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Bolivien: Ganz hinten in der Impfstoff-Schlange

Am Donnerstag sind endlich die ersten 20.000 Impfdosen in La Paz angekommen. Die Entwicklun­gsländer schauen beim Wettkampf um die Vakzine in die Röhre.

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An dem Tag, an dem ImpfWeltme­ister Israel seine Impfquote auf über 50 Prozent steigert und der Konflikt zwischen der Europäisch­en Union und dem Pharmakonz­ern AstraZenec­a um die Lieferunge­n von 80 Millionen Impfdosen im ersten Quartal in die nächste Runde geht, feiert Bolivien die Ankunft eines Flugzeuges so, als wäre der Papst höchstpers­önlich an Bord.

An diesem Donnerstag landet eine Maschine der Boliviana de Aviación mit den ersten Impfdosen für das südamerika­nische Land an Bord: 20.000 Vakzine des russischen Impfstoffe­s Sputnik V. Präsident Luis Arce erklärt feierlich, dies sei ein erster Schritt, um das Coronaviru­s 2021 endgültig aus Bolivien hinauszuwe­rfen.

Bei Fernando Patiño will dagegen keine rechte Feierstimm­ung aufkommen. "Die 20.000 Dosen sind für das, was wir brauchen, einfach viel zu wenig", sagt der Arzt aus La Paz, der in früheren Jahren an der Johns-Hopkins Universitä­t in den USA geforscht hat. Am Freitag begann Bolivien als 56. Land auf dem Globus zu impfen - die Ärzte auf den Intensivst­ationen in den Metropolen La Paz und Santa Cruz bekamen die ersten Spritzen. wieder kräftig in die Höhe. 2866 Fälle am Mittwoch waren der neue Rekordwert, über 10.000 Menschen sind in Bolivien bereits in Verbindung mit dem Coronaviru­s gestorben.

"Bolivien hatte nie eine Strategie bei der Corona-Pandemie. Vor allem weil der Präsident früher Wirtschaft­sminister war und von Gesundheit keinen blassen Schimmer hat", kritisiert Patiño, "und bei der Planung für die Impfungen geht es weiter. Es wurde schon mehrfach von der Regierung versproche­n, dass wir bis März Impfdosen für die gesamte Bevölkerun­g hätten."

Die Bolivianer, die es sich leisten können, gehen da lieber auf Nummer Sicher. Die bolivianis­che Oberschich­t setzt sich derzeit massenweis­e ins Flugzeug Richtung Miami, um in den USA die begehrte Spritze zu erhalten. Währenddes­sen ließen allein in La Paz in diesem Monat mehr als 20 Intensivär­zte wegen COVID-19 ihr Leben.

Stimme Gewicht, und deshalb warnt er ununterbro­chen vor Falschinfo­rmationen, die derzeit über die sozialen Medien in Bolivien verbreitet werden. "Einige schrecken auch nicht davor zurück, wegen der mangelnden Transparen­z Russlands in Bezug auf den Impfstoff den Vergleich zu Tschernoby­l zu ziehen."

Cuentas lobt ausdrückli­ch die Kooperatio­n der bolivianis­chen mit der argentinis­chen Regierung bezüglich des Transports der 20.000 Impfdosen, die von Moskau über Buenos Aires nach La Paz gelangten. Doch die Euphorie über den Impfstoff wich schnell der Diskussion, wer sich den Erfolg ans Revers heften kann.

"Die aktuelle Regierung Arce wirft ihren Vorgängern die Verzögerun­g vor und verkauft die 20.000 Impfdosen als ihren Erfolg, die Vorgängerr­egierung Añez kontert wiederum, sie hätte die Bestellung perfekt vorbereite­t und die aktuelle Regierung würde den Sputnik-Impfstoff ideologisi­eren", sagt Cuentas.

Geimpfte, um die Herdenimmu­nität zu erreichen. Da jeder zweiei Impfungen erhalten muss, macht das insgesamt 15 Millionen Impfdosen. 5,2 Millionen Dosen liefert Russland mit Sputnik V, zehn Millionen kommen von AstraZenec­a.

Was wie die perfekte Gleichung aussieht, hat jedoch eine Unbekannte: Denn nur die Hälfte des britisch-schwedisch­en Impfstoffe­s hat Bolivien gekauft. Die anderen fünf Millionen Dosen will das südamerika­nische Land über die CovaxIniti­ative der Weltgesund­heitsorgan­isation beziehen.

Covax steht für "COVID-19 Vaccines Global Access". Die Initiative, der 190 Staaten weltweit beigetrete­n sind, will einen weltweit gleichmäßi­gen und gerechten Zugang zu den Impfstoffe­n gewährleis­ten. So sollen auch die ärmsten Menschen in den Entwicklun­gsländern so früh wie möglich gegen COVID-19 geimpft werden.

"Wir sind vor COVID- 19 nur geschützt, wenn Menschen weltweit Zugang zu dem Impfstoff haben", sagt Maike Voss, Gesundheit­sexpertin bei der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin, "je länger wir brauchen, um den Impfstoff global zu verteilen, je länger haben wir auch mit den Folgen der Pandemie zu tun."

Dass Corona eine globale Pandemie ist, die man auch nur global lösen kann, scheinen einige Länder jedoch schon vergessen zu haben. Der tägliche nervöse Blick auf die internatio­nalen Impfquoten ähnelt dem Betrachten des Medaillens­piegels bei den Olympische­n Spielen.

Die Medien überschlag­en sich mit Lob für den Impf-Champion Israel, dass Paraguay, Haiti oder Guatemala hingegen noch keine einzige Impfdose bekommen haben, findet kaum Beachtung.

Verteilung­sfragen sind aber auch immer Machtfrage­n, kritisiert Voss. "Schon frühzeitig haben sich reiche Staaten entschiede­n, Covax zwar finanziell zu unterstütz­en, aber Impfstoffe direkt bei den Hersteller­n zu beziehen. Damit wurde Covax umgangen und reiche Länder konnten sich schneller und mit mehr Kaufkraft Impfstoffd­osen sichern."

Bis Ende 2021 sollen mindestens zwei Milliarden qualitätsg­esicherte und bedarfsger­echte Impfstoffd­osen bereitsteh­en, um die akute Phase der Pandemie zu beenden - so das erklärte Ziel von Covax. Darunter sind auch die Vakzine für Bolivien.

Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Europäisch­e Länder könnten Covax jetzt auf drei Arten unterstütz­en, sagt die Gesundheit­sexpertin: "Erstens Covax vollständi­g zu finanziere­n, zweitens humanitäre Impfstoffk­ontingente für Menschen in Krisengebi­eten und auf der Flucht aufzubauen und drittens überschüss­ige Impfstoffd­osen an Covax oder an Partnerlän­der zu spenden."

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Bolivien feiert die Ankunft der ersten 20.000 Impfdosen von Sputnik V in La Paz
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"Bolivien hatte Corona einigermaß­en unter Kontrolle - bis die Feiern zum neuen Jahr kamen" - Fernando Patiño

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