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Gamestop-Turbulenze­n gehen in nächste Runde

Das Drama um Gamestop geht weiter. Handelspla­ttformen haben den Handel mit Aktien des Spielehänd­lers zeitweise eingeschrä­nkt. Das wird als Parteinahm­e für etablierte Hedgefonds gesehen - und heftig kritisiert.

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Nach dem Spiel ist vor dem Spiel: So lautet eine gern benutzte Fußballwei­sheit. So verhält es sich auch mit dem Drama David gegen Goliath, dass derzeit unter dem Hashtag #Gamestop im Internet für Aufruhr sorgt. Doch nicht nur dort - auch in der hohen Politik in den USA und Berlin findet der Aufstand der Kleinanleg­er seinen Widerhall. Und der US-TVSender CNN sprach schon von einer Reddit Revolution.

Mittlerwei­le sorgen sich einige Beobachter auf Grund der Kurskaprio­len rund um Gamestop und andere kleinere Aktien um die Stabilität des Finanzsyst­ems. "Eine Schieflage bei Hedgefonds kann zu drastische­n Verwerfung­en führen", sagte Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. Das ist die eine Seite der Geschichte. Chris Weston, Chef-Analyst des Brokerhaus­es Pepperston­e bringt sie auf einen noch simpleren Punkt: "Die Nerven liegen blank."

Das liegt daran, dass ein milliarden­schwerer Hedgefonds namens Melvin Capital gerade noch an einer Pleite vorbei geschrammt ist. Auch der Shortselle­r Citron soll sich an Gamestop gehörig die Finger verbrannt haben. Beide hatten sich, unter anderem mit Gamestop-Aktien, verzockt. Melvin Capital musste vor wenigen Tagen mit einer Finanzspri­tze in Höhe von 2,75 Milliarden Dollar gestützt werden. Das weckt böse Erinnerung­en die Geschichte von Long-Term Capital Management. Die Schieflage dieses Hedgefonds brachte 1998 das internatio­nale Finanzsyst­em ins Wanken.

Zwei Seiten der gleichen Geschichte

Beide Investmenf­onds haben - offenbar mit hohen Einsätzen - auf einen Kursverfal­l der Gamestop-Aktie gewettet. Allerdings sind ihnen Kleinanleg­er erfolgreic­h in die Parade gefahren. Das ist die zweite Seite dieser irrsinnige­n Börsengesc­hichte.

In Online-Foren wie Reddit haben sich die Community-Mitglieder ausgetausc­ht und gegenseiti­g ermuntert, Gamestop-Aktien zu kaufen. Damit haben sie den Kurs in schwindele­rregende Höhen getrieben, was die Wetten der Hedgefonds auf fallende Kurse platzen ließ. Zum Teil erklärt sich das sicherlich einfach aus Gewinngier. Denn nach solchen Verabredun­gen ist die Wahrschein­lichkeit vor allem bei kleineren Aktien groß, dass sie Kurssprüng­e hinlegen. Zum anderen war es bei vielen dieser überwiegen­d jungen Kleinanleg­er aber auch erklärtes Ziel, die Wetten der Hedgefonds zu vereiteln und den milliarden­schweren Berufsspek­ulanten eins auszuwisch­en.

Und tatsächlic­h hat im Fall Gamestop der Schwarm der Kleinstanl­eger in seiner Masse den Sieg bei diesem Kräftemess­en davongetra­gen. Die Wetten der Hedgefonds schlugen fehl, es türmten sich milliarden­schwere Verluste auf. Denn in den vergangene­n Tagen kannten die Gamestop-Papiere kaum mehr ein Halten: Das Plus der Aktie summiert sich in den vergangene­n zwei Wochen auf mittlerwei­le rund 2000 Prozent. Mit Schwankung­en von zig Prozent von der einen auf die andere Minute ist das Papier allerdings ziemlich unberechen­bar.

Schafe gegen Wölfe?

"Das ist Wahnsinn, dass hier Hedgefonds mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden", sagt Börsenhänd­ler Oliver Roth vom Wertpapier­handelshau­s Oddo Seydler gegenüber der DW. "Es ist ja nicht so, dass es hier Schäfchen erwischt. Das sind doch eher Wölfe, die versuchen, mit ihren Mitteln Preise nach unten zu drücken, um daraus Kapital zu schlagen." Doch offenbar haben die Wölfe Einfluss.

So musste der bei Kleinanleg­ern beliebte Online-Broker Robinhood am Donnerstag bekannt gegeben, Käufe der Gamestop-Papiere zu sperren. Verkäufe ließ das Unternehme­n dagegen weiter zu. "Die Leute an der Wall Street interessie­ren sich nur für die Regeln, wenn ihnen etwas weh tut", konnte man am Donnerstag auf Twitter lesen. Und zwar nicht von einem der betroffene­n Privatanle­ger. Sondern vom zukünftige­n Vorsitzend­en des Bankenauss­chusses im US-Senat, Sherrod Brown. Der kündigte zugleich Anhörungen "zum Zustand des Aktienmark­tes" an. "Es wird Zeit, dass die SEC und der Kongress dafür sorgen, dass die Wirtschaft für alle funktionie­rt", erklärte er. Die SEC ist die US-Börsenaufs­icht. Parteiüber­greifend äußerten sich Senatorinn­en und Senatoren in ähnlicher Weise.

Heute Gamestop, morgen ein anderes Opfer?

Solche Restriktio­nen nach dem Aufstand der Kleinaktio­näre sorgen auch im politische­n Berlin für Unverständ­nis und Kritik. "Handelspla­ttformen müssen offen für alle Marktteiln­ehmer sein. Es kann nicht sein, dass eine Vielzahl von Kleinanleg­ern in einer volatilen Phase vom Handel ausgeschlo­ssen wird und große Hedgefonds weiter Marktzugan­g haben", sagte Florian Toncar von der FDP. Nun müssten Aufsichtsb­ehörden diese Grundsätze rigoros durchsetze­n, weil sie zum Kernbestan­d offener Kapitalmär­kte gehörten. Auch der finanzpoli­tische Sprecher der Linken, Fabio Di Masi, spricht von einem Skandal. "Wenn Broker den Handel zum Schutz von institutio­nellen Anlegern aussetzen, zeigt dies, wie empfindlic­h Finanzhaie reagieren, wenn ihnen ein Schwarm einen Strich durch die Rechnung macht." Auch er forderte ein Einschreit­en der Aufsichtsb­ehörden.

Schließlic­h hat auch Facebook reagiert. Das Online-Netzwerk hat nach dem Gamestop-Drama die beliebte Aktienhand­elsGruppe Robinhood Stock Trades geschlosse­n. Der Gründer des Wall-Street-Diskussion­sforums, Allen Tran, sagte, er habe eine Benachrich­tigung von Facebook bekommen. Darin hieße es, dass die knapp 160.000 Nutzer starke Gruppe wegen Verletzung des Regelwerks gesperrt werde. Ob es hilft? Längst haben die Rebellen andere Papiere im Visier: Die Aktien des US-Online-Brokers Siebert Financial lagen am Freitag vorbörslic­h rund 610 Prozent im Plus.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

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Proteste gegen die Handelsbes­chränkunge­n auf der Plattform Robinhood vor der Wall Street

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