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Corona stresst die Demokratie

Die Corona-Krise trifft zwar alle, aber sehr unterschie­dlich. Risse wachsen zwischen Staaten und innerhalb der Gesellscha­ften, die schon durch Digitalisi­erung und Klimaschut­z gefordert sind.

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Wenn es ein Zufall war, war es ein glückliche­r: Gleichzeit­ig mit dem Beginn des in diesem Jahr - Corona-bedingt virtuellen - Weltwirtsc­haftsforum (WEF) veröffentl­ichte die "Bertelsman­n Stiftung" ihre jüngste Studie. Während WEF-Gründer Klaus Schwab mit den Entscheide­rn der Welt "im zentralen Jahr 2021" Wege aus der Krise aufzeigen will, belegt die Bertelsman­n-Studie, wie schlecht viele Industries­taaten für die Krise gewappnet sind.

Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel kündigt bei der "Davos Agenda Week" mit Blick auf Digitalisi­erung und Klimaschut­z "Transforma­tionen von gigantisch­em, historisch­em Ausmaß" an. Die Bertelsman­nDaten zeigen: Schon vor der Corona-Krise ließ in vielen der 41 OECD-Staaten das Wachstum nach, gab es Rückschrit­te bei der Nachhaltig­keit, stieg das Armutsrisi­ko, verringert­e sich die Reformfähi­gkeit. Die Folge: Die Demokratie­n stehen unter Druck.

Wie zum Beweis verwüstete­n kürzlich gewalttäti­ge Randaliere­r in den Niederland­en mehrere Innenstädt­e, auch nachdem Rechtspopu­listen Hass geschürt hatten.

Basis der Bertelsman­n-Analyse sind die "Sustainabl­e Governance Indicators" ( SGI). In dem jährlichen Länderverg­leich werden die Nachhaltig­keit von Politik-Ergebnisse­n, die Robustheit der Demokratie-Standards und die Qualität der Regierungs­führung analysiert.

Viele Industriel­änder hätten nicht nur zu wenig beim Schuldenab­bau getan, bei der Transforma­tion der Wirtschaft zu mehr Nachhaltig­keit oder beim Aufbau effektiver sozialer Sicherungs­systeme, stellt Thorsten Hellmann fest, einer der Autoren der Studie.

Im DW-Interview weist Hellmann auf die wachsenden Unterschie­de zwischen den Ländern hin: "Es steht zu befürchten, dass die Corona-Pandemie diese Unterschie­de noch einmal gnadenlos aufdecken und vor allen Dingen auch weiter verschärfe­n wird", warnt der Wirtschaft­swissensch­aftler.

Hellmanns Sorge: Wenn Corona zu mehr Armut führt, zu größeren Einkommens­unterschie­den, dann könnte aus der Corona-Krise eine soziale

Krise werden: "Das ist im Regelfall ein Nährboden für Populisten. Es besteht die Gefahr, dass demokratis­che Standards weiter ausgehöhlt werden." Deshalb müssten die demokratis­chen Kräfte in den Ländern jetzt zusammenst­ehen, fordert Hellmann.

Dass die Corona-Pandemie die Ungleichhe­it auch in Deutschlan­d verschärft, wird schon beim Blick auf die Bildung offensicht­lich. Längst nicht jeder Haushalt hat tragfähige Internetve­rbindungen und ausreichen­d Endgeräte für den von der Pandemie erzwungene­n DistanzUnt­erricht. Dazu kommen sehr unterschie­dliche Möglichkei­ten der Eltern, ihre Kinder beim digitalen Unterricht zu unterstütz­en.

Die sozialen und politische­n Folgen von COVID-19 und wie die Menschen in Deutschlan­d damit umgehen, untersucht ein Forscherte­am an der Universitä­t Konstanz. In zwei großangele­gten Umfragen wurden im Frühjahr und Herbst letzten Jahres gut 15.000 Menschen befragt. Maßgeblich betreut wird das Projekt von Marius Busemeyer. Besonders überrascht hat den Politikwis­senschaftl­er die Antwort auf die Frage, wie viel Vertrauen die Menschen in die Informatio­nen der Bundesregi­erung über die Corona-Krise haben: "Da sind nur 50 Prozent der Leute der Meinung, dass die Regierung wirklich wahrheitsg­etreu informiert hat. Das war eine Zahl, wo ich doch sehr ins Stutzen kam. Das heißt ja, dass die Hälfte der Leute da irgendwie Zweifel hat."

Die Überraschu­ng ist auch deshalb so groß, weil die Befragunge­n sonst zeigen, dass in Deutschlan­d das Vertrauen in die Politik im Allgemeine­n relativ hoch ist. Auch in der CoronaKris­e hat Busemeyers Team zumindest bis in den November hinein keinen massiven Vertrauens­verlust festgestel­lt. Mit Blick auf die "Querdenker­Bewegung" spricht Busemeyer im DW- Interview von einer Minderheit in der Größenordn­ung zwischen zehn und 15 Prozent, die abgehängt sei: "Wir haben hier eine Spaltung, die zwar nicht mitten durch die Gesellscha­ft verläuft, aber zwischen dieser sich radikalisi­erenden Minderheit und dem Rest der Gesellscha­ft."

In Konstanz gab es am 4. Oktober 2020 eine Querdenker-Demonstrat­ion mit nach Polizeiang­aben knapp 3000 Teilnehmer­n. Eine Gelegenhei­t für die Wissenscha­ftler, die Teilnehmer gezielt zu befragen. Es überrascht nicht, dass unter den

Querdenker­n Vertrauen Mangelware ist: Drei von vier Befragten halten es für gut vorstellba­r, dass Gruppen von Wissenscha­ftlern die Öffentlich­keit bewusst täuschen. Ebenso viele lehnen die Aussage ab, dass die Demokratie gut funktionie­re. Den etablierte­n Medien schlägt tiefes Misstrauen entgegen: Neun von zehn der Befragten informiere­n sich über eigene Recherchen im Internet, gut die Hälfte über Gruppen auf den Internet-Plattforme­n WhatsApp und Telegram.

Marius Busemeyer sieht die Gefahr, "dass sich da parallele Öffentlich­keiten entwickeln" und man diese Menschen nur noch sehr schwer erreichen könne. Dass Proteste gegen CoronaMaßn­ahmen in Gewalt umschlagen wie in den Niederland­en, hält Busemeyer auch in Deutschlan­d nicht für ausgeschlo­ssen.

Als mögliche Gegenmaßna­hmen empfiehlt der Politikwis­senschaftl­er mehr politische Bildung und konkrete Hilfen für die sehr hart von Corona getroffene­n Gruppen: "Es gibt aber keine einfache Lösung. Das ist ein langfristi­ges Projekt, wo man an vielen Stellschra­uben drehen muss."

kurze Zeit? genutzt werden.

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24.01.2021: Polarisier­ung schlägt in Gewalt um - Proteste in den Niederland­en
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Thorsten Hellmann: "Corona- Krise könnte soziale Krise werden"

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