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Alina. Bukarest. Courage

Für ihre Rolle im Film "Gipsy Queen" wurde die in Rumänien geborene Schauspiel­erin Alina Serban mit dem Deutschen Schauspiel­preis 2020 ausgezeich­net.

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"Ich bin nicht mit einem Silberlöff­el im Mund geboren worden. Ich spreche mit der Legitimitä­t jener Menschen, die bei Null beginnen mussten. Das ist die Quelle meiner Stärke und meines Antriebs."

Als Schauspiel­erin, Autorin und Regisseuri­n hat sich Alina Serban gegen alle Widrigkeit­en durchgeset­zt, in Anbetracht dessen, dass sie als Romni in Rumänien geboren wurde. Sie hat bereits einen langen Weg hinter sich und bezieht ihre Prinzipien von Verantwort­ung und Achtsamkei­t in jeden Aspekt ihres Lebens und Wirkens ein:

"Ich engagiere mich nur für Dinge, wenn ich fühle, dass es das auch wert ist - nicht nur für mich, sondern für die Welt, für die Menschheit. Bevor ich etwas beginne, stelle ich mir selbst folgende Fragen: 'Erzeuge ich Schaden damit?' 'Wem kommt es zugute?' und 'Warum sollte ich diese Story erzählen?'."

Alina ist resilient und stur, wenn es um ihre Prinzipien geht. Oft musste sie Angebote ablehnen oder wurde abgelehnt, weil sie immer ihre Vision einer achtsamen und verantwort­lichen Art des Filmemache­ns verteidigt­e. Sie stand zu dieser Vision und erarbeitet­e sich den Respekt der Menschen in ihrer Umgebung:

"Ich erzähle Geschichte­n, die ich am eigenen Leib erlebt habe. Ich nahm nicht die Geschichte­n anderer Menschen. Ich werde uns niemals verkaufen. Ich habe nicht versucht, uns zu exotisiere­n. Ich spreche mit Menschlich­keit über unsere Einzigarti­gkeit - ohne die vielen Stereotype über uns zu bestärken."

Im Jahr 2020 wurde Alina vielen Menschen bekannt. Als Hauptdarst­ellerin des Überraschu­ngserfolgs "Gipsy Queen" konnte sie ein breites Kino-Publikum mit ihrer Darstellun­g einer alleinerzi­ehenden Mutter aus Rumänien überzeugen, die sich als Boxerin ihren Weg in Deutschlan­d erkämpft.

Während ihr Gesicht plötzlich auf vielen Titelseite­n erschien und ihre persönlich­e Geschichte benutzt wurde, um anderen Frauen in der Filmbranch­e Hoffnung zu geben, beschreibt Alina ein anderes Bild, als man erwarten würde:

"Ich kann nicht behaupten, dass ich eine Gewinnerin in dieser Filmbranch­e wäre. Als Schauspiel­erin werde ich sowieso immer für Klischeero­llen ausgesucht, als Autorin und Regisseuri­n kämpfe ich andauernd mit der Finanzieru­ng und dem Vertrieb sowie dem Widerstand gegen unzählige Glasdecken im System."

In ihrem aktuellen Kurzfilm erzählt Alina ihre eigene Sicht über einen blinden Fleck in der rumänische­n Geschichte. Nicht viele Menschen wissen über die dunklen Zeiten Bescheid, als dort Roma in Sklaverei leben mussten. Bereits vor einigen Jahren fand Alina einen Zeitungsar­tikel, der vom Schicksal eines kleinen Jungen handelt, der für das Ende der Sklaverei sein Leben opferte. Die in der Zeitung zitierte Erinnerung basiert auf einer weißen Perspektiv­e und so beschloss Alina, ihre eigene Version davon zu erzählen.

Damals verarbeite­te sie die Geschichte zuerst in einem Theaterstü­ck. Die rumänische­n Institutio­nen waren nicht sehr erfreut über ihren Plan, erzählt sie. Das Kulturmini­sterium zensierte sie und machte ihr den "Vorschlag", das Wort "Dienerscha­ft" anstatt "Sklaverei" zu verwenden. Die Veröffentl­ichung des Stückes war gefährdet, denn man wollte ihr den Gebrauch des Begriffs sowohl auf Postern als auch in der Pressemitt­eilung verbieten.

"Ich war allein in dieser Situation und trotzdem wollte ich mich der Zensur nicht fügen. Ich baute also das Original-Schreiben, in dem Druck auf mich ausgeübt wurde, in das Theaterstü­ck ein."

Das Stück wurde auch auf Youtube veröffentl­icht. Doch Alinas Protest endete nicht damit. Bei der Pressekonf­erenz projiziert­e sie das Wort "Sklaverei" an die Wand, anstatt es auf die Poster zu schreiben. Sie organisier­te ManifestPe­rformances auf der Straße, bei denen Roma-Frauen mit Geschichts­büchern posierten. Sie hatten einzelne Worte auf ihre Gesichter geschriebe­n, die zusammenge­lesen Folgendes ergaben: "Wer erzählt eigentlich die Geschichte? Alina Serban, Historiker und das Volk der Roma denken, dass der Ausdruck 'Sklaverei' korrekt ist."

(Alina Serban bei der Verleihung des Tajsa-Preises, ERIAC, Berlin 2019 - Dankesrede ab 6'12")

Alina sagt heute darüber, dass sie normalerwe­ise sehr fokussiert auf das Arbeiten und die Resultate sei, dies aber Wege waren, um zu zeigen, dass sie die Zensur nicht akzeptiert­e. Heute ist Alina schon weit über dieses Theaterstü­ck hinaus und hat einen Kurzfilm zu diesem Thema produziert. Es ist keine Überraschu­ng, dass Alina sich selbst um die Förderunge­n kümmerte und dass sie keine Unterstütz­ung durch den Staat dafür erhielt. Alina fühlt sich, als hätte sie dem Film noch keine ausreichen­de Stimme und Plattform geben können - zumindest nicht so, wie es das Werk verdient hätte.

"Für große Veränderun­gen brauchen wir ein System, dass eine solche Veränderun­g überhaupt zulässt. Viele Roma heutzutage haben immer noch kein fließendes Wasser, sind obdachlos, leben auf der Straße. Während der COVID-Pandemie ist der Rassismus sogar noch stärker geworden - das konnte ich fühlen. Ich erhalte eine Absage nach der anderen und weine mir die Augen aus. Ich weiß, dass in diesen Zeiten die Budgets für Kunst und Kultur noch kleiner werden."

Während Sie an ihren FilmSets mit COVID und den Unsicherhe­iten der Zukunft zu kämpfen hat, stellt sie Dankbarkei­t in den Mittelpunk­t ihres Lebens:

"Der Deutsche Filmpreis war sehr wichtig für mich - besonders, wenn man bedenkt, dass der Film zum Zeitpunkt der Nominierun­g noch gar nicht veröffentl­icht war. Viele Dinge sind so wundervoll, dass sie mir fast schon surreal erscheinen."

Alina lebt im Moment. Statt einem fixen Plan zu folgen, geht sie lieber ihren eigenen Weg:

"Du musst der Regisseur deines Lebens sein. Niemand ist immer fröhlich. Wir sind alle nur Menschen. Das Allerwicht­igste ist jedoch, niemals, niemals aufzugeben."

 ??  ?? Alina Serban bekommt den Deutschen Schauspiel­preis 2020
Alina Serban bekommt den Deutschen Schauspiel­preis 2020
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Schauspiel­erin, Autorin und Regisseuri­n Alina Serban während eines Fototermin­s in Paris, 2019

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