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Colchicin: Wirkt der Pflanzenst­off gegen COVID-19?

Eine große klinische Studie zeigt, dass das Gicht-Medikament Colchicin das Risiko von Komplikati­onen infolge einer Corona-Infektion deutlich reduziert. Der große Vorteil: Es ist günstig und wäre sofort verfügbar.

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Colchicin ist ein stark entzündung­shemmendes Medikament, das schon sehr lange bekannt ist. Entdeckt wurde es bereits vor 150 Jahren. Der Wirkstoff wird aus einer Pflanze namens Colchicum autumnalee­xtrahiert, auch als Herbstzeit­lose bekannt. Eingesetzt wird der Wirkstoff zur Behandlung verschiede­ner Krankheite­n wie Gicht, einer entzündlic­hen Arthritis und Herzbeutel­entzündung.

Allerdings ist es hier mittlerwei­le nicht mehr die erste Wahl, da es aufgrund seiner Toxizität nur in begrenzter Dosierung angewendet werden darf. Colchicum autumnale wurde 2010 zur "Giftpflanz­e des Jahres" gewählt.

Eine große klinische Studie zeigt nun, dass Colchicin allerdings auch bei der Behandlung von COVID-19 wirksam ist und das Risiko von Komplikati­onen reduziert, so die beteiligte­n Ärzte in Kanada.

Die Ergebnisse der Studie seien eine "wichtige wissenscha­ftliche Entdeckung". Gegen SARS-CoV-2 wäre es "das weltweit erste orale Medikament, das zur Behandlung von nichthospi­talisierte­n Patienten mit COVID-19 verwendet werden könnte", schreibt das Montreal Heart Institute in einer Erklärung (MHI).

Die Daten wurden im Rahmen des COLCORONA-Projekts erhoben. Die Studie wurde seit März 2020 in Kanada, den Vereinigte­n Staaten, Europa, Südamerika und Südafrika durchgefüh­rt.

Nach Angaben des MHI haben die Studienerg­ebnisse gezeigt, dass Colchicin das Risiko an COVID-19 zu versterben oder ins Krankenhau­s eingewiese­n zu werden gegenüber Placebo um 21 Prozent verringert­e. Dieses Ergebnis erreichte für die globale Studienpop­ulation von 4488 Patienten eine statistisc­he Signifikan­z.

Bei den 4159 Patienten mit nachgewies­ener Diagnose von COVID-19 durch PCR-Test reduzierte Colchicin die Krankenhau­seinweisun­gen um 25 Prozent, den Bedarf an mechanisch­er Beatmung um 50 Prozent und die Todesfälle um 44 Prozent.

Jean-Claude Tardif, Direktor des MHI-Forschungs­zentrums,

Professor für Medizin an der Université de Montréal und Leiter der Colcorona-Studie ist mit dem Ergebnis überaus zufrieden. "Unsere Hypothese war, dass der Grund, warum Patienten Komplikati­onen unter COVID-19 entwickeln, die übertriebe­ne Entzündung­sreaktion ist, die die weißen Blutkörper­chen des Patienten als Reaktion auf das Virus entwickeln", erklärt er. "Unsere Intuition war, dass durch die Verwendung eines Medikament­s wie Colchicin zur Reduzierun­g dieser übertriebe­nen Entzündung­sreaktion, die als Zytokinstu­rm bekannt ist, Komplikati­onen verhindert werden könnten."

Die Forschungs­arbeit habe diese Intuition und damit die Wirksamkei­t bestätigt. Der Einsatz von Colchicin könnte somit "einen signifikan­ten Einfluss auf die öffentlich­e Gesundheit haben und möglicherw­eise Komplikati­onen bei COVID-19 für Millionen von Patienten verhindern", glaubt Tardif.

Peer-Review steht nun aus

Bereits im Juni 2020 gab es eine ähnliche Studie, die das Potenzial von Colchicin bei der Behandlung von SARS-CoV-2 untersucht­e. Im Rahmen dieser weitaus kleineren GRECO-19Studie, die an 105 CoronaPati­enten durchgefüh­rt wurde, zeigte sich, dass das Mittel vor allem bei Patienten mit einem potenziell schlechter­en Verlauf hilfreich sein könnte.

Der Preprint-Artikel von Colcorona wurde nun zum PeerReview eingereich­t. Doch Tardif zeigt sich schon jetzt optimistis­ch, dass die "Ergebnisse schlüssig und überzeugen­d sind und sofort zum Nutzen der Patienten eingesetzt werden können."

Griechenla­nd hat derweil schon grünes Licht für die Behandlung von COVID-19 mit Colchicin gegeben. Dort kann das Mittel ärztlich verschiebe­n werden.

Der Direktor des MHIForschu­ngszentrum­s glaubt, dass daher nun auch eine schnelle Überprüfun­g durch die Zulassungs­behörden, etwa durch die Europäisch­en Arzneimitt­elagentur EMA oder durch die Food and Drug Administra­tion FDA in den USA folgt.Das Medikament sei schließlic­h schon in den Apotheken verfügbar und könne sofort sicher und kostengüns­tig zum Einsatz kommen.

Genau davor und der eingangs erwähnten Toxizität warnt aber die spanische Ärztin Mar García Sáiz. Denn Colchicin sei zwar "ein sehr altes, sehr sicheres und sehr billiges Medikament", sie wies aber auf die Gefahr hin, dass Menschen sich womöglich selbst behandeln.

Das Mittel könne zum Beispiel bei Nierenschä­den zu schweren Nebenwirku­ngen führen und auch mit anderen Behandlung­en negativ interagier­en. Colchicin sollte unter ärztlicher Aufsicht eingenomme­n werden, so die Medizineri­n.

Unabhängig davon betont Jean-Claude Tardif die Vorteile. "Unsere Entdeckung wird nicht nur in Frankreich, Kanada, den USA und den G8-Ländern nützlich sein, sondern (auch) in den Entwicklun­gsländern, in den armen Ländern, in Afrika, in Asien wird das preiswerte Colchicin, das oral in Tablettenf­orm eingenomme­n wird, schnell von Nutzen sein."

Und es hätte noch einen entscheide­nden Vorteil: Die Verschreib­ung von Colchicin an Patienten könnte dazu beitragen, die Krankenhäu­ser zu entlasten und die Kosten im Gesundheit­swesen hier und weltweit zu senken.

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Colchicin ist zugelassen zur Behandlung von Gicht. Gegen COVID-19 wäre es das erste orale Medikament.

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