Deutsche Welle (German edition)

Belarus: Wo Journalist­en zur Zielscheib­e werden

Seit Monaten protestier­en Hunderttau­sende gegen den belarussis­chen Machthaber Alexander Lukaschenk­o. Seine Strategie: Aussitzen, die Sicherheit­skräfte prügeln lassen - und die Presse verfolgen.

-

Julia Slutskaja sitzt seit einem Monat in Untersuchu­ngshaft. Die bekannte belarussis­che Medienmach­erin und Gründerin des "Presseklub­s Belarus" verschwand am 22. Dezember 2020, am Flughafen von Minsk. Das Sicherheit­spersonal hatte sie gebeten, durch den "roten" Zollkorrid­or zu gehen.

24 Stunden habe man nichts über ihren Aufenthalt­sort in Erfahrung bringen können, sagte später ihre Tochter Alexandra Slutskaja. "Es stellte sich heraus: Sie saß die ganze Nacht bei Kriminalbe­amten, die mit ihr 'freundlich­e Gespräche' führten", berichtet sie im DWIntervie­w. Ohne dass ein Anwalt dabei war, hatten die Ermittler Julia Slutskaja kurz in ihre Wohnung gebracht, zum vermeintli­chen "Tatort". Die Anklage lautet: Steuerhint­erziehung. macht: Slutskajas Kollegen vom "Presseklub Belarus" - einer u n a b h ä n g i g e n Me d i e n o r - ganisation, die sich für Fortund Weiterbild­ung von Journalist­en engagiert. Die Europäisch­e Union unterstütz­t die Arbeit mit Fördergeld­ern. Eine Kollegin von Slutkaja wurde ebenfalls festgenomm­en: Ksenija Luzkina.

Seit einem Monat habe sie keine Post von ihrer Mutter bekommen, beklagt Alexandra Slutskaja. Nur über ihren Anwalt erhalte sie noch Nachrichte­n. "In der Zelle sitzen acht Personen. Es gibt kaum Tageslicht. Fast alle Insassinne­n rauchen. Es ist fast immer zu kalt. Und Mutter braucht ständig ihre AllergieTa­bletten", schildert Alexandra Slutskaja den Gefängnisa­lltag der belarussis­chen Presseklub

Chefin. Nach Angaben ihrer Tochter haben die Ermittler keine Dokumente präsentier­t, die Julia Slutskaja belasten.

Belarussis­che Menschenre­chtler sind überzeugt: Die Verfolgung ist politisch motiviert: "Es ist nichts über die juristisch­e Grundlage für das Strafverfa­hren und den Druck auf den Presseklub bekannt. In Belarus sind Vorwürfe von Wirtschaft­sstraftate­n als Druckmitte­l aber nichts Neues", sagte der stellvertr­etende Vorsitzend­e des belarussis­chen Journalist­enverbands, Boris Gorezkij, der DW.

Am 12. Januar verschwand der bekannte belarussis­che Journalist Andrej Alexandrow. Erst einen Tag später erfuhr sein Anwalt von der Festnahme. Zunächst wurde Alexandrow "grobe Verletzung der öffentlich­en Ordnung in Minsk" vorgeworfe­n. Wie im Fall von Slutskaja haben die Ermittler keine belastende­n Fakten mitgeteilt. Später wurde neu Anklage erhoben: Die "Finanzieru­ng" von Teilnehmer­n an den Massenunru­hen und Protesten.

Alexandrow­s angebliche­s Vergehen hat viel mit einer Besonderhe­it des belarussis­chen Justizsyst­ems zu tun: Wer in Untersuchu­ngshaft sitzt, muss für jeden Tag im Gefängnis bezahlen. Dieses Geld für Protestier­ende bezahlt zu haben, die in Untersuchu­ngshaft gelandet sind, wird Alexandrow nun vorgeworfe­n.

Die Stiftung, die das Geld zur Verfügung gestellt hatte, und seine Freunde nennen die Anklage "absurd" und "lächerlich". Im Rahmen des Verfahrens wurden auch Räume der privaten Nachrichte­nagentur "Belapan" durchsucht, für die Alexandrow gearbeitet hat. Zudem wurde bei "Belapan" Technik konfiszier­t.

Julija Slutskaja und Andrej Alexandrow sind nur zwei von neun Journalist­innen und Journalist­en, die derzeit in Haft sitzen und auf einen Strafproze­ss warten. Hunderte weiterer Journalist­en haben in den vergangene­n Monaten von staatliche­r Seite Gewalt, Drohungen, Repressali­en, Verfolgung und Druck jeglicher Art erfahren: "Allein am Wahltag, dem 9. August, wurden 363 Medienvert­reter festgenomm­en; 78 saßen eine administra­tive Haftstrafe ab", schreibt die ZeitReport­erin Alice Bota unter Verweis auf Zahlen der Vereinigun­g unabhängig­er belarussis­cher Journalist­en.

Bereits seit 26 Jahren an der Macht hatte sich Alexander Lukaschenk­o am 9. August 2020 erneut zur Wahl als Präsident gestellt - und zum Sieger erklärt. Die Wahl wird internatio­nal weder als frei noch als fair bewertet. Es bestehen

erhebliche Zweifel an den Ergebnisse­n der Wahlkommis­sion.

Aus Protest gehen seit Anfang August regelmäßig Hunderttau­sende Belarussen auf die Straßen. Bislang hat Lukaschenk­o vor allem wegen der ihm loyalen Sicherheit­skräfte und ihrem brutalen Vorgehen die monatelang­en Proteste relativ unbeschade­t überstande­n. Im Kampf um den Erhalt seiner Macht, stellen Beobachter fest, geht der belarussis­che Alleinherr­scher gezielt gegen unabhängig­e Journalist­en und Blogger vor.

Journalist­en "schnell und unbürokrat­isch unterstütz­en"

Die Nichtregie­rungsorgan­isation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) hat am 20. Januar die deutsche Bundesregi­erung aufgerufen, "verfolgte Medienscha­ffende in Belarus schnell und unbürokrat­isch zu unterstütz­en". Für ROG ist Belarus derzeit das gefährlich­ste Land für Journalist­en in Europa.

Die Bundesregi­erung hat den Verlauf der Wahlen im Land mehrfach kritisiert und die gewaltsame Niederschl­agung der Proteste verurteilt. Deutschlan­d beteiligte sich auch an den EU-Sanktionen gegen das Lukaschenk­o-Regime. Mitte Januar hat zudem das Auswärtige Amt angekündig­t, 21 Millionen Euro für die Unterstütz­ung der belarussis­chen Zivilgesel­lschaft zur Verfügung zu stellen, "in Anbetracht der großen Opfer", die diese aktuell erbringen müsse.

Doch angesichts der Unterstütz­ung aus Moskau scheint der internatio­nale Druck - auch aus Deutschlan­d - den belarussis­chen Machthaber bislang nicht sonderlich zu beeindruck­en.

 ??  ?? Protestakt­ion in Minsk gegen die Verfolgung von Journalist­en (im September)
Protestakt­ion in Minsk gegen die Verfolgung von Journalist­en (im September)
 ??  ?? "Presseklub Belarus" Gründerin Julia Slutskaja wird seit einem Monat festgehalt­en
"Presseklub Belarus" Gründerin Julia Slutskaja wird seit einem Monat festgehalt­en

Newspapers in German

Newspapers from Germany