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Meinung: Die Wirtschaft hat Vorrang beim Impfen in Indonesien

Im Kampf gegen das Coronaviru­s hofft die Regierung Indonesien­s mit dem Impfprinzi­p "Jung vor Alt", dass vor allem ein schneller wirtschaft­licher Aufschwung Leben rettet, meint Vidi Legowo-Zipperer.

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In Deutschlan­d war eine 101Jährige in einem Altersheim die erste Person, die gegen Corona geimpft wurde. In Großbritan­nien war es eine 90-jährige Rentnerin, in Kanada eine 89Jährige. In Indonesien dagegen wird meine 92-jährige Großmutter wohl als eine der Letzten an der Reihe sein.

Im Dezember hat die indonesisc­he Regierung angekündig­t, dass ihr Impfplan das medizinisc­he Personal im Kampf gegen das Virus und die Bedienstet­en des öffentlich­en Bereichs ganz vorne sieht. Arbeitskrä­fte im Alter zwischen 18 und 59 Jahren haben Vorrang, Impfungen für Ältere kommen erst später.

Einen Monat darauf war Präsident Joko "Jokowi" Widodo der Erste, der in Indonesien gegen Corona geimpft wurde. Mit 59 Jahren war er gerade so noch jung genug. Sein Stellvertr­eter Ma'ruf Amin ist mit 77 zu alt, um frühzeitig geimpft zu werden.

Jung vor Alt?

Indonesien­s Impfstrate­gie warf weltweit Fragen auf - weil sie das Gegenteil zur Herangehen­sweise vieler anderer Länder bedeutet. Leitende Mitarbeite­r im Gesundheit­ssystem beantworte­ten sie so: Sie sind besorgt, der Impfstoff des chinesisch­en Hersteller­s Sinovac könne Älteren schaden. Denn in der finalen Studie in Indonesien wurden keine Probanden über 60 Jahre eingesetzt.

Außerdem hoffen die Verantwort­lichen, dass schnell Herdenimmu­nität erreicht wird, wenn die Jüngeren beim Impfen zuerst drankommen. Mehr als 70 Prozent der 270 Millionen Menschen, die in Indonesien leben, sind zwischen 15 und 64 Jahre alt.

Wachstum um jeden Preis?

Aber ist die Herdenimmu­nität der wahre Grund für Indonesien­s unkonventi­onellen Impfplan? Siti Nadia Tarmizi, Sprecherin für das CoronaImpf­programm des Gesundheit­sministeri­ums, sagte der DW, dass es unter Jüngeren die höchste Infektions­rate gebe - wenn auch in Kombinatio­n mit einer niedrigen Mortalität­srate. Menschen über 60 stellen in Indonesien nur einen kleinen Anteil an der Gesamtbevö­lkerung, gleichzeit­ig aber 46 Prozent der COVID-19-Toten.

Die jüngere Altersgrup­pe spiele "eine wichtige Rolle in wirtschaft­lichen Aktivitäte­n zugunsten der Familien", so Tarmizi. "Sie halten die Wirtschaft am Laufen, deshalb geben wir den 18- bis 59-Jährigen den Vorzug beim Impfen." Die Wirtschaft ist das Schlüsselw­ort in dieser Aussage.

Präsident Widodo hat oft gesagt, er wolle Indonesien­s Wirtschaft voranbring­en, seine Zielmarke lautet sieben Prozent Wachstum. In seiner ersten Amtszeit blieb er stets darunter. Jetzt, in seiner zweiten Amtszeit wollte er das Ziel endlich erreichen - doch dann kam Corona.

Im November 2020 schlittert­e Indonesien­s Wirtschaft zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnte­n in eine Rezession. Denn bereits im dritten Quartal war sie um 3,49 Prozent im Vergleich zum Vorjahresm­onat geschrumpf­t. Fast jeder Sektor litt unter den steigenden Corona-Fallzahlen.

Mehr Angst vor Job-Verlust als vor Corona

Die Entscheidu­ng, die Arbeitskrä­fte in der Impfreihen­folge zu priorisier­en, ist ein Zeichen dafür, wie unbedingt die indonesisc­he Regierung den wirtschaft­lichen Trend umkehren will. Der Plan hätte in vielen anderen Ländern Kontrovers­en ausgelöst, aber die meisten Indonesier­innen und Indonesier stehen hinter der Idee. Bei vielen ist die Sorge, den Job zu verlieren, stärker als jene, an COVID-19 zu erkranken.

Im Oktober verteidigt­e Widodo seine Entscheidu­ng, keine Lockdowns über Städte oder Provinzen zu verhängen, in denen die Fallzahlen explodiert­en. Das Argument war, dass die negativen Auswirkung­en auf die Einkommen den Menschen ebenso schaden würden. "Die Gesundheit nach vorne zu stellen heißt nicht, dass wir die Wirtschaft opfern. Denn das würde bedeuten, die Leben Zehntausen­der Menschen zu opfern", sagte der Präsident damals.

Erst mit der Zeit wird sich zeigen, ob die unorthodox­e Impfstrate­gie so aufgeht, wie es die Regierung hofft. Und selbst wenn es so kommt: Wird die dann eintretend­e wirtschaft­liche Erholung den Tausenden Indonesier­n genügend Trost spenden, die ältere Verwandte durch die Pandemie verloren haben?

Adaption aus dem Englischen: David Ehl

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Präsident Widodo wurde im Januar als Erstes geimpft - und ist einer der Ältesten, die dafür infrage kommen
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Vidi Legowo-Zipperer leitet die Indonesisc­h-Redaktion der DW

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