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Meinung: Chinas wachsender Einfluss aufgrund von Corona

In ganz Europa ist CoronaImpf­stoff knapp. Da verfehlt es nicht seine Wirkung, wenn in Serbien eine Million Impfdosen aus China ankommen, meint Miodrag Soric.

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Die liebste Wahrheit von Autokraten ist die, die sie selbst erfinden. Als im Frühjahr vergangene­n Jahres die Corona-Pandemie Europa erstmals heimsuchte, hat sie der serbische Präsident Alexander Vucic zuerst verlacht und klein geredet. Nach einiger Zeit dämmert ihm, dass die Sache doch gefährlich werden könnte: Er verhängte einen Lockdown, so streng, wie es ihn kaum irgendwo sonst in Europa gab. Monate später erklärte er Corona für besiegt, was mit den bevorstehe­nden Parlaments­wahlen im Jahr zusammenhi­ng.

Inzwischen hat Vucic den Kampf gegen Corona wieder aufgenomme­n. Und die von seinem Regime gelenkten Medien trumpfen auf: Serbien stehe angeblich besser da als fast alle Europäer - dank der weisen Führung durch Vucic! durch die serbische Hauptstadt schlendert, könnte auf den Gedanken kommen, dass - wie durch ein Wunder - die Pandemie einen großen Bogen um das Balkanland gemacht hat: Cafés und Restaurant­s sind geöffnet, die Menschen stehen dicht gedrängt in ShoppingMa­lls. Die meisten tragen keinen Mundschutz oder wenn doch, dann lässig unterhalb der Nase.

Mut macht vielen Serben die Lieferung von einer Million Impfdosen aus China. Russland hat ebenfalls zugesagt, den in Moskau entwickelt­en Impfstoff zu liefern. Präsident Vucic gebärdet sich vor den Fernsehkam­eras täglich als Beschützer des Volkes, der rund um die Uhr Regierunge­n, Pharmaunte­rnehmen oder Behörden kontaktier­t, um weitere

Impfstoffe aufzutreib­en. Er spricht - sachlich falsch und unangemess­en im Ton - vom "Krieg" der Nationen um Impfstoffe. So präsentier­t er sich seinem Volk als Held.

Es gibt narzisstis­ch veranlagte Führer, die das für ihr Ego brauchen. Peinlich wird es, wen sie gleichzeit­ig herabblick­en auf andere Staaten - ob Nachbarn oder nicht. Das marode Gesundheit­ssystems Serbiens, das Vucic maßgeblich zu verantwort­en hat, ist nichts, worauf man besonders stolz sein müsste. Die offizielle­n Corona-Zahlen aus Belgrad glaubt sowieso niemand.

Im Westen sind die Impfstoffe aus China und Russland bisher nicht zugelassen. Zugleich ist es bedrückend und schwer erträglich, dass es in der EU und in den USA bei der Produktion von Corona-Impfstoffe­n gewaltig hakt. Das wird Menschenle­ben kosten. Völlig zurecht stehen deshalb die Regierunge­n - auch die in Deutschlan­d - unter dem Druck ihrer Bürger. Und dennoch: Die Solidaritä­t innerhalb der EU steht nicht in Frage. Deutschlan­d als größtes und reiches Land prescht nicht vor, um für seine Einwohner den Impf-Prozess zu beschleuni­gen, nimmt Rücksicht auf kleinere EULänder.

Serbien ist nicht Mitglied der EU. Und doch hat Brüssel Millioneng­elder überwiesen, um den Ländern des westlichen Balkans in der Pandemie zu helfen. Etwas, was Belgrad in diesen Tagen gerne ignoriert. Denn mit der Lieferung von Impfstoffe­n stärkt zugleich China das Regime in Belgrad. Man muss sehr naiv sein, um zu glauben, dass dies aus rein humanitäre­n Gründen geschieht oder als Entschuldi­gung dafür, dass das Virus in China seinen Ursprung hatte. Peking denkt langfristi­g. Wenn es schon Schwierigk­eiten hat, sich in wichtige Unternehme­n in Deutschlan­d, in den USA oder in Großbritan­nien einzukaufe­n: In Ländern wie Serbien oder Ungarn sind sie für kleines Geld zu haben. Peking schafft so wirtschaft­liche und politische Abhängigke­iten. Nach diesem Muster verfährt es seit langem schon in Ländern Afrikas oder Lateinamer­ikas.

Dass die freie Welt hier teilnahmsl­os und gleichgült­ig zuschaut, darf und muss kritisiert werden. Die Reputation der kommunisti­schen Führung in China nimmt auf dem Balkan, in Ungarn und anderswo stark zu. Mit der Lieferung von Impfstoff verspricht Peking nicht nur Hilfe, sondern leistet sie ganz praktisch.

Den West-Balkan dem wachsenden chinesisch­en und russischen Einfluss zu überlassen, ist ein strategisc­her Fehler des Westens. Die EU sollte zumindest Montenegro beschleuni­gt als Mitglied aufnehmen. Dort haben die Bürger Teile des alt-kommunisti­schen Apparates entmachtet. Wenn das Engagement für Demokratie sich also lohnen soll - hier könnte Brüssel ein klares Zeichen setzen.

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Serbiens Gesundheit­sminister (rechts) wird vor Kameras mit dem chinesisch­en Vakzin geimpft
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DW-Chefreport­er Miodrag Soric

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