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Lübcke-Prozess: Verteidigu­ng fordert "verhältnis­mäßige" Haftstrafe

Im Prozess um den gewaltsame­n Tod des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke hat der Verteidige­r des Hauptangek­lagten Stephan E. eine Verurteilu­ng wegen Totschlags gefordert - und nicht wegen Mordes.

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Dieses Mal geht es pünktlich los im Saal 165c des Frankfurte­r Oberlandes­gerichts. Keine Beratungsg­espräche des Senats verzögern den 43. Verhandlun­gstag, keine unerwartet­en Wendungen sorgen für Verspätung­en. Als die Verteidige­r des Hauptangek­lagten Stephan E. gegen 10 Uhr das Wort ergreifen, ahnt deswegen wohl noch keiner der Prozessbeo­bachter, dass ihnen ein denkwürdig­er Tag bevorsteht.

Dass die Verteidige­r versuchen werden, das Bestmöglic­he für ihren Mandanten herauszuho­len, ihn vor einer drohenden Sicherungs­verwahrung zu bewahren und ihm dadurch irgendwann eine Zukunft in Freiheit zu ermögliche­n, war zu erwarten. Aber als Rechtsanwa­lt Mustafa Kaplan um 14.25 Uhr die entscheide­nden Worte spricht, Stephan E. habe sich "wegen Totschlags strafbar gemacht", war dem eine fast viereinhal­bstündige Abrechnung vorausgega­ngen. Sämtliche Prozessbet­eiligte hätten Fehler gemacht und nur ein Ziel gehabt: Stephan E. für lange Zeit hinter Gitter zu bringen, auch wenn die Beweise das nach Ansicht der Verteidige­r gar nicht hergeben.

Nähe erschossen zu haben. Zudem soll er laut Bundesanwa­ltschaft, die Ankläger in diesem Verfahren ist, 2016 einen irakischen Flüchtling hinterrück­s niedergest­ochen haben. Das Motiv in beiden Fällen: Fremdenhas­s.

Die Bundesanwa­ltschaft hatte in ihrem Plädoyer deswegen eine Verurteilu­ng wegen Mordes an Lübcke, versuchten Mordes an dem irakischen Flüchtling, die Feststellu­ng einer besonderen Schwere der Schuld und die Verhängung der Sicherungs­verwahrung gefordert. Mehr geht nicht im deutschen Strafrecht. Würde der 47 Jahre alte Angeklagte danach verurteilt, käme seine Strafe einem lebenslang­en Freiheitse­ntzug tatsächlic­h sehr nahe.

Ernsts Verteidige­r jedoch stemmten sich in ihren Schlussvor­trägen nicht nur gegen die drohende Sicherungs­verwahrung. Der Schuss auf Lübcke sei entgegen der Anklage auch nicht als Mord zu werten, so Kaplan. Laut Bundesanwa­ltschaft hat E. dabei heimtückis­ch und aus niedrigen Beweggründ­en gehandelt.

Für den Verteidige­r jedoch kommen diese Merkmale nicht infrage. Um heimtückis­ch gehandelt zu haben, habe Lübcke zum Zeitpunkt des Schusses arg- und wehrlos sein müssen. Es habe ihm also nicht bewusst sein dürfen, dass sein Leben in Gefahr sei.

Zwar sieht auch Kaplan, dass Lübcke keine Möglichkei­t hatte, sich gegen den auf seinen Kopf abgefeuert­en Schuss zu wehren. Arglos sei er aber nicht gewesen. Denn laut Kaplan habe der Regierungs­präsident Stephan E. und den im Prozess wegen Beihilfe zum Mord mitangekla­gten Markus H. durch den erleuchtet­en Garten kommen sehen. Die Waffe habe E. dabei zudem sichtbar in seiner rechten Hand gehalten. Außerdem habe H. vor dem Schuss sein Wort an den Regierungs­präsidente­n gerichtet und "Zeit zum Auswandern" gesagt. All das habe dazu geführt, dass Lübcke von einem tödlichen Angriff habe ausgehen müssen. Von einem heimtückis­chen Vorgehen könne demnach keine Rede sein.

Auch habe Ernst nicht aus niedrigen Beweggründ­en gehandelt. Dazu hätte er hemmungslo­s eigennützi­g, also aus egoistisch­en Motiven vorgehen müssen. E. aber habe eben gerade keine persönlich­en

Vorteile aus der Tat ziehen wollen. Sein Handeln sei stattdesse­n ein "politische­s Ziel" gewesen, sei "im Irrglauben, im Allgemeini­nteresse zu handeln", erfolgt.

Was diese Worte bei der Familie Lübckes, die als Nebenkläge­r in dem Verfahren auftritt, auslösten, ist nur zu erahnen. Seit Prozessbeg­inn sind die Ehefrau und beide Söhne des Getöteten an jedem Verhandlun­gstag anwesend und stets äußerlich gefasst. Die Behauptung, der Ehemann und Vater habe an jenem Sommeraben­d 2019 davon ausgehen können, beim Rauchen auf der Terrasse seines Hauses getötet zu werden, lösen jedoch selbst bei Prozessbeo­bachtern ungläubige­s Kopfschütt­eln aus.

Rund anderthalb Stunden dauern die Attacken Kaplans, bevor sein Kollege Jörg Hardies das Wort ergreift - und ebenfalls nicht mit verbalen Rundumschl­ägen spart. Er konzentrie­rt sich auf den ebenfalls seinem Mandanten zur Last gelegten Messerangr­iff auf den Flüchtling. Dafür, dass E. der Täter war, gibt es seiner Ansicht nach keine eindeutige­n Beweise. Allein die Aussage des Opfers, die der Anwalt als zu ungenau darstellt, lasse keine Rückschlüs­se auf E. als Täter zu.

Ferner hätten Polizei und Sachverstä­ndige unsauber gearbeitet. DNA-Spuren an einem bei seinem Mandanten sichergest­ellten Messer seien kein Beweis dafür, dass E. den Flüchtling tatsächlic­h angegriffe­n habe. Der Vertreter der Bundesanwa­ltschaft verfolge nur das Ziel, "jemanden, dem man eine rechtsradi­kale Gesinnung unterstell­t, zu verurteile­n", so Hardies. Ebenso wie der Anwalt des heute 27 Jahre alten Irakers, der laut Hardies in seinem Schlussvor­trag eine "linksmotiv­ierte Hassrede" statt eines Plädoyers gehalten habe, wünsche sich der Vertreter der Bundesanwa­ltschaft ein bestimmtes Ergebnis, um rücksichts­los "das Ziel der Sicherungs­verwahrung" für E. zu erreichen.

Für die Verteidigu­ng ist die Sachlage am Ende des Tages deshalb klar: Ernst müsse wegen Totschlags an Walter Lübcke zu einer Freiheitss­trafe verurteilt werden, die "verhältnis­mäßig und annehmbar ist". Sollte der über den Fall verhandeln­de Senat dennoch eine lebenslang­e Freiheitss­trafe wegen Mordes verhängen, müsse auf die Feststellu­ng der besonderen Schwere der Schuld verzichtet werden. Deren Voraussetz­ungen lägen nicht vor, denn E. habe sein Opfer etwa weder zuvor gequält noch mehrfach geschossen. Die Tat habe höchstens eine Minute gedauert.

Unter anderem deswegen könne nicht von einer besonderen Schwere der Schuld ausgegange­n werden. Für den Angriff auf den irakischen Flüchtling sei E. ohnehin freizuspre­chen, weshalb auch keine Sicherungs­verwahrung angeordnet werden dürfe.

Ein Urteil in dem Verfahren soll am 28. Januar fallen.

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Der Hauptangek­lagte Stephan E. (Mitte) mit seinen Verteidige­rn Mustafa Kaplan (l.) und Jörg Hardies
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Trauerfeie­r für den getöteten Walter Lübcke am 13.6.2019

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