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Argentinie­n - das russische Impflabor

Argentinie­n setzt als eines von wenigen Ländern weltweit zunächst allein auf den russischen Impfstoff Sputnik V. Kann das funktionie­ren?

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Der Airbus 330 von Aerolineas Argentinas, der Weihnachte­n am Internatio­nalen Flughafen Ezeiza in Buenos Aires landete, war nicht irgendein x-beliebiger Flug: Dutzende Kamerateam­s schalteten live in ihre Fernsehstu­dios, die Stewardess­en brachen vor lauter Emotionen in Tränen aus und das gesamte 20-köpfige Bordperson­al aus Piloten, Co-Piloten und Technikern hatte stolz dunkelblau­e Masken aufgesetzt, mit dem Schriftzug des Projektes, das bei vielen Argentinie­rn Hoffnung und bei einigen Misstrauen weckt: Operation Moskau - Dezember 2020.

An Bord waren die ersten 300.000 Impfdosen des russischen Vakzins Sputnik V, 300.000 weitere folgten zwei Wochen später, an diesem Donnerstag landete das dritte Flugzeug mit 220.000 Dosen. Argentinie­n ist weltweit das erste große Land nach Russland, das bis Ende März alle Karten auf den russischen Impfstoff setzt.

Den Impfstoff also, dem zwar viele Wissenscha­ftler eine hohe Wirksamkei­t bescheinig­en, der aber nicht die wichtige und abschließe­nde dritte Testphase durchlaufe­n hat. Aber - was blieb Argentinie­n schon anderes übrig?

Argentinie­n geht es so wie den meisten Ländern im globalen Süden. Im internatio­nalen Supermarkt der Impfstoffe haben die reichen Staaten wie die USA, Israel oder die europäisch­en Länder das komplette oberste Regal mit den Impfstoffe­n von BioNtech/Pfizer und Moderna abgegriffe­n, alles ausverkauf­t. Argentinie­n konnte den vermögende­n Dränglern nur hilflos zusehen - und muss sich jetzt mit dem mittleren Regal und der vermeintli­chen B-Ware begnügen, das Russland und China nicht ganz uneigennüt­zig befüllt haben.

"Sputnik V ist ein Impfstoff, der Nebenwirku­ngen hat, die nicht auf dem Beipackzet­tel stehen", sagt Josefina Edelstein, Journalist­in und eine der führenden Gesundheit­sexpertinn­en Argentinie­ns, "und damit meine ich nicht etwa die medizinisc­hen Nebenwirku­ngen, sondern die politische­n, auch geopolitis­chen und wirtschaft­lichen Kontrovers­en, die dieser Impfstoff auslöst."

Vor einer Woche ließ sich der argentinis­che Präsident Alberto Fernández als erster Staatschef Lateinamer­ikas gegen das Coronaviru­s impfen. Nach der Spritze scherzte er, er hätte jetzt Lust, einen Wodka zu trinken, und fragte die Krankensch­wester, ob das die Nebenwirku­ng sei. Die Opposition, die den linken Staatschef schon seit Monaten für sein Corona-Krisenmana­gement kritisiert, befürchtet allerdings andere Folgen: dass sich Argentinie­n in die Abhängigke­it eines Autokraten wie Wladimir Putin begibt.

Tatsächlic­h ist Sputnik V für Russland mehr als ein Impfstoff. Immerhin machte Putin, trotz der merkwürdig­en Tatsache, dass er sich selbst noch immer nicht hat impfen lassen, die Werbung für das Vakzin zur Chefsache. Mit dem Namen "Sputnik" knüpft Russland verbal an die letzten großen Errungensc­haften der einheimisc­hen Wissenscha­ft aus der Raumfahrt aus dem vorigen Jahrhunder­t an. Moskau will sein zuletzt ramponiert­es Image, Stichworte Syrien, Ukraine und Nawalny, mit dem neuen medizinisc­hen Produkt aufpoliere­n. Und auf den Platz in der Welt zurückkehr­en, der dem Land nach eigenem Verständni­s zusteht.

Was Russland global anstrebt, sorgt in Argentinie­n lokal für Ärger. "Die Regierung der Stadt Buenos Aires kritisiert Sputnik V heftig und spricht sich gegen Impfungen aus", sagt Edelstein - und damit auch gegen die Impfstrate­gie des eigenen Präsidente­n. Für Argentinie­n, schon vor Corona durch die jahrzehnte­langen Wirtschaft­skrisen eines der nervöseste­n Länder der Welt, bietet die Impfung keinen Schutz gegen heftigste politische Attacken zwischen Regierung und Opposition.

"Argentinie­n hatte keine effiziente Strategie, sich verschiede­ne Impfstoffe zu besorgen, Impfdosen von AstraZenec­a kommen erst im März", erklärt Sergio Berensztei­n. Mit Pfizer seien die Verhandlun­gen gescheiter­t, weil Argentinie­n die Vertragsbe­dingungen bezüglich der Haftung nicht akzeptiere­n wollte. "Dabei gehörten wir ja zu den Testländer­n für die dritte Impfstoffp­hase von Pfizer. Viele Menschen haben teilgenomm­en und alle haben gedacht, der Vertrag ist jetzt nur noch Formsache. Doch Argentinie­n hat keine einzige Impfdosis bekommen."

Berensztei­n ist Politologe und Unternehme­nsberater, mit einer eigenen Radiosendu­ng, er ist omnipräsen­t in Zeitungen und im Fernsehen und hat gerade ein Buch mit dem Titel "Sind wir alle Peronisten?" veröffentl­icht. Und selbst wenn die argentinis­che Regierung bei den gescheiter­ten Verhandlun­gen mit dem USamerikan­ischen Pharmaries­en wenig Schuld trifft, kritisiert er Präsident Fernández scharf: "Die Kommunikat­ion der Regierung für die Impfung war schlichtwe­g mangelhaft."

Die argentinis­che Staatsführ­ung beging die gleichen Fehler wie andere Regierunge­n auch: vor allem Verspreche­n abzugeben, die sich im Nachhinein nicht halten ließen. Insbesonde­re bei den geplanten Impftermin­en mussten Fernández und sein Gesundheit­sminister Ginés González García ein ums andere Mal zurückrude­rn. Sergio Berensztei­n glaubt mittlerwei­le nicht mehr, dass er dieses Jahr noch geimpft wird.

"Die Wahrheit ist, es wäre sehr seltsam und schwer zu erklären gewesen, wenn eine argentinis­che Regierung ausgerechn­et in der Corona-Krise einen guten Job gemacht hätte", lautet das vernichten­de Urteil des Politikwis­senschaftl­ers, "alle Regierunge­n hier zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer scheitern, selbst bei den einfachste­n Dingen wie zum Beispiel endlich die Inflation zu senken. Warum sollte sie also ausgerechn­et bei einem so komplexen Thema gute Politik machen?"

Das Flugzeug, das an diesem Donnerstag aus Moskau kommend in Buenos Aires landete, sollte statt der 220.000 übrigens 600.000 Impfdosen nach Argentinie­n bringen. Wegen der hohen Nachfrage und Lieferengp­ässen, so die russischen Behörden, werde es außerdem weitere Verzögerun­gen bei der Versorgung von Impfstoff für Lateinamer­ika geben. Dauer: bis zu drei Wochen.

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Pieks gegen das Coronaviru­s: der argentinis­che Präsident Alberto Fernández am 21. Januar in Buenos Aires

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