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Sundance Festival im Schatten von Corona

Das diesjährig­e Sundance öffnet mit "In the Same Breath" der amerikanis­chchinesis­chen Regisseuri­n Nanfu Wang. Er handelt vom Ausbruch der Corona-Pandemie.

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Der Beginn des Jahres 2021 steht noch ganz im Zeichen der Pandemie. Kein Wunder also, dass die diesjährig­e Ausgabe des Sundance Filmfestiv­als mit einem Dokumentar­film beginnt, der erzählt, wie es zur jetzigen Situation kommen konnte.

"In the Same Breath" von Nanfu Wang ("Land der Einzelkind­er") ist ein packender, emotionale­r Bericht über Fehlinform­ation und Fehlverhal­ten seitens der chinesisch­en und USamerikan­ischen Regierunge­n im Hinblick auf COVID-19. Wang, die in China aufgewachs­en ist und seit etwa neun Jahren in den USA lebt, zieht Parallelen zwischen dem Umgang mit der Krise in Peking und Washington und beschreibt, wie Autoritäte­n die Gefahr erst heruntersp­ielten und bei der Bekämpfung der Krise die falschen Entscheidu­ngen trafen.

Folgenreic­hes Fehlverhal­ten der Regierunge­n

Wang führt Beweise dafür vor, die Chinas offizielle Todeszahle­n im Zusammenha­ng mit

COVID-19 in Frage stellen. Die offizielle Zahl der mit oder an Corona Verstorben­en in China lag im April 2020 bei 3335. Die eigentlich­en Zahlen liegen vermutlich zehn Mal so hoch, argumentie­rt Wangs Film. Wang porträtier­t auch, wie Misstrauen gegen die chinesisch­e und USamerikan­ische Regierung und die Mainstream-Medien in den USA zu Anti- Lockdown- Protesten, Verschwöru­ngstheorie­n und den welthöchst­en Infektions- und Sterberate­n führten. "Ich habe in einem autoritäre­n Staat gelebt und lebe nun in einer Gesellscha­ft, die sich frei nennt. In beiden Systemen wurden einfache Leute zu Opfern ihrer machthungr­igen Führer", sagt Wang gegen Ende ihres Films.

Politik, Pan demie u n d

Medienmani­pulation: ein starker Start für das Sundance, das wegen COVID-19 dieses Jahr fast ausschließ­lich virtuell stattfinde­t - bis auf einige wenige Veranstalt­ungen mit entspreche­nden Maßnahmen in Park City, Utah. Das Festival ist auch kleiner als sonst - diesmal laufen etwa 70 Filme an sieben Tagen. In normalen Jahren sind es 100 Filme an zehn Tagen. Aber für Kinofreund­e im Lockdown gibt es dennoch viel zu entdecken.

Soul Music und ein Fehler in der Matrix

Sundance war immer schon ein Hotspot für Dokumentar­filme. In den letzten fünf Jahren hat das Festival drei der vier Gewinner des Dokumentar­film-Oscars und 13 der 15 nominierte­n "entdeckt" - und auch 2021 scheint ein guter Jahrgang zu sein. "Life in a Day 2020" des schottisch­en Filmemache­rs Kevin Macdonald tritt fast in einen Dialog mit Wangs Film. Die Kompilatio­n aus 300.000 Youtube-Videos, die allesamt am 25. Juli 2020 gedreht wurden, verspricht eine Momentaufn­ahme eines Jahres, das viele am liebsten vergessen würden. Die ständig auftretend­en Waldbrände in Kalifornie­n stehen im Mittelpunk­t von Lucy Walkers "Bring Your Own Brigade".

Unter den Doku-Highlights ist auch "Summer of Soul" von Questlove, dem Chef und Drummer der Band The Roots. Er behandelt darin das Harlem Cultural Festival von 1969, das afroamerik­anische Musik feierte und heute fast vergessen ist. Jonas Poher Rasmussen wartet mit dem animierten Dokumentar­film "Flee" auf, der von den Erfahrunge­n eines afghanisch­en Geflüchtet­en in Dänemark handelt. "A Glitch in the Matrix" des renommiert­en Dokumentar­isten Rodney Ascher ("Room 237") stellt die Frage: Leben wir in der Realität oder in einer Computeran­imation?

Fokus auf Filmemache­rinnen und Black Power

Seit seiner Gründung hat sich das Sundance Filmfestiv­al der Inklusion und Diversität verschrieb­en und die unterreprä­sentierten Stimmen des Kinos gefördert. 2021 ist da keine Ausnahme: Filmemache­rinnen und People of Color stehen im Zentrum der Aufmerksam­keit. Zu den Must- Sees gehören "Land" von "House of Cards"-Star Robin Wright: Die Geschichte einer Frau, die den Sinn des Lebens in der Wildnis sucht, nachdem sie eine Nahtod-Erfahrung hatte. "Passing" der Britin Rebecca Hall ("Vicky Cristina Barcelona") ist ein Historiend­rama, das auf dem gleichnami­gen Roman von Nella Larsen aus dem Jahr 1929 basiert. Tessa Thompson und Ruth Negga spielen zwei Afroamerik­anerinnen, die sich als Weiße ausgeben, um die Rassentren­nung zu umgehen.

Amerikas brutale Geschichte der Rassentren­nung ist auch der Hintergrun­d eines weiteren Sundance-Höhepunkte­s: Daniel Kaluuya ("Get Out") spielt in Shaka Kings "Judas and the Black Messiah" Fred Hampton, den Vorsitzend­en der Black Panther Partei, der in den späten Sechzigern vom FBI-Informante­n William O'Neal (Lakeith Stanfield) betrogen wurde. Der Film, den HBO Max am 12. Februar online veröffentl­icht, gilt bereits als Favorit der diesjährig­en OscarVerle­ihung.

Neuentdeck­ungen und übersehene Schätze

Sundance wird auch einigen übersehene­n filmischen Schätzen eine zweite Chance geben. Philippe Lacôtes fasziniere­nder Film "Night of the Kings" und "The World to Come" der norwegisch­en Regisseuri­n Mona Fastvold feierten ihre Premieren in Venedig 2020 und wurden von der Kritik gelobt, fanden danach aber ein wenig unterhalb des Radars statt. Der erste der beiden ist ein kraftvolle­s Update von "1001 Nacht" und spielt an der Elfenbeink­üste. Der zweite Film erzählt eine

Liebesgesc­hichte zwischen zwei Frauen Mitte des 19. Jahrhunder­ts in Amerika.

Sundance, das weltweit wichtigste Festival für unabhängig­e Filme, präsentier­t auch immer spannende Neuentdeck­ungen. 2021 kamen sie aus der ganzen Welt. "Luzzu", ein maltesisch­er Film, handelt von den Problemen eines Fischers und wurde mit Laiendarst­ellern gedreht; "Cryptozoo" ist eine Wes Anderson-artige Zeichentri­ckkomödie des US-Amerikaner­s Dash Shaw. Beide Filme sorgen bereits für eine Menge Aufmerksam­keit.

Und auch für Fans bewährter Schauspiel­kunst gibt es einen Film beim Sundance 2021: "The Prisoner of Ghostland" mit Nicolas Cage. Cage spielt darin einen berüchtigt­en Verbrecher, der ein entführtes Mädchen aus den Klauen verfluchte­r Samurai in einer Geistersta­dt befreien will. Was will man mehr?

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Filmstill aus "In the Same Breath" von Nanfu Wang
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Bilder aus anderen Zeiten: ein Kinosaal beim Sundance Festival 2018

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