Deutsche Welle (German edition)
Wie funktionieren die Corona-Antikörper-Medikamente?
Bamlanivimab und REGNCoV-2 sind die neuesten Hoffnungsträger, wenn es um wirksame Mittel gegen COVID-19 geht. Zwei alte Bekannte sozusagen.
Welche wirksamen Medikamente gegen SARS-CoV-2 gibt es, welche werden aktuell untersucht, welche sind Hokuspokus? Die Liste an potenziellen Wundermitteln und echten Hoffnungsträgern ist lang, den Überblick zu behalten fällt schwer - insbesondere, weil es fast täglich neue Meldungen zu Impfstoffen, Medikamenten und Co. gegen COVID-19 gibt.
Seit dem Wochenende sind zwei alte Bekannte wieder im Gespräch: Ein einzelner Antikörper der Firma Eli Lilly namens Bamlanivimab. Und ein weiteres Medikament, REGN
CoV-2 von Regeneron, bestehend aus zwei Antikörpern (Casirivimab und Imdevimab).
Die Bundesregierung hat diese Mittel nun zur Behandlung infizierter Risikopatienten gekauft- 200.000 Dosen zum Preis von 2000 Euro pro Dosis. Kein Schnäppchen, aber vielversprechend. Denn mit dem Cocktail von Regeneron war im
Oktober vergangenen Jahres auch der ehemalige US-Präsident Trump nach seiner CoronaInfektion behandelt worden. Beide Medikamente haben in den Vereinigten Staaten eine Notfallzulassung erhalten. In der Europäischen Union steht eine Genehmigung hingegen noch aus.
Wie wirken die AntikörperMedikamente?
Die beiden Medikamente haben das gleiche Wirkprinzip: Ihre Antikörper binden sich dort an das SARS-CoV-2-Virus, wo das Spike-Protein an menschliche Zellen andockt. Das soll verhindern, dass das Virus in die Zelle eintreten kann.
Diese sogenannten monoklonalen Antikörper werden im Labor hergestellt und sollen das Virus nach einer Infektion k.o. machen. Monoklonal bedeutet, dass die eingesetzten Antikörper alle gleich sind und sie das Virus an einem fest definierten Ziel angreifen.
Das Medikament der USFirma Reganeron enthält zwei monoklonale Antikörper. Die Behandlung führt laut Regeneron zu einer Reduzierung der Viruslast, also der Menge an nachweisbaren Viren, und zu einem rascheren Abklingen der Symptome
Der Vorteil des RegeneronCocktails sei, dass so die Wahrscheinlichkeit steige, dass mindestens ein Antikörper bei jeder speziellen Anwendung auch wirklich wirksam sein könne, erklärte die Virologin Sandra Ciesek im NDR-Podcast "Coronavirus-Update".
Das Mittel der US-Firma Eli Lilly enthält im Gegensatz dazu
nur einen monoklonalen Antikörper.
"Wie eine passive Impfung"
Die Medikamente "wirken wie eine passive Impfung. Die Gabe dieser Antikörper kann Risikopatienten in der Frühphase helfen, dass ein schwerer Verlauft verhindert wird", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn.
Allerdings bildet der menschliche Körper nach einer Impfung - im Unterschied zur Reaktion auf Antikörper-Mittel - einen Mix an Antikörpern, die an das Virus an verschiedenen Stellen binden können. Fachleute sprechen in diesem Fall von polyklonalen Antikörpern.
Für welche Patienten sind die Medikamente gedacht?
Beide Mittel dürfen in den USA zur Behandlung von Patienten ab zwölf Jahren eingesetzt werden, bei denen das Risiko besteht, dass sie schwere COVI D - 1 9- S y m p t o m e entwickeln. Die Medikamente können laut der US-Arzneimittelbehörde FDA die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs senken.
Patienten, die sich im Krankenhaus befinden oder Sauerstoff benötigen, dürfen das Medikament nicht bekommen. Am stärksten profitierten Regeneron zufolge Probanden, deren Immunsystem noch keine eigenen Antikörper gegen das Virus gebildet hatte.
Innerhalb der ersten zehn Tage nach Infektion habe es in Studien die besten Ergebnisse gegeben, so FDA-Chef Stephen Hahn. Es gebe aber insgesamt noch nicht ausreichend Daten, sagen viele Wissenschaftler.
Für die Erprobung in Deutschland ist geplant, dass zunächst Patientinnen und Patienten die Medikamente bekommen, die einen schweren Verlauf erleiden könnten, oder deren Immunsystem so schwach ist, dass es nicht genügend Antikörper bildet.
Später sollen interdisziplinäre Expertengremien entscheiden, welche Patienten eines der Präparate bekommen. An diesen Kriterien wird gerade gearbeitet.
Was ist über Nebenwirkungen bekannt?
In einer klinischen Studie gab es bei Patienten, die mit dem Regeneron-Mittel behandelt wurden, keine gehäuften schweren Nebenwirkungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe.
Die FDA weist aber in einem FAQ darauf hin, dass es ein gewisses Potenzial unter anderem für schwere Überempfindlichkeitsreaktionen, etwa einem anaphylaktischen Schock, bei den beiden eingesetzten Antikörpern gibt.
Außerdem könne es zu infusionsbedingten Reaktionen kommen, wie Fieber, Schüttelfrost, Übelkeit, Kopfschmerzen, Bronchospasmus, Hypotonie, Rachenreizung, Hautreizungen oder Schwindel.
Die FDA weißt aber auch darauf hin, dass es zu schweren und unerwarteten Nebenwirkungen kommen kann, da Casirivimab und Imdevimab immer noch untersucht werden und möglicherweise noch nicht alle Risiken bekannt sind.
Bei dem Mittel von Eli Lilly traten bei Studien laut FDA in zwei von 850 Fällen schwerere Nebenwirkungen auf, die entsprechend behandelt wurden. Doch auch hier seien möglicherweise manche Nebenwirkungen noch gar nicht bekannt.
Werden die Mittel in den USA nun großzügig eingesetzt?
Sowohl Regeneron als auch Eli Lilly haben seit November eine US-Notfallzulassung für ihre Medikamente. Dies bedeutet aber nicht, dass die Mittel auch flächendeckend direkt zum Einsatz kommen.
Es gäbe zwar sehr viele Patienten, die für eine Behandlung mit den Antikörpern infrage kämen, aber bei weitem nicht ausreichend lieferbare Dosen, so Erin Fox von der University of Utah gegenüber der "New York Times". "Insgesamt kann man zu Antikörpertherapien sagen, dass sie sehr teuer sind und dass Antikörper sehr schwer zu produzieren sind", so auch die deutsche Forscherin Ciesek im "Corona Update".
Wann könnte es die Mittel bei uns geben?
Bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA läuft bislang kein Zulassungsprozess für eine solche Antikörper-Behandlung. Regeneron plant aber, gemeinsam mit dem Pharmakonzern Roche als Partner, auch in der EU eine Zulassung zu beantragen. Eli Lilly und andere Firmen dürften sicherlich bald folgen.
Virologin Ciesek geht - auch wegen der komplizierten und teuren Produktion - absehbar davon aus, dass "das wahrscheinlich eher ein Einsatz ist, der sehr kontrolliert erfolgen wird, zum Beispiel bei Hochrisikopatienten, aber sicherlich nicht bei jedem durchführbar sein wird".
Nutzen-Risiko-Abwägung
Laut jüngsten Studien kann eine Antikörper-Therapie die Viruslast im Rachen Infizierter verringernund einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben.
Zwischenzeitlich teilte die Pharmafirma Eli Lilly in einer Pressemitteilung mit, dass Bamlanivimab laut einer Studie in US-amerikanischen Pflegeheimen an knapp 1000 Patienten und Angestellten das Infektionsrisiko um 80 Prozent senke. Die Ergebnisse sind vielversprechend - aber das Peer-Review-Verfahren, also die Begutachtung der Studie durch unabhängige Wissenschaftler des selben Fachgebiets, steht noch aus.
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, hält den Kauf der Medikamente für verfrüht. Die Wirksamkeit bei der Behandlung von COVID-19 sei noch nicht ausreichend durch Studien belegt, so Ludwig gegenüber
ZDFheute. Daher solle der Einsatz "unbedingt" nur im Rahmen von klinischen Studien erfolgen.
Biochemiker Patrick Cramer vom Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie hält den Kauf des Medikaments dagegen für "sinnvoll". Man schaffe damit zusätzliche "Handlungsoptionen" im Kampf gegen Corona, so Cramer zu ZDFheute. "Monoklonale Antikörper werden seit vielen Jahren als Medikamente verwendet, die Technologie ist grundsätzlich ausgereift."
Nach einer Bewertung des für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel zuständigen PaulEhrlich-Instituts (PEI) steht demnach einer Anwendung nach individueller Nutzen- RisikoEinschätzung grundsätzlich nichts im Wege. Behandelt könnten "in bestimmten einzelnen Fällen" an COVID-19 erkrankte Erwachsene mit milden oder moderaten Symptomen und einem Risiko für schwere Verläufe.
Auch eine Fachgruppe am Robert-Koch-Institut befasste sich im Dezember mit REGN-COV2 und kam zu dem Schluss, dass das Mittel im Rahmen von kontrollierten klinischen Prüfungen eingesetzt werden kann. Es sei eine "vielversprechende Therapieoption" in der frühen Phase einer Coronavirus-Infektion und komme auch als Prophylaxe nach Kontakt mit dem Erreger in Frage.