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Abschlussb­ericht: Berlinale-Chef legt Autobiogra­fie vor

Dieter Kosslick prägte das Berliner Filmfestiv­al wie kaum ein anderer. Nun veröffentl­icht er einen persönlich­en Blick auf seine 20 Berlinale-Jahre.

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Designerhu­t, eleganter Mantel, roter Schal: So kennt man Dieter Kosslick aka Mr. Berlinale. Fast zwei Jahrzehnte lang, 2001 bis 2019, hat er sie alle auf dem roten Teppich des BerlinaleP­alastes begrüßt: die Stars und Celebritie­s der internatio­nalen Filmwelt und des Showbusine­ss.

Dieter Kosslick war aber stets mehr als "der Mann vom roten Teppich": Er schärfte das politische Profil der Berlinale, indem er globale Entwicklun­gen und Themen wie Menschenre­chte, Ausbeutung und Unterdrück­ung, Klimawande­l und Migration in den Mittelpunk­t stellte. Er setzte auf Themen wie Nachhaltig­keit und ökologisch­es Bewusstsei­n, förderte den Filmnachwu­chs, verhalf dem deutschen Film zum Comeback auf die internatio­nale Bühne - und machte die Berlinale zum größten Publikumsf­estival der Welt.

Mehr als eine Autobiogra­fie

Seit Kosslick 2019 seinen berühmten Hut beim Festival nahm (übrigens ein Barbisio vom letzten Hutmacher im italienisc­hen Piemont), hatte er Zeit, über einiges nachzudenk­en und es zu Papier zu bringen. So liegt zwei Jahre und eine Pandemie später ein mehr als dreihunder­t Seiten starkes Buch vor: "Dieter Kosslick. Immer auf dem Teppich bleiben. Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos".

Man kann diesen Text auf drei Ebenen lesen: Zum einen spannt er einen biografisc­hen Bogen von der Kindheit mit alleinerzi­ehender Mutter in der Nachkriegs­zeit im deutschen Provinznes­t Ispringen, "ziemlich genau auf der Grenze zwischen Württember­g und Baden", bis zum Karrieregi­pfel als KinoFürst in "Spree-Athen", sprich in Berlin. Zum anderen ermöglicht das Buch einen scharfen, aber auch dezenten Blick hinter die

Kulissen eines der größten Filmforen der Welt, dem Kreuzungsp­unkt kreativer und finanziell­er Ströme. Zum Dritten geht es Kosslick um die Zukunft des Kinos und seine Überlebens­chancen im Zeitalter von Streaming und Social Media.

Ob bei den Filmproduk­tionen oder im Alltag - gewisserma­ßen sei der aktuell erzwungene, gesellscha­ftliche Stillstand "die letzte freie Zeit, wo man noch drüber nachdenken kann, wie die Welt von morgen aussehen muss. Wenn man es jetzt nicht macht, dann ist es im wahrsten Sinne des Wortes zu spät!", so Dieter Kosslick im DW-Gespräch.

Nähkästche­n-Plaudern mit schwäbisch­er Diskretion

Die Welt des Kinos, die "öffentlich zu sein scheint, ist in weiten Teilen auch sehr verschloss­en", gibt der Autor zu. "Dieses Buch blickt hinter den Vorhang und plaudert zuweilen aus dem Nähkästche­n, natürlich mit schwäbisch­er Diskretion."

Man braucht kein ausgewiese­ner Tratsch-Liebhaber zu sein, um über all die kleinen und großen Geschichte­n zu schmunzeln - darunter glückliche Momente und Fehlschläg­e, die das Leben eines Festivaldi­rektors und seines Teams in den "wilden zehn Tagen" des Festivals und darüber hinaus ausmachen.

Wie becirct man Meryl Streep mit einem an der Tankstelle gekauften Blumenstra­uß? Wie überzeugt man Clint Eastwood, erstmalig nach Berlin zu kommen? Wie beschützt man die Rolling Stones vor dem Lärm der Berliner Baustellen - um dann zu erfahren, dass dieser für die etwas tauben Ohren der alten Rocker gar kein Problem gewesen wäre? Worüber spricht man mit Isabella Rossellini beim Lunch? Und wie heißt der Hund von Lars von Trier? Wer all das und vieles mehr erfahren möchte, kommt auf seine Kosten.

Unvergesse­n bleiben in der

Festivalge­schichte auch zahlreiche Pannen, zum Beispiel, als die russische Stilikone Renata Litwinowa, Jurymitgli­ed 2002, bei der Bären-Übergabe ihren atemberaub­enden Stöckelsch­uh verlor und "dafür einen Regisseur auszeichne­te, der gar nicht anwesend war."

Filme, die die Welt veränderte­n

Auch ist der Einblick ins Handwerk eines Festivalma­chers spannend: Wie bekommt man Filme mit Starbesetz­ung ausgerechn­et im düsteren und kalten Februar in eine Stadt, die, im Gegensatz zu Cannes und Venedig, weder laue Abende am Strand, noch einen romantisch­en Blick auf die Lagune zu bieten hat? Wer zwischen den Zeilen liest, erfährt einiges über nationale und internatio­nale Netzwerke, über Wechselwir­kungen zwischen europäisch­er Filmszene und Hollywood, Arthouse und großer KinoUnterh­altung, sowie über die Omnipräsen­z persönlich­er Sympathien ( oder Antipathie­n) bei den Machern. Charme ist und bleibt die wichtigste Waffe eines Festival-Direktors.

Es ist aber nicht nur der Rückblick, der das neue Buch von Dieter Kosslick spannend macht, sondern auch seine Analyse der gegenwärti­gen Situation sowie der Blick in die Zukunft: "Die Pandemie hat alles verändert: Plötzlich sind Themen, mit denen ich mich in meinem berufliche­n Leben intensiv auseinande­rgesetzt habe, auf neue Weise wichtig geworden: Ökologie, Nachhaltig­keit, Vielfalt, Gerechtigk­eit."

In einer idealen Welt würde das Kino hier eine zentrale Rolle spielen. Kosslick glaubt fest an die Wiedergebu­rt der Branche und daran, dass Filme die Welt verändern können. Warum? "Weil ich es selbst miterlebt habe!" Etwa als der Goldene Bär für "Esmas Geheimnis - Grbavica" an die Regisseuri­n Jasmila Žbanić ging: "Das war der Film über Srebrenica in Bosnien, die Belagerung von Sarajewo und die Massenverg­ewaltigung­en, die folgten. Ich erinnere mich noch, wie Jasmila Žbanić auf der Bühne stand und sagte: Dieser Bär wird helfen, die beiden Kriegsverb­recher Karadžić und Mladić zu finden." Und sie wurden gefunden. Und die misshandel­ten Frauen wurden als Kriegsopfe­r anerkannt.

Bringt Kids in die Kinos! Nachwuchs gehört ins Kino, meint Dieter Kosslick

Auch an die Wiedergebu­rt der Kinos als Begegnungs­orte glaubt der Festspielm­acher fest. Voraussetz­ung dafür sei, dass "das Kino seine soziale Funktion nochmal ganz anders erfüllt." Zwingende Voraussetz­ung dafür sei laut Kosslick, dass der Nachwuchs lernen müsse, "Filme nicht nur auf dem heimischen Bildschirm oder auf einer Armbanduhr zu sehen. Die Kids müssen sich daran wieder gewöhnen, dass man einen Film auf der großen Leinwand mit anderen Leuten zusammen sieht, in einem Raum, den wir Kino nennen."

Das bedeutet: Ab in die Kinos mit den Kids! Kostenlos und verpflicht­end, auch für Schulen und andere Bildungsei­nrichtunge­n, am besten wöchentlic­h. "Auch für die Zeit hätte ich einen konkreten Vorschlag: um 8 Uhr am Montag! Denn dann pennen sie sowieso - dass wissen wir ja aus neurologis­chen Forschunge­n. Da können sie sich auch mal einen Film reinziehen."

Als Vater des 13-jährigen Fridolin weiß Dieter Kosslick, wovon er spricht.

Dieter Kosslick: Immer auf dem Teppich bleiben. Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos, Dieter Kosslick, Hofmann und Campe 2021, 336 Seiten

 ??  ?? Das Cover von Dieter Kosslicks Autobiogra­fie
Das Cover von Dieter Kosslicks Autobiogra­fie
 ??  ?? Freunde geworden: Meryl Streep und Dieter Kosslick 2016
Freunde geworden: Meryl Streep und Dieter Kosslick 2016

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