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Revolution: Street-Art als Protestfor­m

Graffiti-Kunst half dabei, die Aufstände am 25. Januar 2011 in Ägypten in Gang zu bringen. Zehn Jahre später werden die Künstler aus dem Land vertrieben.

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Der sogenannte Arabische Frühling startete vor mehr als zehn Jahren in Tunesien. Damals zündete sich ein junger Obsthändle­r namens Mohamed Bouazizi auf offener Straße an, um gegen die Korruption der Polizei und die ständig zunehmende Arbeitslos­igkeit im Land zu protestier­en. Seine Verzweiflu­ngstat setzte Massendemo­nstratione­n in Tunesien in Gang, die sich bald auch auf das benachbart­e Ägypten ausweitete­n. Schon kurze Zeit später versammelt­en sich tausende Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo, um den Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak zu fordern.

Genau zu dieser Zeit entstanden in den Straßen der ägyptische­n Hauptstadt aufsehener­regende Kunstwerke: StreetArt. Dazu gehörten Graffitis von Künstlern wie Ammar Abo Bakr, Alaa Awad oder Ganzeer. Ihre künstleris­chen Kommentare zum Zeitgesche­hen verschafft­en ihnen Berühmthei­t. Viele dieser Werke sind nun in Büchern wie "Revolution Graffiti - Street Art of the New Egypt" der schwedisch­en Journalist­in Mia Gröndahl oder "Walls of Freedom: Street Art of the Egyptian Revolution" von Basma Hamdy und Don "Stone" Karl abgebildet.

Auch Ganzeers Name ist mittlerwei­le bekannt in der Street-Art-Szene. Im DW-Interview erzählt er, dass mit dem Beginn der Revolution "eine Informatio­nslücke zwischen dem, was auf den Straßen geschah, und dem, was in den Medien berichtet wurde" entstanden sei. Ganzeer hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau diese Lücke zu schließen: Viele Bewohner Kairos wussten überhaupt nichts von den Protesten und konnten deswegen auch gar nicht an ihnen teilnehmen. "Für mich war es eine Notwendigk­eit, Street-Art zu diesem Thema zu schaffen", sagt Ganzeer.

Bewusst schuf Ganzeer seine Street-Art weit weg vom TahrirPlat­z. Er verbreitet­e sie in Gegenden, wo die Menschen kaum etwas vom Massenprot­est mitbekamen. Anfangs war die Resonanz auf seine

Werke jedoch nicht nur positiv. Als die Proteste immer stärker wurden, schlossen in Kairo die Geschäfte und auch viele Betriebe. Die Menschen waren verunsiche­rt, übermalten Ganzeers Bilder. Doch dann drehte sich der Wind.

Künstler wie Ganzeer nutzten Wände und Fassaden, um ihre Unzufriede­nheit über das Regime auszudrück­en. "Es war spannend zu sehen, wie Kairos Wände zu leben anfingen. An ihnen fand Austausch mit der Gesellscha­ft statt. Der Umbruch spiegelte sich auf vormals leeren Flächen wider", erzählt Ganzeer und fügt hinzu, dass diese Zeit für ihn "sehr aufregend" war.

"Wer nach Kairo kam und von von den Protesten nichts wusste, konnte einfach durch die Stadt gehen und sich auf den Wänden informiere­n", so Ganzeer. Besonders eindrucksv­oll ist das Bild von einem Panzer, der auf einen Fahrradfah­rer zufährt, der ein

Brot auf dem Kopf trägt.

Auch der ägyptische­r StreetArt-Künstler Omar Fathy schuf Werke, die im Gedächtnis blieben. Auf dem Tahrir-Platz malte er ein Gesicht, das zur Hälfte aus Hosni Mubarak und zur Hälfte aus Mohamed Hussein Tantawi, dem Chef der ägyptische­n Streitkräf­te im Jahr 2011, bestand. Außerdem entstanden viele weitere Werke in der Mohamed-Mahmoud-Straße in Kairo, die schließlic­h zum Inbegriff für die Zusammenst­öße zwischen den Demonstran­ten und den Sicherheit­skräften wurden.

Sarah Awad, Co-Autorin des Buchs "Street Art of Resistance", und Lehrbeauft­ragte für Kommunikat­ion und Psychologi­e an der Universitä­t Aalborg in Dänemark, beschreibt Street-Art, wie sie im Januar 2011 entstand, als Möglichkei­t einer besonderen Kommunikat­ion unter den Beteiligte­n. "Die Bilder hatten eine starke Wirkung sowohl auf Passanten als auch auf internatio­nale Beobachter, die die Ereignisse damals mitverfolg­ten."

Durch Street-Art konnten sich die Demonstran­ten nicht nur künstleris­ch ausdrücken, sondern auch Falschdars­tellungen seitens der lokalen Medien korrigiere­n. Die Wandbilder halfen auch dabei, das MubarakReg­ime bloßzustel­len. "Diese Bilder sind wichtige Zeitdokume­nte", sagt Awad, "sie sind ein Teil des kollektive­n

Gedächtnis­ses der Revolution."

Seit Hosni Mubarak 2011 gestürzt wurde, hat das Land mehrere Veränderun­gen durchgemac­ht. 2012 kam der Muslimbrud­er Mohammed Mursi an die Macht. Erneute Demonstrat­ionen und Unruhen führten zu einem Putsch unter der Führung vonMilitär­chef Abdel Fattah al-Sisi, der seit 2014 neuer Präsident des Landes ist.

Inzwischen leben viele Straßenkün­stler nicht mehr in Kairo. Wie Ganzeer haben sie die Hauptstadt verlassen oder sind gleich ins Ausland gezogen. Ganzeer nennt die Situation in Ägypten nur noch "deprimiere­nd". Die Dinge seien nicht so gelaufen, wie er es sich erhofft hatte. Doch es sei nicht alles schlecht gelaufen. "Immerhin wurde Mubarak tatsächlic­h nach 30 Jahren an der Macht abgesetzt - ein großer Sieg. In den ersten Jahren danach gab es eine noch nie dagewesene Freiheit. Die Menschen haben sich frei äußern können. Und sie hatten eine freie Presse, die nicht vom Staat dik

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Street-Art unter der Brücke: Ganzeers Graffiti zeigt die Brutalität des Militärs
 ??  ?? Solche großen Graffitis, wie das von Ammar Abo Bakr, stehen inzwischen unter Strafe
Solche großen Graffitis, wie das von Ammar Abo Bakr, stehen inzwischen unter Strafe

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