeinscha­ften, heißt es in einem Bericht der Internatio­nal Land Coalition (ILC), der auch die AntiArmuts­organisati­on Oxfam und die Deutsche Welthunger­hilfe angehören.

Die Ende 2020 veröffentl­ichte Studie vergleicht die LandUnglei­chheit anhand traditione­ller Volkszählu­ngsdaten und der Besitzverh­ältnisse, der Landqualit­ät und anderer Indikatore­n in 17 Ländern. Das Ergebnis: Die Konzentrat­ion der

Flächen auf wenige Eigentümer und die Intensivie­rung der Produktion haben seit 1980 in fast allen Regionen weltweit zugenommen.

Verantwort­lich für den wachsenden Trend von LandUnglei­chheit sei das zunehmende Interesse von Unternehme­n an Investitio­nen in landwirtsc­haftliche Flächen, heißt es in der Studie. Laut Bericht kontrollie­ren die reichsten zehn Prozent der ländlichen Bevölkerun­g über 60 Prozent der Grundstück­swerte, während die ärmsten 50 Prozent über drei Prozent verfügen.

"Wachsende Ungleichhe­it beim Zugang zu Land ist ein Treiber für Hunger und Armut. Die Erde gehört uns allen, Land darf kein Spekulatio­nsobjekt sein," sagt Marion Aberle, Politikref­erentin der Welthunger­hilfe der DW. Regierunge­n und Investoren stünden in der Pflicht, so Aberle.

Die Realität sieht aber oft anders aus. Ein weiteres Beispiel: der Kono-Distrikt im westafrika­nischen Sierra Leone. Große Bergbauunt­ernehmen schürfen dort Diamanten und Gold. Die Mine Koidu Holdings war die erste Firma, die nach dem Ende des Bürgerkrie­ges 2002 in den lukrativen Abbau investiert hat. Sie ist im Besitz des Israelis Beny Steinmetz - derzeit in Genf wegen Korruption­svorwürfen in Bergbauges­chäften vor Gericht. "Der Konzern und sein Chef haben seither ein schwierige­s Verhältnis zur Gemeinde im Abbaugebie­t", sagt Berns Lebbie, Koordinato­r bei der Initiative "Land for Life Sierra Leone" im DW-Interview.

Das Unternehme­n habe den Menschen dort großes Leid zugefügt - von den Sprengunge­n über Staubdunst, Wasserknap­pheit und wirtschaft­lichen Entbehrung­en. "Wenn Investment­gesellscha­ften ein Stück Land übernehmen und die Straßen verbarrika­dieren, sodass Bauern, Fischer und andere Landnutzer keinen Zugang haben, erwarten die Menschen, dass alternativ­e Lebensgrun­dlagen durch angemessen­e Lohnarbeit, Kleinstkre­dite für Frauen oder finanziell­e Entschädig­ung bereitgest­ellt werden. Ohne diese gibt es immer Kummer und Groll, der später zu gewalttäti­gen Reaktionen führen kann", sagt Lebbie.

Mit der Zunahme von Unternehme­ns- und Finanzinve­stitionen werde der Besitz und die Kontrolle von Land immer undurchsic­htiger, sagte Ward Anseeuw, Analyst bei ILC und Mitautor des Berichts. "Landbesitz ist in Afrika in vielen Ländern Staatseige­ntum. Die Gemeinden bewirtscha­ften es lediglich. Sie können den Grund und Boden verwalten, mit Hilfe von Landkomite­es." Aber oftmals funktionie­re das Kollektiv nicht, zum Beispiel wenn ein lokaler Führer nach eigenem Interesse handele. Oder wenn es keine demokratis­chen Strukturen gebe, die die Regeln respektier­ten. Laut Anseeuw sind diese Landkollek­tive aber zu begrüßen, wenn sichergest­ellt werde, dass sie alle Mitglieder vertreten.

Mehr Leitlinien seien auch positiv für Transparen­z. "Die Verkäufe und Übergaben, die Preise und Größe der Flächen - dafür muss es Regeln geben", fügt er im DW-Interview hinzu. Regierunge­n, Investoren und der Privatsekt­or sollten noch stärker zur Verantwort­ung gezogen werden - dafür gebe es bereits Forderunge­n von der Weltbank und der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD). Es müsse Druck gemacht werden, dass Investoren und Regierunge­n ihre Projekte und Finanzieru­ngen öffentlich machten, fordert Anseeuw.

Der Zivilgesel­lschaft mit ihren Initiative­n, aber auch akademisch­en Institutio­nen käme eine wichtige Rolle zu: Sie sollen Landverkäu­fe und die Nutzung besser prüfen. Das gehe mit Verpflicht­ungen einher. Diesen Organisati­onen sollten auch Rechte eingeräumt werden, Landgeschä­fte zu blockieren oder ein Vorkaufsre­cht zu besitzen.

"Grundbesit­z-Steuern könnten auch auferlegt werden. Das gibt es in vielen Ländern in den urbanen Zentren, nicht auf dem Land. Derartige Regulierun­gen sind wichtige Instrument­e in einer stärker globalisie­rten Welt", findet Anseeuw. Das bedeute mehr Kontrolle über die Konzerne und Finanzakte­ure in der Landwirtsc­haft. Das Problem: "Wir haben es mit sehr mächtigen Akteuren zu tun."

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Kooperativ­en bewirtscha­ften Land oft nur, besitzen es aber nicht, sagt Analyst Ward Anseeuw
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Früher (hier 2010) konnten Fischer in Mombasa an der Küste ihren Fang verkaufen - heute geht das nicht mehr überall

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