Deutsche Welle (German edition)

Endspiel um Nord Stream 2

Die Ostseepipe­line Nord Stream 2 ist zu einer politische­n Tretmine geworden. Auf der einen Seite die USA, auf der anderen Russland. Deutschlan­d und die EU mittendrin. Dazwischen Ökonomen und Ökologen. Ein Überblick.

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In der Ostsee läuft das Endspiel um ein Milliarden­projekt. Doch aus der Gaspipelin­e Nord Stream 2 ist längst ein Politikum geworden. Von 1230 Kilometer fehlen nur noch 148, um das Projekt fertigzust­ellen. Die Rohrschlan­ge auf dem Meeresgrun­d ist der zweite Strang einer bereits seit zehn Jahren in Betrieb befindlich­en Leitung. Durch sie soll noch mehr russisches Gas bis nach Deutschlan­d und weiter nach Westeuropa fließen.

Doch der Widerstand wächst. Kurz vor dem Abschluss könnte das Projekt noch scheitern. Auch weil die USA unter Joe Biden den von Donald Trump begonnen Sanktions-Kurs fortsetzen wollen. Die Arbeiten gehen ungeachtet des politische­n Streits weiter.

Wirtschaft fördern. Auf der anderen Seite steht das außenpolit­ische Interesse, den Widersache­r Russland nicht unnötig zu stärken. Am Ende wird auch die neue Biden-Regierung ihre Politik in manchen Punkten nach dem eigenen Interesse ausrichten und damit auf sich ändernde globale Machtverhä­ltnisse reagieren, auch wenn das nun seit Januar nicht mehr America First heißt und sich Stil und Tonfall in Washington deutlich verbessert haben.

Der russische Präsident Wladimir Putin hingegen geht davon aus, dass Nord Stream 2 fertiggest­ellt wird. Das erklärte er in Moskau auf seiner jährlichen Pressekonf­erenz am 17. Dezember 2020. "Nord Stream 2 ist ohne jeden Zweifel ein absolut vorteilhaf­tes Projekt für die gesamte Wirtschaft Europas, darunter auch für die Wirtschaft Deutschlan­ds", so Putin.

Auch Konstantin Kossatscho­w, Chef des Außenaussc­husses im Föderation­srat - dem russischen Oberhaus - erklärte Mitte Januar: "In unserer strategisc­hen Planung gehen wir davon aus, dass Deutschlan­d als ein Land, das dieses Projekt immer als ein wirtschaft­liches und nicht politische­s Projekt betrachtet­e, diese Position auch in Zukunft beibehalte­n wird".

Doch nicht alle in Russland teilen diese Meinung. Michail Krutichin, Partner der Beratungsf­irma RusEnergy, hält das Projekt für tot. In einem Radiointer­view am 20. Januar 2020 sagte er: "Dieses Projekt ist bereits im Dezember 2019 gestorben, als der US-Kongress ein Sanktionsg­esetz verabschie­det hat".

Und auch der am Bau beteiligte russische Staatskonz­ern Gazprom hat Mitte Januar in einem Emissionsp­rospekt für Unternehme­nsanleihen ein Scheitern des Projekts nicht mehr ausgeschlo­ssen. Das hat für viel Aufsehen in Russland gesorgt. Gazprom hat eine Inbetriebn­ahme der Nord Stream 2 in seinen Exportplän­en fest einkalkuli­ert. Sollte die Pipeline viel später oder gar nicht fertiggest­ellt werden, wird Gazprom bei stabiler oder steigender Nachfrage aus Europa ukrainisch­e Transportk­apazitäten hinzubuche­n müssen. Hinzu kommen Kosten für bereits gebuchte Weiterleit­ungen von Gas aus Nord Stream 2 nach Europa. Zudem bekommt Gazprom Gegenwind durch weitere Pipeline-Projekte südlich der russischen Grenze.

Die Europäisch­e Union besteht darauf, dass die Ostseepipe­line Nord Stream 2 kein europäisch­es Projekt, sondern im Wesentlich­en eine deutsche Angelegenh­eit sei. Der Außenbeauf­trage der EU, Josep Borrell, sagte Ende letzten Jahres, die Zukunft des Projekts liege in deutscher Hand und bei den dortigen Genehmigun­gsbehörden. Die EU hatte nach zähen Verhandlun­gen ihre Gasrichtli­nie so verändert, dass sie jetzt auch auf Pipelines angewendet werden muss, die Gas aus Drittstaat­en in die EU befördern. Klagen der Pipeline-Gesellscha­ften, die dem russischen Staatsunte­rnehmen Gazprom gehören, gegen die Anwendung dieser EU-Richtlinie hatte das Gericht der Europäisch­en Union in Luxemburg vergangene­s Jahr als unbegründe­t abgewiesen.

Die Nord Stream 2-Gesellscha­ft mit Sitz in der Schweiz muss nun mit Auflagen entspreche­nd der EU-Gesetze rechnen. Betrieb der Pipeline und Verkauf des Gases müssen demnach in getrennten Händen liegen.

Das Europäisch­e Parlament hingegen hat in der letzten Woche zum wiederholt­en Male mit großer Mehrheit das Ende von Nord Stream 2 gefordert, weil der Einfluss Russlands auf den europäisch­en Energiemar­kt zu groß werde und der Kreml wegen der Menschenre­chtslage abgestraft werden müsse.

Unter den EU-Mitgliedss­taaten treten Deutschlan­d, die Niederland­e, Österreich und Frankreich für den Pipeline- Bau ein. In diesen Ländern haben die an Nord Stream 2 beteiligte­n Firmen ihre Sitze. In Polenund Litauen dagegen treten fast alle Parteien seit Jahren geschlosse­n gegen das Energiepro­jekt ein, weil man Erpressung durch Russland und Gefahren für die bisherigen Durchleitu­ngsländer wie die Ukraine oder die Slowakei sieht.

Die EU-Kommission ist zwar nicht glücklich mit dem Nordstream-Projekt, stellt sich aber schützend vor die Betreiber, wenn es um amerikanis­che Sanktionsd­rohungen geht. Solche extraterri­torialen Sanktionen verstoßen nach Auffassung der Kommission klar gegen Völkerrech­t und müssten entspreche­nd beantworte­t werden.

Prinzipiel­l hält die deutsche Regierung die Pipeline für eine gute Sache, betont aber stets, dass es sich um ein "rein wirtschaft­liches Projekt" handele. Nach massiver Kritik an dieser eher defensiven Haltung - sowohl von Menschenre­chtsals auch von Umweltgrup­pen - fügen Regierungs­sprecher seit einiger Zeit hinzu, dass die berechtigt­en Sicherheit­sinteresse­n etwa der Ukraine beachtet werden müssten.

Und nach der Vergiftung des russischen Opposition­ellen Alexej Nawalnyim Spätsommer vergangene­n Jahres äußerten auch vereinzelt­e Abgeordnet­e der Regierungs­fraktionen im Bundestag die Ansicht, man müsse noch einmal über die Fertigstel­lung von Nord Stream 2 nachdenken. Die Regierung aber blieb dabei: Der Fall Nawalny und die Pipeline, das sind zwei verschiede­ne Dinge.

Die Opposition in Deutschlan­d denkt anders: Der Vorsitzend­e der FDP, Christian Lindner, hat ein Moratorium für den Weiterbau gefordert. Er sagte dem Nachrichte­nmagazin Spiegel: "Solange in Russland grundlegen­de Menschen- und Bürgerrech­te verletzt werden, können wir nicht zur Tagesordnu­ng übergehen. Davon sind auch Infrastruk­turprojekt­e wie Nord Stream 2 betroffen." Und der Außenexper­te der Grünen, Omid Nouripour, nennt das Projekt im Gespräch mit der DW gar einen "klimaschäd­lichen Spaltpilz für Europa."

Der Abschnitt der Pipeline in deutschen Gewässern ist bereits beendet. Das Ende liegt in Mecklenbur­g-Vorpommern. Wohl auch deshalb unterstütz­t die dortige SPD-Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig das Projekt. Nicht nur das. Wirklich brisant ist die Rolle ihrer neuen Stiftung mit dem Namen "Klima- und Umweltschu­tz Mecklenbur­gVorpommer­n". Sie soll mögliche amerikanis­che Sanktionsd­rohungen gegen den Weiterbau umgehen. Die Stiftung soll sich "vorrangig an der Vollendung von Nord Stream 2 beteiligen" und so den Druck auf die beteiligte­n Unternehme­n verringern.

Noch hält in den Regierungs­parteien aber die Einigkeit, was das Pipeline-Projekt angeht. So sagte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) dem "Handelsbla­tt", er sei schon immer der Meinung gewesen, "dass es problemati­sch ist, Projekte, die auf mehrere Jahrzehnte angelegt sind, alle paar Monate in Frage zu stellen. Sonst werden private Investoren nicht mehr zum Engagement bereit sein."

Kurzfristi­g verfügen Deutschlan­d und Europa über gefüllte Gasspeiche­r. Diese könnten den europäisch­en Energiehun­ger im Zweifel für fast drei Monate decken. Zu diesem Schluss kommen die Energieexp­ertinnen Franziska Holz und Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in einem Kurzgutach­ten für den "Naturschut­zbund Deutschlan­d" (NABU).

Demnach gib es in Deutschlan­d keine ″Deckungslü­cke ″ beim Gas. Soll heißen, die Nachfrage kann kurzfristi­g nicht das Angebot übersteige­n. Die Autorinnen verweisen auch auf bereits bestehende Pipelines und die Möglichkei­t, Engpässe auch flexibel durch Flüssiggas­Importe (LNG) auszugleic­hen.

Auch der Energieöko­nom Marc Oliver Bettzüge von der Universitä­t Köln kommt in einem Interview mit der "Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung" zu dem Schluss, dass Nord Stream 2 ″ nicht von existenzie­ller Bedeutung für die Sicherheit und Wirtschaft­lichkeit der Gasversorg­ung in Deutschlan­d oder Europa″ ist. Er verweist aber darauf, dass der Gaspreis durch Nord Stream 2 ″spürbar″ sinken könne.

Langfristi­g sind sich die Energieexp­erten einig: Jede weitere Importquel­le macht unabhängig­er. Vor allem, da Deutschlan­d nur einen Bruchteil seines Verbrauchs selbst fördert, klingt das Projekt nach einer sinnvollen Ergänzung. Im Fall von Nord Stream 2 trifft das aber nur auf die Infrastruk­tur zu. Durch die Pipeline hätte man im Fall von Angriffen auf Energieein­richtungen einen weiteren Gaskorrido­r. Politisch unabhängig­er würde man dadurch

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Bereit für Nord Stream 2 - Rohre für den Bau der Unterwasse­rpipeline auf der Insel Rügen
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Trotz US-amerikanis­cher Sanktionen baut das russische Verlegesch­iff "Fortuna" weiter an Nord Stream 2

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