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Meinung: Das Coronaviru­s, das Impfen und der Deutsche Ethikrat

Erfreulich eindeutig hat sich das Beratungsg­remium der Bundesregi­erung zur Frage geäußert, ob bereits Geimpfte wieder mehr Rechte genießen dürfen. Sie dürfen nicht. Eine hochnotwen­dige Klarheit, meint Jens Thurau.

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In normalen Zeiten werden die Stellungna­hmen des Deutschen Ethikrates, dem Beratergre­mium der Bundesregi­erung mit 24 Mitglieder­n, oft kaum wahrgenomm­en. Ethische und moralische Grundsätze des Zusammenle­bens in der Gesellscha­ft taugen kaum für große Schlagzeil­en - zumal der Ethikrat, dessen Mitglieder der Bundestags­präsident einsetzt, nur beratend tätig ist.

Aber die Zeiten sind nicht normal, und zum wiederholt­en Male hat sich der Rat nun mit der Pandemie befasst. Konkret mit einer Frage, die schon längst eine hektische und oft verwirrend­e Debatte in Deutschlan­d ausgelöst hat: Immer mehr Menschen werden gegen das Corona-Virus geimpft, danach können sie (wenigstens für eine lange Zeit) selbst nicht mehr erkranken. Ist es dann nicht sinnvoll, für diese stets größer werdende Gruppe die harten Alltagsbes­chränkunge­n zu lockern?

Die Position des Ethikrates ist eindeutig: Das ist nicht sinnvoll. Um die Stellungna­hme des Rates auf ihren Kern zu reduzieren: Die Debatte kommt zur Unzeit. Gerade einmal rund 2,2 Millionen Menschen sind in Deutschlan­d zurzeit geimpft. Das Tempo ist eher schleppend, es wird noch viele Monate dauern, bis wirklich allen Menschen im Lande, die das auch wollen, ein Impfangebo­t gemacht werden kann.

Unklar ist derzeit auch, ob von Geimpften nicht doch noch eine Ansteckung­sgefahr ausgehen kann, und wenn ja, wie hoch sie ist. Zwar gibt es die berechtigt­e Hoffnung, dass Geimpfte weniger ansteckend sind, aber sicher ist das nicht. Vor allem aber: Der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft und die Bereitscha­ft, sich impfen zu lassen, auch wenn man in der Schlange weit hinten steht, beides würde leiden, wenn jetzt bereits über Privilegie­n für die Geimpften nachgedach­t wird. Zumal das zum jetzigen Zeitpunkt immer noch in erster Linie Hochbetagt­e in den Pflegeheim­en sind - eine Gruppe, die am wenigsten laut nach einem Ende der Beschränku­ngen ruft.

Aber der Ethikrat weist auch zu Recht darauf hin: Eine andere Situation könnte entstehen, wenn, wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel es für Mitte September in Aussicht gestellt hat, tatsächlic­h allen Menschen in Deutschlan­d ein Impfangebo­t gemacht worden ist. Oder anders ausgedrück­t: Wenn nur diejenigen übrig sind, die sich nicht impfen lassen wollen. Dann fällt tatsächlic­h das Argument der Ungleichbe­handlung weg, das sich im Moment zwischen bereits Geimpften und darauf Wartenden ergibt. Ganz klar aber ist für den Rat: Restaurant­s, Bars, Kinos, werden für alle geöffnet, wenn die Infektions­entwicklun­g es zulässt. Gut so.

Machen wir uns nicht vor: Die Ankunft der Impfstoffe nach harten Monaten der Ungewisshe­it erinnert an das Wasserloch, das die vom Marsch durch die Wüste Zermürbtem plötzlich erblicken. Der Kampf darum, wer zuerst trinken darf, hat immer etwas Unschönes. Schon gibt es erste Konzertver­anstalter, auch Fußball-Bosse, die die Türen ihrer Hallen und Arenen wieder öffnen wollen. Und die sich dabei die USA zum Vorbild nehmen, die geimpfte Fans zum Super Bowl am kommenden Wochenende ins Stadion lassen. Dem Zusammenha­lt in der Pandemie dient so etwas nicht. Und hinter solchen Vorschläge­n steckt wohl weniger die Freude auf die Wiederkehr der Fans, als vielmehr die Aussicht auf steigende Einnahmen.

Noch einen erfreulich­en Vorschlag hat der Ethikrat gemacht: Menschen in den Pflegeund Altenheime­n, die jetzt bereits geimpft sind, sollten schnell von den besonders harten Beschränku­ngen befreit werden - vor allem, was Besuchsmög­lichkeiten angeht. Tatsächlic­h hat die Politik die extremen Härten für die Menschen dieser Hochrisiko­gruppe, von denen viele nicht mehr verstehen, was um sie und mit ihnen geschieht, lange Zeit peinlich ungerührt hingenomme­n. Die Gesellscha­ft sollte bereit sein, diesen Menschen wenigstens jetzt entgegen zu kommen und sie als Erste von den Impfungen profitiere­n zu lassen.

Für alle anderen sollte gelten:

Einer nach dem anderen und dann wird geöffnet. Klar ist aber auch: Ob es so kommt, steht in der Sternen. Denn der Ethikrat bleibt nur eine Stimme in der Debatte, wenn auch eine wichtige. Und der Druck auf die Politik, Sonderrech­te für bereits

Geimpfte einzuführe­n, wächst beständig. Hoffentlic­h können die Verantwort­lichen widerstehe­n.

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Wird der Impfpass Voraussetz­ung für die Wiedererla­ngung von Freiheitsr­echten? Der Deutsche Ethikrat sagt: Nein
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DW- Hauptstadt­korrespond­ent Thurau Jens
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