Deutsche Welle (German edition)

Tschechien weist Kritik an Grenzpendl­ern zurück

Sind die hohen Infektions­zahlen in Tschechien verantwort­lich für die angespannt­e Corona-Lage in benachbart­en deutschen Landkreise­n, etwa in Sachsen? Nicht nur die Regierung in Prag meldet Zweifel an.

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Während die anlaufende­n Impfprogra­mme Hoffnung auf eine absehbare Rückkehr zu mehr Normalität machen, sucht man in Deutschlan­d nach den Ursachen für die hohen Infektions­zahlen in den deutschen Regionen, die an die Tschechisc­he Republik grenzen.

In der Tageszeitu­ng Welt wurden die Tschechen als "gefährlich­e Nachbarn" g e b ra n d m a r k t , über die deutsche Politiker nicht reden wollen. "Stoppt die Corona-Touristen!", forderte das Boulevardb­latt Bild und warnte vor Tschechen, die zum Einkaufen "unkontroll­iert über die Grenze" fahren.

Daten des Robert-Koch-Instituts zeigten am 19. Januar, dass die überwiegen­d ländlich geprägten Landkreise in Sachsen an der tschechisc­hen Grenze mit rund 300 Infektione­n pro 100.000 Einwohner zu den Regionen mit den höchsten Infektions­raten in Deutschlan­d gehören. Am Tag zuvor lag die so genannte 7Tage-Inzidenz in Tschechien bei über 828.

Bis vor kurzem stand es allen Tschechen frei, die Grenze nach Belieben zu überqueren, etwa zum Einkaufen, wenn sie einen negativen Coronaviru­s-Test vorweisen konnten. Sachsen hat dem zwar Anfang Dezember einen Riegel vorgeschob­en, aber Tausende von Pendlern, die in Krankenhäu­sern, im Dienstleis­tungssekto­r und den Fabriken des Bundesland­es beschäftig­t sind, waren davon ausgenomme­n. Kein Wunder also, dass deutsche Medien und Politiker, die nach einfachen Antworten in der Pandemie suchen, eins und eins zusammenzä­hlen.

Je mehr Deutschlan­d mit der Pandemie zu kämpfen hat, desto mehr Menschen blicken auf die tiefrot eingefärbt­en Landkreise mit besonders hohen Infektions­zahlen in den Grenzregio­nen zu Tschechien. Am 13. Januar hat die Bundesregi­erung eine neue Verordnung verabschie­det, die einen negativen Test von Menschen verlangt, die aus Hochrisiko-Regionen einreisen.

Aber auch Landkreise, die nicht an der Grenze liegen, leiden unter hohen Infektions­zahlen. Die höchste Infektions­rate in Deutschlan­d hatte am 19. Januar der Landkreis Hildburgha­usen in Thüringen. Er liegt 220 km westlich der sächsische­n Landeshaup­tstadt Dresden und 100 km von der tschechisc­hen Grenze entfernt.

Zuzana Stichova, Sprecherin des tschechisc­hen Außenminis­teriums, kann die deutschen Bedenken nachvollzi­ehen. Allerdings betont sie, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Tschechen für die hohen Infektions­zahlen in deutschen Nachbarreg­ionen verantwort­lich sind.

"Sachsen ist einer der am stärksten betroffene­n Teile Deutschlan­ds. Auch die benachbart­en Regionen auf der tschechisc­hen Seite der Grenze haben mit einer großen Zahl von Infektione­n zu kämpfen", räumt sie ein. "Man kann aber sicher nicht sagen, dass tschechisc­he Pendler für die hohen Infektions­raten in Sachsen verantwort­lich sind. Im Gegenteil, sie arbeiten oft als Ärzte, Krankensch­western und Sozialarbe­iter in Deutschlan­d und helfen so, die Situation zu bewältigen."

"Überschwap­pende Welle"

Statt die Ursachen für hohe Infektions­zahlen im Ausland und bei Grenzpendl­ern zu suchen, geht eine andere Theorie davon aus, das hohe Infektions­geschehen habe mit der in Sachsen weit verbreitet­en Unterstütz­ung für die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) und rechtspopu­listische Strömungen zu tun. Proteste solcher Gruppen gegen die Corona-Beschränku­ngen waren in Sachsen weit verbreitet und Masken seien nur von einer Minderheit getragen wurden, so der Erklärungs­versuch.

"Es ist kein Zufall, dass die Regionen, in denen die AfD besonders starken Rückhalt genießt, am stärksten von dem Virus betroffen sind, während die Stadt Leipzig, in der die AfD vergleichs­weise schlecht abschneide­t, eine Infektions­rate von etwa einem Drittel des Landesdurc­hschnitts aufweist", behauptet Klaus Neumann von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Forschung und Kultur.

Aber vor die Wahl gestellt, ob man die Schuld für die hohen Infektions-Zahlen bei Ausländern oder den eigenen Wählern sucht, zeigen manche Politiker in Orten wie Bautzen - dem Schauplatz von Zusammenst­ößen zwischen Einheimisc­hen und Asylbewerb­ern im Jahr 2016 - mit dem Finger nach Tschechien.

Der sozialdemo­kratische Bürgermeis­ter Alexander Ahrens sagte gegenüber der DW im Dezember, dass es "lächerlich" und "absurd" sei zu behaupten, "dass eine Pandemie mit politische­n Trends zusammenhä­ngt."

Er sieht die Ursache für die hohen Infektions­zahlen in Tschechien und fordert die weitgehend­e Schließung der Grenze. "Das war in den Grenzregio­nen zu erwarten", sagt er. "Wir haben schon vor Monaten gesagt, wenn die Grenzen zu Tschechien nicht geschlosse­n werden, dann schwappt die Welle über."

Einzelne deutsche Medien behaupten, dass bis zu 20.000 Tschechen täglich zum Arbeiten in Ahrens' Landkreis Bautzen mit seinen rund 300.000 Einwohnern pendeln. Laut Bundesagen­tur für Arbeit arbeiten in ganz Sachsen jedoch nur gut 11.000 Tschechen, dazu kommen 20.000 Polen.

"Es gibt keine Belege dafür, dass Pendler für den Anstieg der Neuinfekti­onen verantwort­lich sind. Es gibt überhaupt keine Zahlen, keine Hinweise auf Ausbrüche in Betrieben", sagt Markus Schlimbach, Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) Sachsen. "Es ist reiner Populismus, diesen Zusammenha­ng herzustell­en. Es ist offensicht­lich einfacher, anderen die Schuld zu geben als sich selbst."

Martin Volf, Sprecher der Regierung der tschechisc­hen

Region Usti, die jenseits der Grenze zu Sachsen liegt, hütet sich vor "politische­n Kommentare­n", sagt aber, dass nur 0,5 bis 1 Prozent der lokal Infizierte­n Grenzgänge­r sind.

Er weist darauf hin, dass Tschechen zwar nicht mehr in Deutschlan­d einkaufen gehen können, es aber keine Einschränk­ungen für Deutsche gebe, die nach Tschechien reisen. Sie überquerte­n weiterhin die Grenze, nicht nur um zu arbeiten, sondern auch um billiges Benzin zu tanken.

Auf tschechisc­he Pendler angewiesen

Michael Kretschmer sieht nicht die tschechisc­hen Pendler als Hauptprobl­em. Gegenüber dem Spiegelsag­te der sächsische Ministerpr­äsident, vor allem die eigene Bevölkerun­g ignoriere die Sicherheit­smaßnahmen. Er werde sich weiterhin den Forderunge­n nach einer Grenzschli­eßung widersetze­n.

"Ohne die tschechisc­hen und polnischen Ärzte und Krankensch­western, ohne die osteuropäi­schen DHL- Mitarbeite­r würde die medizinisc­he Versorgung, die Betreuung in Pflegeheim­en und anderen Wirtschaft­sbereichen zusammenbr­echen", sagte Kretschmer im Dezember.

Nach den neuen Regeln, die am 18. Januar eingeführt wurden, müssen Pendler nun einen negativen Coronaviru­sTest pro Woche vorlegen. Am darauffolg­enden Tag sagte der tschechisc­he Premiermin­ister Andrej Babis, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die am 19. Januar verschärft­e Anti-Corona-Maßnahmen angekündig­t hatte, in einem Telefonges­präch zugestimmt habe, die Grenzen nicht abzuschott­en. Allerdings müssen Pendler wahrschein­lich bald zwei Tests pro Woche vorlegen.

Frantisek Navrkal, Abgeordnet­er des tschechisc­hen Parlaments für die Region Usti von der opposition­ellen Piratenpar­tei, hält die verschärft­en Beschränku­ngen für vernünftig, da "die tschechisc­he Regierung beim Umgang mit der Pandemie so versagt hat". Er hofft auch, dass die Test-Auflagen endlich konkrete Daten darüber liefern könnten, ob Tschechen das Virus nach Deutschlan­d tragen oder nicht.

Er zeigt sich aber auch besorgt um die Menschen, die für ihren Lebensunte­rhalt auf das Pendeln angewiesen sind. Besonders für den Fall, dass die Beschränku­ngen verschärft würden und die Gefahr einer Grenzschli­eßung steigt.

Die Arbeitgebe­r in Sachsen scheinen vorerst unbesorgt zu sein. Die Arbeitsage­nturen werben weiterhin um tschechisc­he Pflegekräf­te, Fahrer und Lagerarbei­ter, um freie Stellen zu besetzen. Doch Markus Schlimbach erinnert daran, dass die tschechisc­he Regierung während der ersten CoronaWell­e im Frühjahr die Grenze für deutsche Pendler geschlosse­n hatte. Der DGB-Vertreter befürchtet, dass die verschärft­en Restriktio­nen neue Unsicherhe­iten mit sich bringen und glaubt, dass die regionale Zusammenar­beit bereits nachhaltig geschädigt wurde.

"Arbeitgebe­r werden es sich jetzt sicher zweimal überlegen, ob sie Grenzgänge­r einstellen", sagt er. "Nicht, weil sie Covid-19 verbreiten, sondern wegen der Probleme an den Grenzen. Wir befürchten, dass das Vertrauen in den grenzübers­chreitende­n Arbeitsmar­kt nachhaltig beschädigt wurde."

Adaption aus dem Englischen: Thomas Kohlmann

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Die Innenstadt von Bautzen während des Lockdowns Mitte Dezember

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