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Jahrhundertsänger Plácido Domingo wird 80
Er singt und singt und singt - trotz Alter, CoronaErkrankung und #MeTooVorwürfen. Auch mit 80 steht Plácido Domingo noch auf der Bühne.
Über sein Alter spricht er lieber auf Französisch. "Quatrevingt" (übersetzt: "vier mal zwanzig") höre sich besser an, als zu sagen, dass er am 21. Januar 2021 sein neuntes Lebensjahrzehnt beginne, sagte Plácido Domingo Ende Oktober 2020 bei einem Treffen mit Journalisten in Moskau.
Sein Name bedeutet - übersetzt aus dem Spanischen - so viel wie "ruhiger Sonntag", aber gerade sonntags kam der MegaOpernstar in den vergangenen 60 Bühnenjahren so gut wie nie zur Ruhe. "Da ist fast immer eine Aufführung oder ein Konzert gewesen." nicht wirklich nach Russland vorgedrungen, so dass Domingo hier weiterhin nicht nur mit seiner erstaunlich jungen und kraftvollen Stimme, sondern auch mit einer "sauberen Weste" auftreten kann.
Zu den Vorwürfen der sexuellen Belästigung, die im August 2019 in den USA gegen ihn erhoben wurden, will sich Domingo nicht mehr äußern. Er habe sein persönliches Fehlverhalten eingestanden und sich entschuldigt - immerhin, denn erst leugnete der Sänger jegliche Schuld, er habe "nie jemanden belästigt". Zahlreiche Aussagen von Frauen aus der Opernwelt bezeugten das Gegenteil: Es wurde von "unangemessenen Aktivitäten" - vom Flirt bis hin zu sexuellen Avancen - berichtet, allerdings meistens anonym. Eine Anzeige wurde nie erstattet.
Der Skandal hat den Workaholic Domingo seine USA-Karriere und den Posten des Intendanten in Los Angeles gekostet. Auch sein Heimatland, Spanien, hat gegen Domingo, einst als Halbgott gefeiert, eine Art Bann verlegt. Da wünscht sich der Sänger, so seine jüngste Aussage gegenüber der spanischen Zeitung "El Mundo", "eine ehrliche Klärung im persönlichen Gespräch".
Ansonsten möchte er das Thema aber hinter sich lassen und sich "anderen Herausforderungen widmen". Russland eignet sich perfekt dafür: Seit seinem Russland-Debüt 1974 liegt das Land ihm zu Füßen. Sogar Präsident Putin zählt zu den Domingo-Fans und hat den Sänger in seinen Kultur-Beirat eingeladen (was Domingo allerdings höflich ablehnte - unter Berufung auf den vollen Terminkalender). Dafür versprach der Maestro, im kommenden Jahr mehrfach als Sänger und Dirigent auf den russischen Bühnen zu stehen, weitere Einladungen sollen ihn nach Mexiko und Italien führen. Im Falle Domingos scheint die Musikwelt Milde walten lassen.
Das Phänomen seiner Bühnen-Langlebigkeit erklärte Domingo in einem Interview mit der Fürsprache der heiligen Cecilia, der Patronin aller Musiker, zu der er vor jedem Auftritt bete - und mit seinem Optimismus. Diesen Optimismus büßte er nicht einmal während der Corona-Erkrankung ein, die Domingo mit seiner ganzen Familie bereits im März 2020 durchmachte. Der fünfmonatigen Corona-Pause, die er in seinem Ferienhaus in Acapulco verbrachte, kann er auch etwas Positives abgewinnen: Er habe viel Zeit mit seiner Familie, den drei Söhnen und zahlreichen Enkelkindern verbracht, Klavier gespielt und "über sein Leben nachgedacht".
Plácido Domingo wurde am 21. Januar 1941 in Madrid geboren. Seine Eltern waren beide Sänger im Zarzuela-Fach, eine Form der spanischen Operette. Bald zog die Familie berufsbedingt nach Mexiko. Der vom Fußball und Stierkampf begeisterte Junge wurde im Alter von 14 Jahren ins Nationale Musikkonservatorium des Landes aufgenommen. Im Alter von 18 Jahren folgte sein Debüt als Solist.
Nach der Heirat mit Marta Ornelas, einer Musikerkollegin, heute 86 und weiterhin Beraterin ihres Mannes in allen Angelegenheiten, sangen beide von 1962 bis 1965 an der Oper in Tel Aviv. Der Startschuss zur internationalen Karriere kam zwei Jahre später, zunächst in Europa, 1968 dann mit Domingos Debüt bei der Metropolitan Opera in New York auch in den USA. Es folgten Auftritte auf allen wichtigen Opernbühnen der Welt. Die meisten absolvierte der Sänger jedoch bei der Metropolitan Opera, wo er in mehr als 800 Aufführungen 46 Rollen verkörperte.
In den 1990-er Jahren setzte Domingo Maßstäbe bei der Akzeptanz klassischer Musik, auch außerhalb der Konzertsäle. Als einen der "Drei Tenöre" - zusammen mit Luciano Pavarotti und José Carreras - liebte ihn auch jenes Publikum, das sich sonst nicht für Klassik interessierte. Spätestens nach dem Auftritt bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 wurden die drei Kult. Das Projekt bescherte den Sängern und den Machern zudem einen überragenden wirtschaftlichen Erfolg, die Alben der "Tenorissimi" verkauften sich über 20 Millionen Mal.
Domingos Hauptrepertoire bildeten die französischen und italienischen Opern mit Schwerpunkt auf den Komponisten Verdi, Puccini und Bizet. Domingo war aber schon immer für Überraschungen gut: So waren Besucher der Richard Wagner-Festspiele in Bayreuth 1991 erstaunt, als der "König des Belcanto" bei einer Aufführung von "Parsifal" unangekündigt im Zuschauerraum auftauchte.
Dort blieb er allerdings nicht lange: In der folgenden Saison stand Domingo auf der Bühne, sang die Titelrolle und verblüffte mit einem weichen, melodischen Wagner-Gesang. Es folgten Auftritte und Studioaufnahmen weiterer Wagner-Rollen: Lohengrin, Siegmund, Siegfried und Tristan. Auch im russischen Repertoire behauptete sich der Spanier - etwa als Hermann in "Pique Dame" von Pjotr Tschaikowski, eine seiner Parade-Rollen.
Ob er ans Aufhören denke? In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Domingo 2009: "Ich werde keinen Tag länger singen, als ich sollte. Allerdings auch keinen weniger, als ich kann." Elf Jahre später, im Oktober 2020, kam auf diese Frage eine präzisere Antwort: Er rechne, so ließ Domingo wissen, noch mit ein bis zwei aktiven Bühnenjahren. Und dann habe er auch "viel anderes vor". Alter, so der Sänger gegenüber "El Mundo", sei "keine Ausrede dafür, dass man die Begeisterungsfähigkeit verliert oder nicht mehr träumt".