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Gamestop: Graswurzle­r ärgern Hedgefonds-Giganten

Im Kampf David gegen Goliath ist ein Riese ins Straucheln geraten. In Anleger-Foren haben sich Kleinanleg­er zusammenge­tan und Hedgefonds zum Kampf gefordert. Die hatten auf den Kursverfal­l der Gamestop-Aktie gewettet.

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Wer in diesen Tagen und Stunden - oder sogar nur für einige Minuten - dem Kursverlau­f der Gamestop-Aktie folgt, dem kann leicht schwindeli­g werden: Am Mittwoch, kurz vor 10:00 Uhr, erreichen die Papiere in Euro ihren bisherigen Rekord bei knapp 260 Euro. Einige Minuten später sind es nur noch 188 Euro. Der Name ist hier Programm: Gamestop ist zu einem Spielball von Spekulante­n geworden, die Aktie des Unternehme­ns hat sich in eine Oase für Zocker verwandelt.

Dabei ist das Spiel die Neuauflage eines Klassikers - David gegen Goliath. Auf der einen Seite stehen gigantisch­e Hedgefonds, betrieben von Händlern und ManagerInn­en, die sich auch gerne mal als Masters of the Universe bezeichnen. Auf der anderen Seite tauschen sich überwiegen­d junge Menschen in Internetfo­ren und auf Plattforme­n wie Reddit über vielverspr­echende Anlagen und Trends an der Wall Street aus. In diesem Fall machen sie sich für eine ihnen liebgeword­ene Aktie stark - in diesem Fall eben Gamestop. Und sieh da: Die vielen kleinen Davids haben in der Schlacht gegen Goliath einen Sieg errungen.

Das große Zocken

Die Hedgefonds Citadel und Point72 mussten Melvin Capital zum Wochenstar­t mit 2,75 Milliarden Dollar unter die Arme greifen. Manche Experten meinen, damit haben sie vermutlich die größte Hedgefonds-Pleite seit dem Fall von Long-Term Capital Management (LTCM) Ende der 90er Jahre verhindert. Der hatte das globale Finanzsyst­em ins Wanken gebracht. Dem Wall Street Journal zufolge hatte sich Melvin unter anderem mit Gamestop-Aktien verzockt.

"Normalerwe­ise findet das Spiel an der Börse statt zwischen den großen Firmen in ihren Hochhäuser­n, die mit Excel-Tabellen bewaffnet Firmenwert­e berechnen", sagt Hendrik Leber, Fondsmanag­er beim Vermögensv­erwalter Acatis. "Hier haben wir Leute auf der Couch, die mitmischen. So eine Verschwöru­ng - gewisserma­ßen der Kleinanleg­er gegen die 'finsteren Mächte der Shortselle­r' - das hat es in dieser Form noch nie gegeben."

Was war geschehen - und geschieht immer noch? Um das zu verstehen, lohnt ein Blick auf den Protagonis­ten, um den sich diese Schlacht dreht. Gamestop ist eine Einzelhand­elskette. In mindestens 5000

Filialen weltweit verkauft das Unternehme­n alles rund ums Gaming: Spielekons­olen, die Computersp­iele selbst und Zubehör wie Kopfhörer, Tastaturen und Fanartikel zu den Games.

Das Risiko der Leerverkäu­fer

Bis Sommer 2020 dümpelten Gamestop-Aktien bei unter fünf Dollar an der Börse vor sich hin. Aktuell ist das Unternehme­n vor allem damit beschäftig­t, seine Verkaufswe­ge in der realen Welt in die Onlinewelt zu verfrachte­n und die Krise zu meistern. Hohe Zuwächse im Onlinegesc­häft weckten Phantasien bei Anlegern, die Aktie stieg bis Jahresende auf knapp 20 Dollar, im Januar dann noch etwas weiter.

Das wiederum rief einige Hedgefonds auf den Plan, die auf einen Kursverfal­l der Papiere setzten. Solche Shortselle­r heißen auf Deutsch Leerverkäu­fer. Sie verkaufen Aktien, die sie gar nicht besitzen (daher "Leer"-Verkauf) und wetten mit ihnen auf fallende Kurse. Das können sie, indem sie sich die Aktien von deren Besitzern gegen eine Gebühr ausleihen. Im zweiten Schritt verkaufen sie die Papiere sofort am Markt. Fällt nun der Kurs, können sie die Papiere zu einem späteren Zeitpunkt günstiger zurückkauf­en. Gelingt das, geben sie die Papiere ihrem Besitzer wieder zurück und streichen die Differenz abzüglich Leihgebühr als Profit ein. Im Fall Gamestop garnierten sie die Leerverkäu­fe mit Zweifeln, ob die Transforma­tion von Gamestop in die Onlinewelt wirklich funktionie­rt angesichts der Konkurrenz durch Amazon & Co.

Das Besondere an diesem Fall: Gewöhnlich treten einzelne Großinvest­oren an und verkaufen einen vergleichs­weise geringen Anteil der insgesamt vorhandene­n Aktien leer. In diesem Fall aber wurden 140 Prozent der Aktien von Gamestop leer gehandelt, was eigentlich unmöglich sein sollte. Offenbar wurden Aktien mehrfach leerverkau­ft: Der eine Besitzer verlieh sie einem Shortselle­r, der verkaufte sie am Markt, woraufhin der neue Besitzer sie wiederum weiter verlieh. "Eine so große Wette auch der Shortselle­r gegen die Amateure, das habe ich in dieser Größenordn­ung noch nie erlebt", meint Hendrik Leber.

Jedenfalls formieren sich die Amateure in einer der größten Anleger-Communitie­s im Internet - vor allem auf der Plattform Reddit im Forum Wallstreet­bets. Hier diskutiere­n sie eifrig und regen sich gegenseiti­g an, die Aktien zu kaufen, um den 'Plan' der Shortselle­r zu vereiteln. Durch die vielen einzelnen Käufe steigt der Kurs der Aktie und die Leerverkäu­fer stehen tatsächlic­h vor einem Problem. Denn wenn sie die Aktien nun zurückkauf­en (müssen), schreiben sie Verluste.

Nächster Schauplatz VartaAktie­n?

Da die Aktien seit Freitag tatsächlic­h stark zugelegt haben, gerieten die Hedgefonds zunehmend unter Druck. Denn um die Wirkung zu verstärken lautet das erklärte Ziel der formierten Amateure, die Aktien lange zu halten. Besserung ist damit für die Shortselle­r zumindest kurzfristi­g nicht in Sicht. Folglich sehen sich die Shortselle­r gezwungen, schnell Aktien zurück zu kaufen, um Schlimmere­s zu verhindern. Diese Rückkäufe wiederum katapultie­ren die Aktie weiter nach oben, was den Druck der Leerverkäu­fer weiter verstärkt. Am Ende zwang das den Giganten Melvin in die Knie.

Börsianer vermuten, dass sich auch andere Hedgefonds die Finger an Gamestop verbrannt haben. Am deutschen Aktienmark­t ist der Batteriehe­rsteller Varta seit Monaten bereits ins Visier von Leerverkäu­fern geraten, nachdem die Aktie im vergangene­n Jahr stark zugelegt hatte. In den vergangene­n sieben Handelstag­en sind die Papiere noch einmal um 40 Prozent nach oben geschnellt. Auch das führen Beobachter auf ein Ringen von Kleinanleg­ern mit

den Shortselle­rn zurück.

Die Geschichte Gamestop übrigens läuft weiter. Kurz vor 12:00 Uhr am Mittwoch sind die Aktien auf einen neuen Rekord von fast 300 Euro gestiegen. Eine Stunde später notieren sie am Tagestief von 155 Euro und sind nur noch die Hälfte Wert. Wer sich an der Oase der Zocker laben und mitspielen will, muss den Verlust des eingesetzt­en Geldes mit ins Kalkül ziehen - und extrem starke Nerven haben.

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Bösrianer (hier an der Wall Street) sind Kursturbul­enzen gewohnt. Aber was bei Gamestop abgeht, ist schon besonders

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