Deutsche Welle (German edition)

Corona: Globale Impf-Strategie gesucht

Ein globaler Ansatz für ein globales Problem? Fehlanzeig­e, wie das Wettrennen um die Impfstoffe zeigt. Aber mit der Fixierung auf nationale Impfkampag­nen schaden sich langfristi­g die reichen Industries­taaten selbst.

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In Blantyre ist an eine Impfung gegen das Coronaviru­s noch nicht zu denken. Rund 800.000 Einwohner hat die Stadt im Süden Malawis in Ostafrika. Seit einigen Tagen ist Tankred Stöbe vor Ort, im Einsatz für Ärzte ohne Grenzen. Der Intensivme­diziner hilft, die Covid-19-Station des größten Krankenhau­ses des Landes auszubauen. Denn alle 80 Betten, die für Covid-19 freigeräum­t wurden, sind bereits belegt.

"Die erste Welle ist hier praktisch nicht groß bemerkt worden. Es gab wenige Infektione­n und kaum nennenswer­te Todesopfer. Jetzt wird vermutet, dass dieses mutierte Virus aus Südafrika hier eingetrage­n wurde und sich dann lokal schnell verbreitet hat", sagt

Stöbe der DW per Telefon. Die Infektions­zahlen steigen sprunghaft an; alle vier oder fünf Tage verdoppeln sie sich. Ob es sich in Malawi tatsächlic­h um das mutierte Virus handelt, können die Ärzte nicht sagen. Es gibt in dem Land nicht die geeigneten Labore. Die Proben wurden nach Südafrika geschickt, bisher noch ohne eine Rückmeldun­g.

Vorbereitu­ngen zum Impfen würden in Malawi noch nicht getroffen, sagt Stöbe. Es gehe zunächst darum, die akut Erkrankten zu behandeln. "Der Impfstoff ist auch in den nächsten Monaten noch nicht zu erwarten. Im Moment sind die größten Hoffnungen, dass er zum April hin hier verfügbar sein wird."

Um diesen Impfstoff streitet derweil die ganze Welt. Die Impfstoffe dreier Unternehme­n sind bisher in der Europäisch­en Union zugelassen: BionTech/Pfizer, Moderna und AstraZenec­a. Bisher kamen sie fast ausschließ­lich den Menschen in Industrien­ationen zugute. Und selbst dort laufen die Impfkampag­nen nur stockend an. Lieferengp­ässe und Unstimmigk­eiten in Verträgen verzögern ein rasches Impfen und sorgen für Missmut. Die ImpfstoffH­ersteller mussten nachrüsten und verspreche­n eine schnellere Produktion.

Dabei herrscht ein ausgeprägt­er Impf-Nationalis­mus. Länder wie Israel weisen auch deshalb eine beeindruck­ende Impfquote auf, weil sie sich vorab viele Millionen Impfdosen gesichert haben, vermutlich zu einem erhöhten Preis. Die Europäisch­e Union kritisiert­e AstraZenec­a scharf, weil es den Verdacht gab, der Konzern würde Impfdosen nach Großbritan­nien liefern, obwohl das Unternehme­n gleichzeit­ig seine Liefervers­prechen an die EU nicht einhalten konnte.

Im Ringen um den bisher einzigen wirklichen Ausweg aus der Pandemie wird mit harten Bandagen gekämpft. Dabei sind sich eigentlich alle Akteure einig, dass es sich um eine globale Herausford­erung handelt, die Zusammenar­beit erfordern müsste. Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel erklärte noch vergangene Woche beim virtuellen Weltwirtsc­haftsforum: "Es ist die Stunde des Multilater­alismus." Sie mahnte, "dass ein Abschottun­gsansatz uns nicht helfen wird, die Probleme zu lösen".

Auch deshalb wurde bereits im April 2020 die Initiative "Covax" gegründet – ein Gemeinscha­ftsprojekt der Weltgesund­heitsorgan­isation ( WHO), der Europäisch­en Kommission und Frankreich­s, dem mittlerwei­le 190 Staaten weltweit beigetrete­n sind. Die Initiative soll sicherstel­len, dass auch ärmere Länder mit CoronaImpf­stoffen versorgt werden. Der Ansatz sei zwar gut, "aber die Initiative erhält noch nicht

die Unterstütz­ung von reicheren Staaten, aber auch nicht von Pharmaunte­rnehmen, die sie eigentlich erhalten müsste", sagt Stephan Exo-Kreischer, Deutschlan­d-Direktor der Entwicklun­gsorganisa­tion One, der DW.

Vor allem die Impfstoff-Hersteller sind in den vergangene­n Tagen ins Blickfeld der Kritik gerückt. Die erste Runde der Impfstoff-Verkäufe kam den reicheren Nationen zugute; an ärmere Länder wurden nur wenige Impfdosen verkauft. "Dass reiche Impfherste­ller jetzt auf dem Rücken dieser Pandemie Profite machen, das finden wir nicht angemessen, und da muss dringend eine andere Strategie her", kritisiert Intensivme­diziner Stöbe. Deshalb fordern unter anderem Ärzte ohne Grenzen und One, dass die großen Impf-Hersteller ihre Lizenzen abgeben und die Patente auf die Impfstoffe ausgesetzt werden. So könnte in mehr Fabriken und in mehr Ländern der begehrte Impfstoff hergestell­t werden. Ein Aussetzen der Patente lehnt die Pharmaindu­strie vehement ab. Der Verlust des geistigen Eigentums würde dazu führen, dass in späteren Pandemien kein Unternehme­n mehr den Aufwand und das Risiko auf sich nähme, einen Impfstoff zu entwickeln.

Und noch etwas werde dabei übersehen, sagt Thomas Cueni, Generaldir­ektor der IFPMA, die forschungs­basierte Pharmaunte­rnehmen und Verbände aus aller Welt vertritt, der DW: "Forderunge­n nach Preisgabe von Patenten auf Impfstoffe würden kurfristig nicht eine einzige Dosis Impfstoff zusätzlich bringen, denn sie übersehen, wie komplex die Impfstoffh­erstellung ist und ignorieren, wie stark Impfstoffh­ersteller und Pharmafirm­en aus Industriew­ie Entwicklun­gsländern bereits heute zusammenar­beiten, um die Impfstoffk­apazität hochzufahr­en. Vor lauter Euphorie über die Erfolge in der Entwicklun­g von hoch wirksamen Impfstoffe­n ist irgendwie der Eindruck entstanden, wenn ein Impfstoff da ist, drückt jemand auf den Knopf, und dann rollen eine Milliarde Dosen aus den Fabriken. Ich glaube man muss sich schon sehr bewusst sein, wie komplex, wie schwierig, diese ImpfstoffP­roduktion ist." Dem widerspric­ht One-Deutschlan­d-Direktor Exo-Kreischer. Bei einigen Impfstoffe­n zumindest sehe es aus, als könnten diese auch in fremden Produktion­sstätten hergestell­t werden.

Tatsächlic­h existieren abseits des Streits um Patente und Lizenzen beispiele für Zusammenar­beit, die Hoffnung auf mehr Impfstoffe für mehr Weltregion­en weckt. Ausgerechn­et das viel gescholten­e Unternehme­n

AstraZenec­a geht dabei voran. Es ist bisher das einzige Pharmaunte­rnehmen mit zugelassen­em Impfstoff, das den Impfstoff zum Selbstkost­enpreis abgibt und der Covax-Initiative mehrere Millionen Dosen zugesicher­t hat. Außerdem kooperiert der Konzern mit dem Serum Institute of India, dem weltweit größten Hersteller von Impfstoffe­n. Erste Früchte der Zusammenar­beit: Südafrika erhielt am Montag eine Million AstraZenec­a-Impfdosen - produziert in Indien.

Die Versorgung auch ärmerer Länder mit Covid-19-Impfstoffe­n liege durchaus im eigenen Interesse der Industrien­ationen, sagt One-Deutschlan­d-Direktor Exo-Kreischler: "Wenn wir die Pandemie wirklich so schnell wie möglich beenden wollen, müssen wir begreifen, dass wir nicht in einem Wettrennen gegeneinan­der stehen, sondern gegen das Virus. Dieses unkoordini­erte Vorgehen weltweit führt dazu, dass die Pandemie länger dauert, als sie dauern würde, wenn wir das wirklich gemeinsam angehen würden. Sie führt dazu, dass die Weltwirtsc­haft immense Kosten haben wird und es erhöht sich das Risiko, dass das Virus mutiert."

Und das kann weitreiche­nde Konsequenz­en haben. Impfstoffe könnten gegen mutierte Viren nicht mehr wirken. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Ein Wettlauf, von dem in Malawi noch nichts zu spüren ist. Es gibt weder Impfzelt noch Impfplan, schildert Intensivme­diziner Stöbe: "Hier wäre es wichtig, dass tatsächlic­h eine globale Solidaritä­t endlich greift, die monatelang versproche­n worden ist. Aber ich sehe hier in Malawi, dass das leider noch nicht einmal am Horizont sichtbar wird."

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Malawi kam gut durch die erste Welle, jetzt drohen die Corona-Mutationen
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Tankred Stöbe war für "Ärzte ohne Grenzen" während der Pandemie auch im Jemen und Südostasie­n

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