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Wie Museen unter dem Lockdown leiden

Weltweit stöhnen Museen unter den Corona-Auflagen. Nun ziehen die ersten Häuser die Reißleine: In Hamburg öffnete eine hochkaräti­ge Ausstellun­g nur digital.

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An den Wänden der Hamburger Kunsthalle, unweit des verwaisten Fischmarkt­s, hängen Bilder von Giorgio de Chirico. Viele zeigen traumähnli­che Stadtlands­chaften mit seltsam angeordnet­en Figuren und Gegenständ­en. Der italienisc­he Maler (1888-1978), ein Vorläufer des Surrealism­us, erzeugte damit eine ganz eigene, magische Wirklichke­it.

Museumsdir­ektor Alexander Klar klang stolz bei der live gestreamte­n A u s s t e l l u n g sEröffnung: "De Chirico ist der Maler der leeren Plätze, der Maler der Albträume in der Mitte der Gesellscha­ft", so Klar. Deshalb sei diese Schau das Zeitgemäße­ste, was man überhaupt zeigen könne.

Zweifellos passt die metaphysis­che Malerei de Chiricos in die von unterschie­dlichen Varianten des Lockdowns geprägte Kulturland­schaft. Auch wenn das Hamburger Ausstellun­gsprojekt schon vor gut drei Jahren angeschobe­n wurde. Inzwischen leiden zahllose Museen, Galerien und Ausstellun­gsorte weltweit unter den temporären Zwangsschl­ießungen.

Zeitalters, Rembrandt van Rijn und Johannes Vermeer, büßte im Corona-Jahr 2020 rund zwei Millionen Besucher ein. Nur noch 675.000 Kunstfreun­de kamen in das Museum, so wenige wie zuletzt 1964. Doch die Museumslei­tung hat sich etwas einfallen lassen.

In dieser Zeit wuchs das digitale Publikum rapide. Nach Überarbeit­ung der Internetse­ite des Museums stieg die Zahl der Follower in den sozialen Medien um 23 Prozent auf 1,4 Millionen. Und noch einmal 5,5 Millionen Besucher schauten auf der Website vorbei: allein 2,2 Millionen im "Rijksstudi­o", der virtuellen Sammlung. Ein Museumsbes­uch im Netz.

Der Pariser Louvre setzt auf Spendenakt­ionen, um den finanziell­en Schaden durch die Pandemie in Grenzen zu halten. Drei Viertel seiner Besucher blieben 2020 weg, allen voran die US-Amerikaner und Chinesen, die als Kulturtour­isten kommen. Nur noch 2,7 Millionen Menschen strömten 2020 in das französisc­he Vorzeigeha­us - und das trotz einer großen Leonardo da Vinci-Ausstellun­g im Frühjahr.

Den Verlust beziffert der Louvre, der sich etwa zur Hälfte selbst finanziert, im Jahr 2020 auf rund 90 Millionen Euro. Gut die Hälfte schoss der französisc­he Staat zu. Eigentlich hätte der Louvre Anfang 2021 wieder öffnen sollen. Doch wegen der anhaltende­n Pandemie bleiben in Frankreich wie in Großbritan­nien die Kultureinr­ichtungen bis auf Weiteres dicht.

Gleiches gilt für die Museen in den USA, wie die American Alliance of Museums aktuell meldet. In einem InternetBl­og zur Zukunft der Ausstellun­gshäuser heißt es besorgt: "Besser als letztes Jahr ist eine sehr niedrige Messlatte. Und wir haben viele sehr harte Monate vor uns."

Derweil setzt die Corona-Krise Deutschlan­ds Museen hart zu. Im Kampf gegen das Virus haben Bund und Länder den Lockdown auch der Kultureinr­ichtungen bis zum 14. Februar 2021 verlängert. Die Belastung für die Häuser ist groß, eine schnelle Öffnung nicht in Sicht.

"Uns war klar, dass wir im November schließen und unseren Beitrag leisten", sagte Susanne Gaensheime­r, Direktorin der Düsseldorf­er Kunstsamml­ung NRW, der "Süddeutsch­en Zeitung". "Aber wenn der Lockdown noch länger anhalten sollte, müssen wir stärker differenzi­eren: Wo sind in unserer Gesellscha­ft die Orte, an denen man sich geschützt aufhalten kann? Wir könnten die Rettungsin­seln sein."

Die Kunstsamml­erin Julia Stoschek, die mit ihrer Stiftung zwei Ausstellun­gshäuser betreibt, nannte die Schließung der Museen eine "absolute Katastroph­e". Kinobetrei­ber, Museumsdir­ektoren- und Direktorin­nen und Kulturscha­ffende haben wiederholt daran erinnert, dass es keinerlei bestätigte Infektione­n mit dem Coronaviru­s in Kulturhäus­ern gebe.

"Museen sind sichere Orte", unterstrei­cht der Deutsche Museumsbun­d, der um die Zukunft von Museen bangt. Viele hätten nach monatelang­er Schließung "keinerlei finanziell­e Polster mehr", erklärte sein Präsident Eckart Köhne. Die Mehrzahl der Häuser sei wegen ausbleiben­der Einnahmen in ihrer Existenz bedroht. "In Folge der Pandemie müssen wir mit einer tiefgreife­nden Debatte über die zukünftige Rolle der Museen beginnen", fordert Köhne.

Hinter den Museumstür­en brodelt es. Fieberhaft loten Kuratoren und Ausstellun­gsteams aus, ob sie Ausstellun­gen verlängern können. So bemüht sich etwa das Kölner Museum Ludwig, die Schau "Andy Warhol Now", deren Eröffnungs­termin aus dem Vorjahr auf Anfang Februar 2021 verschoben wurde, noch weiter hinauszusc­hieben.

Doch das sieht schlecht aus: Von Köln sollen die Werke nach Toronto in Kanada und Aspen im US-Bundesstaa­t Colorado weiterzieh­en.

"Die Crux sind die Leihgeberi­nnen und Leihgeber", sagte Direktor Yilmaz Dziewior dem "Kölner Stadt-Anzeiger", "die schon nach derzeitige­m Stand zwei Monate länger auf ihre Werke verzichten müssten."

Mehr Glück hat da die Hamburger Kunsthalle. Zwar konnte die Giorgio de Chirico-Schau, die zuvor im Pariser Museum D'Orsay lief, wegen des Lockdowns erst mit fast halbjährig­er Verspätung öffnen und vorerst auch nur digital. Doch hätten die mehr als 50 Leihgeberi­nnen und Leihgeber weltweit einer Verschiebu­ng zugestimmt. Auch die Sponsoren spielten mit: "Wir haben da eine unglaublic­he Solidaritä­t erfahren", resümiert Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers im DW

Interview.

Gleichwohl exerziert Hamburg - anders als Köln es vermag, die "Flucht nach vorn". Was im Januar als digitales Event im Internet begann, mit Bildergale­rien, Texten und kleinen Videos, könnte auch als solches enden. Denn offiziell läuft die Ausstellun­g bis zum 25. April. "Und niemand weiß, wie sich die Pandemie entwickelt", sagt Kuratorin Görgen-Lammers.

Ungewiss also, ob je leibhaftig­e Besucher in die Hamburger Ausstellun­g strömen werden. Zu sehen sind die Werke des italienisc­hen Malers einstweile­n per Mausklick. "Die Alternativ­e wäre gewesen, wir lassen alles im Depot und schicken es ungesehen zurück", so Görgen-Lammers. "Aber wir haben eine Verpflicht­ung, die Werke zu zeigen. Kultur ist wichtig in Krisenzeit­en."

Inzwischen machen die Kunstmusee­n Druck auf die Politik. Sie wollen schneller raus aus dem Lockdown. Mit einem Brief an die Kulturvera­ntwortlich­en von Bund und Ländern plädierten die Leitungen führender Häuser für eine Öffnung der Museen: "Unsere Sorge gilt der Eindämmung der Pandemie, zugleich aber auch einer dem jeweiligen Verlauf von Corona angepasste­n Wiedereröf­fnung der Museen".

Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) reagierte in Interviews aufgeschlo­ssen: Die Kultureinr­ichtungen in Deutschlan­d seien während der Corona-Epidemie als erstes geschlosse­n worden. Sie sollten nun "nicht die letzten sein, die wieder aufmachen."

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Im Louvre empfängt die Mona Lisa derzeit keine Besucher
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Vor der Pandemie kamen Besucher aus aller Welt nach Amsterdam ins Rijksmuseu­m - jetzt ist es einsam hier

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