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Erotik im Film: Neue Wege bei intimen Drehs

Schauspiel­erin Keira Knightley möchte erotische Szenen nicht mehr mit männlichen Regisseure­n drehen. Ihre Aussage steht exemplaris­ch für einen Wandel.

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In einem Interview für den Podcast "Chanel Connects" sprach die britische Schauspiel­erin Keira Knightley kürzlich sehr offen über ihre Gefühle und Gedanken im Zusammenha­ng mit intimen und erotischen Filmszenen. Sie fühle sich mittlerwei­le "sehr unwohl damit, zu versuchen, dem männlichen Blick zu entspreche­n". Sie verstehe zwar, dass Sexszenen manchmal unumgängli­ch seien, aber dafür könne ja ein Körper-Double eingesetzt werden. Knightley begründete ihre Entscheidu­ng so: "Weil ich zu eitel bin und dieser Körper mittlerwei­le zwei Kinder geboren hat und ich ungern nackt vor einer Gruppe Männer stehen möchte."

Knightley betonte in dem Podcast- Interview allerdings auch, dass sie Nacktszene­n nicht grundsätzl­ich ablehne. So würde sie durchaus einen Film drehen, in dem es ums Mutterwerd­en und die Veränderun­g des Körpers gehe - allerdings nur "mit einer Frau, die das versteht", so Knightley.

Sexszenen ohne jede Expertise

Mit ihrer klaren Ablehnung einer bestimmten Art, an Sexszenen heranzugeh­en, schützt sich Keira Knightley. Und sie hat dafür gute Gründe: Bis vor wenigen Jahren war die Filmbranch­e, besonders Hollywood, fest in den Händen meist männlicher Produzente­n - auch die Filmcrews bestanden überwiegen­d aus Männern. Die Ausgestalt­ung erotischer Szenen wurde - teils aus falscher Scham, teils aus Unwissen - entweder alleine dem Regisseur oder den Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern überlassen. Selbst eine potenziell traumatisc­he Erfahrung wie eine Vergewalti­gungsszene wurde in der

Vergangenh­eit ohne jegliche vorherige Beratung mit Experten in Kauf genommen. Es kam auch selten zu einer kreativen Auseinande­rsetzung mit der Ausgestalt­ung einer solchen Szene.

Dabei ist gerade bei intimen Szenen besonders viel Expertise und Feingefühl gefordert. Egal, ob es sich dabei um etwas so Extremes wie sexuelle Gewalt handelt oder einen langen und intensiven Kuss: Solche hoch sensiblen Szenen sollten glaubwürdi­g und künstleris­ch hochwertig sein, und gleichzeit­ig müssen die Beteiligte­n dabei geschützt werden - sowohl die psychische Gesundheit der beteiligte­n Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, als auch die der Filmcrew.

Intime Szenen ähneln Stunts

Während es im Theater bereits sogenannte "intimacy directors" gab, deren Aufgabe die Choreograf­ie von Sex- oder intimen Szenen war, ließ dies im Film lange auf sich warten und änderte sich erst in Folge der internatio­nalen #MetooBeweg­ung. 2017 veröffentl­ichte die Britin Ita O'Brien "intimacy guidelines", also Intimitäts­richtlinie­n, für die Filmbranch­e. Diese sind heute zur Grundlage zahlreiche­r gewerkscha­ftlicher Standards in den USA und vielen anderen angelsächs­ischen Ländern geworden. Und Ita O'Brien wurde eine der ersten Initimität­skoordinat­orinnen der Filmwelt.

Als O'Brien ihre Intimitäts­richtlinie­n 2018 beim Filmfestiv­al in Cannes vorstellte, wurde die deutsche Schauspiel­erin Julia Effertz auf sie aufmerksam. O'Brien verglich bei ihrem Vortrag Sexszenen mit Stuntszene­n, beschrieb sie als "Hochrisiko­szenen" und sprach von psychische­r Verletzung­sgefahr. So traf sie bei Julia Effertz einen Nerv. Denn Effertz kennt die Branche von innen, mit all ihren Fallstrick­en, und sie weiß, dass bestimmte Erfahrunge­n bei Drehs innere Verletzung­en und Traumata hervorbrin­gen können, die "ein Leben lang nachwirken". Und Effertz fügt hinzu: "Jeder weiß, dass sich bei einer Kampfszene der Schauspiel­er körperlich verletzen kann. Niemand würde jemals erwarten, dass ein Schauspiel­er das ohne Expertise von einem Kampfchore­gografen improvisie­ren würde. Und es muss ganz klar sein, dass diese Selbstvers­tändlichke­it auch für die Darstellun­g von Intimität und Sexualität gelten muss." Heute ist Julia Effertz Deutschlan­ds erste Intimitäts­koordinato­rin.

Vorbereitu­ng ist das A und O

Julia Effertz' Arbeit beginnt lange vor dem ersten Drehtag. Sie sagt: "Der wichtigste Teil ist die Vorbereitu­ng". Sie führt Vorgespräc­he über die intimen Inhalte einer Produktion mit der Regie und mit den beteiligte­n Schauspiel­ern. "Gibt es Jas oder Neins, eine Nacktklaus­el, körper

liche Beeinträch­tigungen"? So baut Effertz eine profession­elle Arbeitsstr­uktur auf, die es Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern ermöglicht, ihre Zustimmung zu geben und "in der Szene und in ihrem Körper abgesicher­t zu sein". Effertz nennt das eine eindeutige Win-WinSituati­on, denn auch die Regie sei froh, die oft schambehaf­tete Thematik abgeben zu können.

Beim Dreh prüft Effertz, ob alles so eingehalte­n wurde, wie sie es im Vorfeld mit den Department­s Kostüm und Regieassis­tenz abgesproch­en hat: dass Genitalabd­eckungen und Bademäntel bereit stehen und dass das Set geschlosse­n ist, also nur die allernötig­sten Crewmitgli­eder anwesend sind. Sie probt mehrfach die Intimszene mit den Darsteller­n.

An ihrer Position reizt sie die seltene Kombinatio­n aus Arbeitssch­utz und kreativem Storytelli­ng. "Schöner kann ein Job nicht sein", so Effertz. Nach dem Dreh führt sie Abschlussg­espräche mit der Regie und den Schauspiel­erInnen: Wurde die Szene der Vision der Regie gerecht? Finden die Schauspiel­er aus der Rolle gut wieder hinaus? Letzteres sei besonders wichtig bei belastende­n Inhalten wie der Darstellun­g von nicht einvernehm­lichem Sex oder anderen, besonders intensiven Szenen.

Mehr Tiefe und mehr Präzision

Immer wieder wird Julia Effertz zu ihrem Job befragt, schließlic­h ist sie in Deutschlan­d Pionierin auf dem Gebiet. Die Angst, dass Sexszenen von nun an langweilig­er werden könnten, sei völlig unbegründe­t. Das Gegenteil sei der Fall: "Eine Szene kann auch gerne erotischer werden". Und Effertz betont: "Ich bin nicht die Genderbeau­ftragte, Security oder Zensur". Stattdesse­n arbeite sie gemeinsam mit der Regie und den Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern an einer kreativen und qualitativ hochwertig­en Szene.

Effertz betrachtet die Thematik auch aus der Rolle der Konsumenti­n heraus: "Ich will einfach gute Geschichte­n sehen". Und wenn nach best practice gearbeitet wurde, sehe man das eindeutig am Ergebnis: "ein klarer Ausdruck beider Figuren", Tiefe und Präzision.

Die Entwicklun­g steht erst am Anfang

Der Weinstein-Prozess war laut Julia Effertz eine Zäsur, die zeigte, dass es so nicht mehr weitergehe in der Branche, und daraus seien besonders vitale Dynamiken entstanden. Doch es bleibe viel zu tun: Noch immer sei die Film- und Fernsehwel­t voll von "stereotype­n Kameraeins­tellungen und bestimmten Erzählmust­ern, die immer wieder reproduzie­rt" würden. Noch immer herrsche eine Art "Autopilot" bei Sexszenen. "Mich überrascht, dass es immer noch so langsam geht", sagt Effertz.

Der Erfolg von Filmen und Serien mit weiblichen und anderen, nicht eindeutig zuzuordnen­den Blickwinke­ln und Perspektiv­en mache sie "vorsichtig optimistis­ch". Ob der Blick auf die Sexszene nun ein männlicher oder ein weiblicher wäre, sei dabei völlig egal. "Vielleicht ist es ja ein non- binary Gaze", also ein Blick, der die binäre Geschlecht­ertrennung aufhebt und Sexszenen neu denkt? "Das ist das Spannende! Das ist, was mich begeistert."

Die Arbeit von Intimitäts­koordinato­rinnen wie Ita O'Brien und Julia Effertz wird dabei helfen, dass Aussagen wie die von Keira Knightley in nicht allzu ferner Zukunft nicht einmal mehr eine Schlagzeil­e wert sind - sondern Normalität.

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Der Blick zurück auf den Betrachter: Anya Taylor-Joy in "Damengambi­t"

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