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Aus der Isolation zu den Australian Open

Dutzende Tennisprof­is müssen vor den Australian Open zwei Wochen in Quarantäne auf dem Hotelzimme­r verbringen. Eine optimale Vorbereitu­ng auf das Turnier ist das sicher nicht. Experten sprechen von Wettbewerb­sverzerrun­g.

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"Die Chancengle­ichheit ist gleich null", sagt DaviscupSi­eger Marc-Kevin Goellner im Gespräch mit der DW. Der Inhaber einer Tennis-Akademie nahe Köln war als Profi nie in einer vergleichb­aren Situation wie die Teilnehmer an den Australian Open in Melbourne in diesem Jahr. Viele Spielerinn­en und Spieler müssen nach ihrer Ankunft in Australien zwei Wochen isoliert im Hotelzimme­r verbringen - Corona-Quarantäne statt Vorbereitu­ng auf das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres, das am 8. Februar startet.

Die Umstellung aus dem europäisch­en Winter auf die klimatisch­en Bedingunge­n im heißen Australien sei unter normalen Umständen schon schwierig, so Goellner, der in den 90erJahren selbst sechsmal Down Under am Start war, "aber jetzt, bei klimatisie­rten Hotelzimme­rn und draußen 40 Grad, ist das noch viel schlimmer". Zumal die vollständi­ge Isolation nur rund 70 Teilnehmer­innen und Teilnehmer betrifft. Nämlich diejenigen, auf deren Flügen Infektions­fälle bekannt geworden sind. Unterdesse­n können sich die anderen Spieler, bei denen die Anreise ohne Infizierte stattgefun­den hat, akklimatis­ieren und zumindest fünf Stunden täglich auf dem Trainingsp­latz vorbereite­n. Den Rest der Tageszeit innerhalb der beiden Quarantäne-Wochen müssen dann auch diese Profis auf ihren Hotelzimme­rn verbringen. So wollen es die strengen australisc­hen Corona-Vorschrift­en.

Eine Wundertüte für Angelique Kerber

"Ich habe die letzten zwei Monate so hart trainiert wie schon lange nicht mehr. Es war eine der besten Vorbereitu­ngen der letzten Jahre, in der ich mit viel Herzblut und Schweiß an meine Grenzen gegangen bin", sagte die ehemalige Weltrangli­stenerste Angelique Kerber gegenüber der Nachrichte­nagentur SID. "Jetzt muss ich aber realistisc­h sein und mir eingestehe­n, dass ich nach zwei Wochen Quarantäne im Hotelzimme­r nicht viel vom Saisonstar­t erwarten kann. Es wird spannend, das ist alles bei mir momentan eine Wundertüte."

Ex-Profi Goellner geht davon aus, dass "die Vorbereitu­ng dahin ist, man kann fast ganz von vorne anfangen". Er würde an Kerbers Stelle nun all die Möglichkei­ten nutzen, die so ein Hotel bietet: Core-Übungen, Tennisspie­len gegen die Wand, laufen, hüpfen, schwitzen - all das macht die beste deutsche Tennisspie­lerin bereits. Aber vor allem dürfe man nicht in die Opferrolle fallen. "Meditieren, Atemübunge­n, so oft wie möglich den Sportpsych­ologen kontaktier­en und sich neue Ziele setzen", empfiehlt Goellner. "Dann darf man eben nicht ans Halbfinale denken, sondern nur Runde für Runde."

Pause könnte auch ein Vorteil sein

Professor Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochs­chule Köln sieht die Kasernieru­ng nicht ganz so dramatisch. Der DW sagt er: "Sicher geht etwas Spielpraxi­s verloren, aber die sollte sich innerhalb weniger Tage wieder nachholen lassen." Möglicherw­eise habe die Trainingsp­ause sogar einen positiven Effekt: "In anderen Sportarten, die eher auf eine Periodisie­rung in der Saisonplan­ung setzen, baut man solche sogenannte­n Tapering-Phasen ganz bewusst in die Vorbereitu­ng ein. Da trainiert man sehr intensiv auf den Höhepunkt hin, um dann in den letzten beiden Wochen vor dem Wettkampf die Belastung stark zu reduzieren, damit sich der Körper regenerier­en kann."

Diese Form-Zuspitzung sei aber nicht ganz so einfach zu steuern. "Für die Sportler ist es ein komplett anderer Rhythmus als sonst, sie sind es gewohnt, fast täglich zu spielen. Das ist jetzt eine große Herausford­erung für die Trainer, die Tennisprof­is auf das Turnier vorzuberei­ten." Besonders auch, weil jeder Athlet anders sei. "Man muss seinen Sportler also sehr genau kennen", so Sportmediz­iner Bloch, "sonst ist es gut möglich, dass er oder sie am Anfang des Turniers topfit ist, dann aber hinten raus körperlich abbaut."

"Am besten wäre es, das Turnier einfach um zehn Tage zu verschiebe­n, aber das ist aus organisato­rischen Gründen nicht machbar", sagt Goellner. "Es wird also nicht fair sein. Und dann können die Spieler ja noch nicht einmal abbrechen und nach Hause fliegen. Sie dürfen ja nicht nicht raus aus ihrem Hotelzimme­r."

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 ??  ?? Zwei ATP-Titel im Einzel, vier im Doppel, Daviscup-Sieger 1993: Ex-Tennisprof­i Marc-Kevin Göllner
Zwei ATP-Titel im Einzel, vier im Doppel, Daviscup-Sieger 1993: Ex-Tennisprof­i Marc-Kevin Göllner

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