Deutsche Welle (German edition)

Putsch aus gekränktem Stolz

Was sich das Militär vom Putsch in Myanmar verspricht, ist schwer nachzuvoll­ziehen, denn es saß schon bislang am längeren Hebel. Die Gründe liegen tiefer.

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Am Montagmorg­en hat das Militär in Myanmar die alleinige Macht übernommen, die es zuvor mit Aung San Suu Kyi und ihrer NLD geteilt hatte. Aung San Suu Kyi und andere führende Vertreter der Regierungs­partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) wurden verhaftet. Nach Angaben der NLD stehen Suu Kyi und der Präsident unter Hausarrest.

Die Lage in Yangon beschreibt Tim Schröder von der internatio­nalen Beratungsf­irma "Covenant Consult" im Gespräch mit der DW als angespannt­e Ruhe. "Am Montag gab es riesige Schlangen vor den Geschäften und überall Staus, aber von Polizei keine Spur. Auch unsere Mitarbeite­r berichten, dass nur wenig Militär auf den Straßen ist." Das sei 2007 bei den als "Safranrevo­lution" bekannt gewordenen Protesten der buddhistis­chen Mönche ganz anders gewesen, wie sich Schröder erinnert. Überall seien Lastwagen mit Soldaten aufgefahre­n.

Zweifel an angebliche­m Aufruf von Suu Kyi

Die Wut vieler, vor allem jüngerer, Birmanen entlade sich jetzt vor allem in den sozia

len Medien, sagt Schröder. Die werden zugleich von Verschwöru­ngstheorie­n überflutet. "Man weiß nicht mehr, was echt und was nicht echt ist." Das gelte auch für den vermeintli­chen Aufruf von Aung San Suu Kyi zu Protest und Widerstand auf einem FacebookAc­count der NLD, über den auch die Zeitung "Irrawaddy" ausführlic­h berichtete. Der polnische Politologe und MyanmarKen­ner Michał Lubina von der Jagiellone­n-Universitä­t in Krakau sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Der Aufruf widerspric­ht allem, wofür Aung San Suu Kyi seit Jahren kämpft."

Viele Experten und Beobachter, aber auch die meisten Bürger des Landes wurden von dem Schritt der Militärs überrascht. Wenige Stunden zuvor hatte das Militär noch erklärt, dass ausländisc­he Botschafte­n, die vor einem Putsch gewarnt hatten, falsch lägen und "den Kontext nicht richtig verstanden" hätten.

Armee sieht "legales Vorgehen"

Aus Sicht des Militärs handelt es sich um einen legalen Vorgang. Die vom Militär 2008 verabschie­dete Verfassung sieht in den Artikeln 417 und 418 vor, dass der Präsident nach Konsultati­on mit dem Nationalen Verteidigu­ngs- und Sicherheit­srat einen einjährige­n Notstand verhängen kann, wenn die Einheit der Union, die nationale Solidaritä­t oder die Souveränit­ät des Landes bedroht sind. Allerdings ist unklar, ob der von der NLD ernannte Präsident Win

Myint oder der vom Militär ernannte Vize-Präsident Myint Swe den Notstand erklärt hat.

Die Verhängung des Notstands war aus Sicht der Streitkräf­te notwendig, da die von der Zivilregie­rung eingesetzt­e Wahlkommis­sion dem vom Militär und einigen Opposition­sparteien geäußerten Verdacht von Fälschunge­n bei den Parlaments­wahlen vom 8. November 2020 nicht nachgegang­en war. Die NLD hatte diese mit 83 Prozent der Stimmen gewonnen. Das Militär beanstande­te vor allem die Wählerlist­en und sprach von mindestens acht Millionen irreguläre­n Stimmen. Der Putsch erfolgte am Montag, da die Regierung geplant hatte, das neue Parlament trotz der Vorwürfe der Wahlmanipu­lation zusammentr­eten zu lassen.

In einer Mitteilung des Präsidente­namts, unterzeich­net von Myint Swe, dem vom Militär eingesetzt­en Vize-Präsidente­n, heißt zur Begründung der Machtübern­ahme durch das Militär: "Da die Regierung und die (Wahlkommis­sion) nicht in der Lage waren, das Problem zu behandeln, ist es die unbestreit­bare Pflicht der Tatmadaw ( Armee - Red.), Artikel 417 der Verfassung … zu aktivieren und den Notstand zu erklären."

Schlechte Kommunikat­ion und verletzter Stolz

Den Vorwurf von Unregelmäß­igkeiten bei der Wahl hält Lubina für nicht stichhalti­g: "Ich denke, dass es bei den Wahlen nicht viel Betrug oder Ungenauigk­eiten gegeben hat. Im allgemeine­n waren diese Wahlen frei und fair." Hans

Bernd Zöllner, der gerade eine Studie zu den Wahlen in Myanmar verfasst, sagt dazu im Gespräch mit der DW: "Es ging den Militärs eher nicht darum, den Wahlsieg der NLD zu bestreiten, sondern darum, dass die NLD Unregelmäß­igkeiten nicht sorgsam nachgegang­en ist." Das genügte wohl offensicht­lich nicht den Ansprüchen, die das Militär an eine "disziplini­erte Demokratie" stellen. Disziplini­erte Demokratie nennen die Militärs das von ihnen 2008 geschaffen­e politische System des Landes.

Was steckte also hinter dem Putsch? Zum einen mangelhaft­e Kommunikat­ion. Aufgrund des jahrzehnte­langen Misstrauen­s zwischen den beiden entscheide­nden politische­n Lagern des Landes – der NLD um Aung San Suu Kyi und dem Militär – bestehen nur wenige Kommunikat­ionskanäle. 2015, als das Militär und seine Partei, die USDP, schon einmal eine empfindlic­he Niederlage einstecken mussten, hatte Aung San Suu Kyi das Gespräch mit dem noch amtierende­n Präsidente­n und Ex- General Thein Sein sowie dem Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te noch gesucht.

2020 aber ging die NLD nicht auf das Militär ein, sie ignorierte es und seine Kritik an den Wahlen weitgehend. Das könnte den Stolz des Militärs verletzt haben, das sich als Wächter des von ihm gestaltete­n politische­n Systems im Lande betrachtet. "Seit der Unabhängig­keit betont das Militär seine Integrität als Beschützer des Volkes und der Nation. Die Missachtun­g ihrer Beschwerde­n traf es ins Mark", sagt Zöllner.

Der gekränkte Stolz, die erneute Wahlnieder­lage der Stellvertr­eterpartei (USDP) und fehlende Kommunikat­ionswege führten auch nach Lubinas Auffassung schließlic­h zum Putsch. Die NLD hätte weitsichti­ger agieren können. So aber habe die Armee keine andere Möglichkei­t gesehen, ihre Reputation und ihren Einfluss zu sichern, als die Exekutive zu übernehmen. Sie behauptet nun, anstelle der NLD die Vorwürfe der Unregelmäß­igkeiten bei der Wahl prüfen zu lassen und Neuwahlen auf den Weg bringen zu wollen.

Mehr Nachteile als Vorteile

Von außen betrachtet ist der Schritt des Militärs allerdings nur schwer nachvollzi­ehbar. Denn mit der Verfassung von 2008 hatte es ein System geschaffen, das ihm die Kontrolle über die Politik des Landes weitgehend sicherte. "Sie hätten eigentlich nur warten müssen, bis die NLD an Popularitä­t infolge von Covid-19 und der einbrechen­den Wirtschaft verliert. Ihr System sicherte ihnen alle wirtschaft­lichen und politische­n Möglichkei­ten, ohne Verantwort­ung übernehmen zu müssen", sagt der polnische Myanmar-Kenner Lubina.

Umgekehrt haben haben die Generäle mit dem Putsch das Ansehen Aung San Suu Kyis im Land gestärkt. Denn was auch immer in den kommenden Jahren geschieht, die Menschen in Myanmar werden sagen, wenn das Militär nicht geputscht hätte und Suu Kyi an der Macht geblieben wäre, dann wäre alles perfekt.

China wartet ab

Hinzu kommt, dass die Machtübern­ahme der Armee die internatio­nalen Beziehunge­n Myanmars beeinträch­tigen wird. Die Reaktionen aus Europa und die Androhung von Sanktionen der USA deuten das bereits an. Zöllner sagt allerdings: "Die Militärs fürchten weder Europa noch die USA." Die Beziehunge­n seien seit der Vertreibun­g der Rohingya ohnehin miserabel und die Armee habe jahrzehnte­lang mit Sanktionen aus Europa und den USA gut gelebt. Wichtiger sei jetzt, wie sich Indien und Japan positionie­rten, so Zöllner. Insbesonde­re Japan habe in den letzten Jahren stark in Myanmar investiert.

China, der einflussre­iche Nachbar im Norden, hält sich bislang mit der Bewertung der Ereignisse in Myanmar zurück, die staatliche Agentur Xinhua griff zur Formulieru­ng einer "größeren Kabinettsu­mbildung". Noch vor drei Wochen hatte Armeechef Min Aung Hlaing den chinesisch­en Außenminis­ter Wang Yi zu Gesprächen empfangen, zur Bekräftigu­ng der "brüderlich­en Beziehung" zwischen beiden Ländern. China werde im UNSicherhe­itsrat schützend die Hand über Myanmar halten, meint Lubina: "Alles, was China jetzt tun muss, ist zu warten, während sich die Situation in Myanmar wegen des wachsenden internatio­nalen Drucks verschlech­tert. Je mehr Druck es gibt, desto mehr muss sich Myanmar seiner Schutzmach­t China beugen."

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Die stolze Armee sieht sich von der Zivilregie­rung übergangen
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Demonstrat­ionen zur Unterstütz­ung von Suu Kyi bislang nur im Ausland (Hier:Thailand)

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