Deutsche Welle (German edition)
Boris Herrmann vor dem Sprung aufs Podium bei der Vendée Globe
Mitte der Woche werden die schnellsten Segler im Zielhafen der härtesten EinhandRegatta der Welt erwartet. Kurz vor Ende der Vendée Globe liegt der Deutsche Boris Herrmann aussichtsreich im Rennen.
"Boris Herrmann ist ein Glücksfall für den deutschen Segelsport", freut sich Mona Küppers, die Präsidentin des Deutschen Segler- Verbandes. Ins Rampenlicht war der Hamburger erstmals vor eineinhalb Jahren getreten, als er die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg zum Klimagipfel in die Vereinigten Staaten schipperte.
Seit 8. November 2020 nun gibt es kaum einen Tag mehr, an dem nicht über ihn berichtet würde. Denn da stach Herrmann zusammen mit 32 anderen Seglern zur Vendée Globe in See. Zu einer Regatta, die so gar nichts ist für Menschen mit VollkaskoMentalität. Allein mit dem Segelboot um den Erdball. 24.000 Seemeilen, also 44.448 Kilometer, im günstigsten Fall - wenn die Skipper die Ideallinie finden durch Wind und Wellen. Tatsächlich werden es am Ende um die 27.000 Seemeilen, rund 50.000 Kilometer gewesen sein.
Allein durch Wind und Wellen
Start und Ziel liegen an der französischen Atlantikküste im
Departement Vendée, daher der Name. Dazwischen gilt es, das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Südamerikas, Kap Leeuwin in Australien und das südafrikanische Kap Hoorn zu passieren, jeweils an Backbord, also an der linken Bootsseite.
Zweieinhalb Monate dauert der Ritt über die Wellen im günstigsten Fall, der Rekord steht bei 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden, gehalten von einem Franzosen. Wie überhaupt die Sieger aller acht bisherigen Ausgaben seit 1989/90 Franzosen waren.
Das könnte sich bei der aktuellen Ausgabe ändern. Mittwoch werden die ersten Teilnehmer vor Les Sables-dOlonne´ zurückerwartet. "Es kann noch viel passieren, spannender geht es nicht", sagte der deutsche Einhandsegler Boris Herrmann bei einer Video-Schalte aus der Kajüte seiner Seaexplorer mit seinen Fans am Sonntagabend.
Spannung durch unterschiedliche Taktiken
Herrmann liegt mit seinem 18-Meter-Boot auf der Zielgeraden im Atlantik noch in Schlagdistanz zu den Führenden. Die Franzosen Charlie Dalin und Louis Burton hatten zuletzt am Montagnachmittag 78 beziehungsweise 51 Nautische Meilen Vorsprung, also knapp 150 und gut 90 Kilometer. Wobei viel von der Routenwahl abhängt. Nur Experten können die Situation einschätzen.
"Im Moment ist es aus seglerischer Perspektive besonders spannend, weil ganz unterschiedliche Strategien gefahren werden", analysierte Herrmann die Lage, "Charlie Dalin segelt weiter im Osten durch leichtere Winde auf flacher See – Yannick Bestaven ist nach Norden gehalst und hat dort stärkeren Wind."
Mit Intuition, Bauchgefühl und viel Technik an Bord
Seit bald zehn Wochen ist Herrmann wie auch seine Konkurrenten auf sich allein gestellt. Er ist sein eigener Koch, Arzt und Bordmechaniker. Wobei er durch seinen Bordcomputer und auch von außen ständig unterstützt wird: "Alle zwölf Stunden bekommen wir neue Wettermodelle und justieren dann noch einmal nach; verfolgen, wie der Wind dreht und wo die Front ist. Der Rest ist Intuition und Bauchgefühl."
Und Glück. Mitte Dezember war eine Großsegellatte am Schiff des 39-Jährigen gerissen, dazu musste er einen kleinen Riss im Großsegel flicken. Improvisationstalent war da gefragt, aber das stellte Herrmann vor keine großen Herausforderungen. Lediglich etwas Zeit ging dabei flöten. Aber solche Probleme sind beinahe an der Tagesordnung bei der wohl härtesten Regatta der Welt.
Helfer in der Not
Viel schlimmer erwischte es den Franzosen Kevin Escoffier, dessen Boot in den tosenden Fünf-Meter-Wellen vor Südafrika auseinander gebrochen war und sank. Handelsschiffe, die ihm hätten helfen können, waren nicht in der Nähe. Escoffier harrte über elf Stunden auf einem Floss auf seine Rettung. Es war sein Landsmann Jean
La Cam, der ihn fand und barg. Auch Boris Herrmann hatte sich an der Suchaktion beteiligt, suchte einen Sektor nach dem Schiffbrüchigen ab, und verlor dabei viel Zeit, die ihm aber von der Rennleitung gut geschrieben wurde.
Auch die Deutsch-Französin Isabelle Joschke musste als bis dahin auf Rang elf bestplatzierte Frau aufgeben. Die Hydraulikanlage ihrer Kielfinne war defekt, die Weiterfahrt unmöglich. Wie richtig die Entscheidung war, die Regatta abzubrechen, sollte sich auf dem Rückweg an der brasilianischen Küste zeigen. Da wäre sie im Sturm mit ihrer Jacht "MACSF" fast havariert: "Der Mast lag schon im Wasser. Ich hatte ziemlich Angst. Ich war sicher, gleich ist es so weit. Ich bin auch gestürzt. Es war ziemlich gefährlich", sagte sie in einem Interview der Süddeutschen Zeitung.
Auf der Zielgeraden zum
Wiedersehen
Boris Herrmann indes hat die größten Herausforderungen der Vendée Globe schon gemeistert. Er hat den Hafen in Frankreich schon fast vor Augen. Und das Wiedersehen mit seiner Familie in Hamburg, die er fast drei Monate nicht mehr gesehen hat. Seine Tochter wurde erst im vergangenen Sommer geboren, zu Weihnachten war der Kontakt auf ein Telefonat beschränkt. Da hatte er die Geschenke zum Fest im voraus deponiert. Heiligabend verbrachte er "alleine, aber nicht einsam". Gemütlichkeit mit Lichterkette und Teelicht an Bord.
Feierlich könnte ihm nun nach der Ankunft in der Vendée werden. Denn egal, ob es zum Sieg oder zu einem Podestplatz reicht: Dennis Herrmann wird der erste Deutsche sein, der die wohl längste und härteste Regatta der Welt beendet. Gewinnt er aber doch noch, wird Boris Herrmann wohl der größte Glücksfall, den das deutsche Segeln je erlebt hat.