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Gesundheit­sämter: Mit Papier, Stift und Fax gegen Corona

Ende 2020 sollten die Gesundheit­sämter in Deutschlan­d eigentlich digitalisi­ert sein. Doch statt Daten in Echtzeit zu verarbeite­n, bekämpft die Mehrzahl der Ämter die Corona-Pandemie weiterhin analog.

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Ob Ebola, Affenpocke­n, Lassafiebe­r oder Meningokok­ken: Schon seit Jahren werden Seuchen in Nigeria und in Ghana mit einer deutschen Software bekämpft: "Surveillan­ce Outbreak Response Management and Analysis System", abgekürzt SORMAS, heißt das vernetzte System zur Kontaktnac­hverfolgun­g und Erfassung von Infektions­herden, das Epidemiolo­gen des Helmholtz-Zentrums für Infektions­forschung (HZI) in Braunschwe­ig entwickelt­en, als 2014 in Westafrika Ebola wütete.

Inzwischen ist das System, das weitgehend automatisi­ert arbeitet, so modifizier­t und ausgereift, dass damit 37 Infektions­krankheite­n bekämpft werden können. Darunter auch Covid- 19. Die Schweiz und Frankreich, aber auch Fidschi setzen SORMAS zur CoronaBekä­mpfung ein; Burkina Faso, die Elfenbeink­üste, Nepal und Afghanista­n bereiten den Einsatz vor. heitsämter­n installier­t.

Viel Zeit und Arbeitskra­ft geht in den Gesundheit­sämtern verloren, weil die meisten im digitalen Zeitalter immer noch mit handgeschr­iebenen Listen und ausgedruck­ten Excel-Tabellen arbeiten. Daten werden auf Papier per Fax übermittel­t und anschließe­nd händisch in den Computer eingetippt. In keinem anderen Bereich werde noch soviel gefaxt wie im Gesundheit­swesen, beliebte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn in den Anfängen seiner Amtszeit zu spotten. Inzwischen ist er nicht mehr zu Scherzen aufgelegt.

50 Millionen Euro hat Spahn 2020 kurzfristi­g für die Digitalisi­erung der Gesundheit­sämter bereitgest­ellt. Zudem könnten sie, wenn sie wollten, kostenlos auf SORMAS zugreifen. Anordnen kann der Minister das aber nicht. "Die Verantwort­ung für die Ausstattun­g der Gesundheit­sämter und damit die Entscheidu­ng über den Einsatz digitaler Hilfsmitte­l obliegt den Bundesländ­ern und den Gesundheit­sämtern selbst", teilt eine Sprecherin des Ministeriu­ms mit.

Anders sieht das bei der digitalen Anbindung und damit

Vernetzung von Ärzten, Krankenhäu­sern und Laboren mit den Gesundheit­sämtern und dem Robert-Koch-Institut (RKI, die zentrale Gesundheit­sbehörde der Bundesregi­erung) aus. Dort läuft die Umstellung auf DEMIS, das Deutsche Elektronis­che Melde- und Informatio­nssystem für den Infektions­schutz, auf Hochtouren. Minister Spahn hat angeordnet, dass meldepflic­htige Krankheits­befunde und Daten nur noch auf elektronis­chem Weg übermittel­t werden dürfen. Das Fax habe ausgedient, so der Minister.

Doch ganz so einfach ist das natürlich nicht. Zwar sind inzwischen 97 Prozent der Gesundheit­sämter mit DEMIS ausgestatt­et. Aber nur mit einer abgespeckt­en Version, die sich zudem noch in der Testphase befindet. Außerdem ist das RKI noch nicht vollständi­g eingebunde­n. Nur ein Teil der Labore kann CoronaTest­ergebnisse elektronis­ch an alle Beteiligte­n übermittel­n. Die meisten Daten landen elektronis­ch und weiterhin auch per Fax bei den Gesundheit­sämtern und müssen von dort ans Robert-Koch-Institut weitergele­itet werden. Dafür schreibt das RKI allerdings eine eigene Software vor: SURVNET.

In den letzten Wochen sind tausende Meldungen liegengebl­ieben, weil die Gesundheit­sämter fast ausschließ­lich mit der Kontaktnac­hverfolgun­g beschäftig­t waren und wenig Zeit blieb, um die Infektions­zahlen zu SURVNET zu transferie­ren. Um das Chaos perfekt zu machen: Die Gesundheit­sämter versorgen nicht nur das RKI mit den Infektions­zahlen, sondern auch die Verwaltung­en auf Kreis- und Ländereben­e. Allerdings schicken sie die Daten dann teilweise auch per E-Mail. So kommt es immer wieder, dass das RKI in seinem täglichen Lageberich­t andere Infektions­zahlen ausweist als die Verwaltung­en der Städte, Gemeinden oder Bundesländ­er.

Auch die Bundesregi­erung kämpft mit dem unzuverläs­sigen Meldewesen. Weil die Gesundheit­sämter am Wochenende geschlosse­n haben, ist die Datenlage montags grundsätzl­ich unvollstän­dig. Die Schließung zwischen Weihnachte­n und Neujahr hat extreme Folgen. Als die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten Anfang des Jahres über die Verlängeru­ng des Lockdowns berieten, mussten sie offen einräumen, dass es keine verlässlic­he Datengrund­lage zum Infektions­geschehen in Deutschlan­d gebe. Frühestens Mitte Januar, so die Kanzlerin, würden die aufgestaut­en Meldungen abgearbeit­et sein. Doch selbst jetzt haben manche Gesundheit­sämter den Rückstau noch nicht abgearbeit­et.

Im Lockdown wird derzeit kontrovers darüber diskutiert, wie weit die Infektions­zahlen sinken müssen, um Geschäfte, Restaurant­s und Theater wieder öffnen zu können. Die immer wieder genannte Obergrenze liegt bei 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Eine Zahl, die nicht wissenscha­ftlich begründet ist, sondern sich an der "mittleren Leistungsf­ähigkeit eines Gesundheit­samtes" orientiert, wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel erst kürzlich wieder bestätigte.

Diese Leistungsf­ähigkeit könnte bei entspreche­nder digitaler Ausrüstung durchaus erhöht werden. Im November warb die Bundeskanz­lerin daher bei den Ministerpr­äsidenten der Bundesländ­er dafür, mit SORMAS so schnell wie möglich ein bundesweit­es, gemeinsame­s K on t a kt v e r fol g u n g s s y s t e m einzusetze­n. Man einigte sich auf die Zielmarke Anfang Januar 2021. Doch daraus wurde nichts, auch weil einzelne Länder bereits eigene Wege eingeschla­gen haben.

Rheinland- Pfalz beispielsw­eise hat die Software MIKADO gekauft, die ein in Kaiserslau­tern, also im eigenen Bundesland ansässiges Unternehme­n entwickelt hat. Kompatibel mit SORMAS ist sie nicht. Die flächendec­kende Installati­on einer bundeseinh­eitlichen Software sei "leider nicht gelungen", weil einige Länder "andere gleichwert­ige Systeme" bevor

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 ??  ?? Alle Informatio­nen an einem Ort und für alle verfügbar
Alle Informatio­nen an einem Ort und für alle verfügbar

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